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litera[r]t
[heft 9] [oktober 2013] wien - st. wolfgang
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die liebesfremde [textausschnitte]
Silvia Waltl
st. petersburg, august 2012
1 großer bahnhof
wie ungefähr hineinmontiert
in dieses märchen diese neue
perspektive streulicht schiebt sich
in den blick und macht ihn weit
und die augen wund vom blendwerk
der fassaden und vom gold
das bunte blut der kuppeln mit
ihren erlösungsverprechen
empfängt dich am landungssteg für
tausend träume und das licht hat
die nacht viele stunden weit
zurückgedrängt hinaus
vor die tore der stadt
das glänzwerk des tages ausgestreut
in den kanälen wärmepartikel
treiben im wasser wo enten und
möwen sich den von booten
zerfahrnen himmel untereinander
aufteilen
wolken kollidieren mit glocken und
zeit knallt aus kanonenrohren
unter der festungsmauer steckst du
deine zehen in warmen sand und
die goldbeflügelte nixe reicht mit
hölzernen händen das trügerische
blau des flusses an deine augen
weiter
wind zerrt am wolkenflies und licht
tritt aus und ein zwei überstunden
sommer fallen dir in den nacken und
aus gleißenden himmelsfetzen
regnet es pigmente
das rot beginnt im blau zu wildern
und eine auslaufende sonne ist
pastos in den blutleeren himmel
geklatscht und klopft mit langer warmer
zunge deinen körperpanzer ab
sogar die kräne und die alten
wackligen autos wirken trostlos
und schön zugleich im glanze ihres
goldenen rosts und irgendwo
hinterm horizont aus hundebellen
und möwenkreischen wartet
geduldig dein schlaf
bevor die nacht verspätet in die
stadt eilt ihre lider zudrückt
ihre brücken hebt und schiffe
in die fremden häfen oder
nach hause zieht
dieser greifvogel hinter deiner
stirn verlangsamt seinen
flügelschlag das taggefieder
windgezaust und mitten aus
der farbigkeit fällt dir die eine
schwarze feder in den blick
trag sie unter der zunge durch
die nacht und such das eine bild
das dich hinausträgt über alle
anderen bilder
finde ein letztes glas und wirf es
an irgendeine wand und lass die
boote in den dünen nach dem
zurückweichen des meeres bleibt
die leere
reise ab ohne fortzugehen durch-
trenn die wurzel und zerreiß
den faden spül die wunde gut
mit essig aus
bleib wach und auffindbar
für worte für das licht für
bilder hände und für
menschen.
2 peter & paul
die kühlen innenräume
dieser kirchen atmen gold
das beschlägt mir die pupille
und färbt mir meine iris neu
ich schieb den blick durch prismen
von licht und gloriolen
durch wände von hibiskus
vor denen katzen schlafen
und ihre warmen felle
träufeln mir bunte flecken
ins schlafgeschwärzte auge
und überall liegt schmerz.
© bei der autorin | [schreibwelten.at]
silvia waltl: geboren 1975 graz; studium in wien, arbeitet in der institutionalisierten
(sprach- & literatur-)wissenschaft, als schreib- & literaturpädagogin mit erwachsenen und
jugendlichen in schulprojekten, sowie fallweise in der museumspädagogik. diplomierte
kunsttherapeutin. referentin im ausbildungslehrgang für schreibpädagogik. schreibt, malt,
zeichnet, fotografiert, kocht & reist. starke verbundenheit mit der stadt berlin. intensive
beschäftigung mit lyrik und bildender kunst vom expressionismus zur moderne. künstlerische
und pädagogische arbeit im intermedialen spannungsfeld zwischen bild und wort. zahlreiche
lesungen, teilnahme an vielen werkstätten im in- und ausland; einzelveröffentlichungen
in zeitschriften & anthologien, 2008 herausgabe an einem wunderroten faden (edition vhs);
derzeit fertigstellung des nachfolgebandes.
die texte stammen teilweise aus dem noch unveröffentlichten manuskript die liebesfremde.
einige gedichte wurden in musik umgesetzt.
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