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litera[r]t
[heft 8] [märz 2013] wien - st. wolfgang
Das Hotel Elefant
Peter Simon Altmann
Die Ideen für seine Romane haben ihn immer wie Erleuchtungen überfallen, erklärte José Saramago.
Die Inspiration für sein wahrscheinlich berühmtestes Buch, »Die Stadt der Blinden«, sei ihm zum
Beispiel gekommen, als er in einem Restaurant sitzend auf das Essen wartete und er sich plötzlich
fragen mußte, was wäre, wenn wir alle blind wären.
Ähnlich dürfte es ihm wohl auch damals in Salzburg im Hotel Elefant ergangen sein. Im Nachwort zu
seinem letzten Roman, »Die Reise des Elefanten«, schreibt Saramago: »Wäre Gilda Lopes Encarnação nicht
Portugiesisch-Lektorin an der Universität Salzburg gewesen und ich nicht eingeladen worden, dort einen
Vortrag zu halten, hätte Gilda mich nicht zum Abendessen in das Restaurant Der Elefant eingeladen, gäbe es
dieses Buch nicht.«
Seitdem ich im Sommer von dieser Begebenheit erfahren habe, schaue ich, wenn ich durch die Sigmund-Haffner-Gasse
schlendere und an dem Lokal vorbeigehe, jetzt öfters durch das Fenster in die Gaststube des Hotels, worin sich ein
Restaurant befindet. Selbst durch die Glasscheiben lassen sich nämlich die Holzschnitzereien sehen, die José Saramago
zu seinem letzten Roman inspiriert haben. Sie stellen die Reise eines Elefanten von Lissabon über die Alpen bis nach
Wien dar.
Diese Reise hat es tatsächlich gegeben. Erzherzog Maximilian von Österreich, der spätere Kaiser Maximilian der Zweite,
erhielt vom portugiesischen Herrscherhaus einen indischen Elefanten zum Geschenk, mit dem er sich im Winter 1551 mit
großem Pomp von Madrid aus auf den Weg nach Wien machte.
Der Elefant Soliman, wie man ihn nach dem habsburgischen Erzfeind Sultan Süleyman, getauft hatte, erreichte auf dem
Landweg zunächst Barcelona, dann auf dem Wasserweg Genua und von dort aus über Mailand, Cremona und Mantua schließlich
Trient, Bozen, Brixen, Innsbruck, Hall in Tirol und, weiters auf dem Inn, Mühldorf am Inn, das damals eine Salzburger
Exklave war. Nach den Stationen Passau und Linz hielt Soliman dann am 6. März 1552 triumphalen Einzug in Wien. Der Troß
mit dem Elefanten erregte in jeder Stadt natürlich enormes Aufsehen, und noch heute zeugen Gaststätten mit Namen »Zum
Elefanten« oder nur »Elefant« von dem historischen Ereignis, unter denen das Hotel in Brixen als das berühmteste gilt.
Wie aus der geschilderten Route ersichtlich ist, war Soliman selbst aber nie in der Stadt Salzburg gewesen,
sondern nur in der Salzburger Exklave Mühldorf am Inn, und der Name »Zum Elefanten« der Gaststätte in der
Sigmund-Haffner-Gasse findet erst Ende des achtzehnten Jahrhunderts Verwendung. Noch dazu ist es nicht vollkommen
klar, ob sich der Name überhaupt auf Soliman und seinem Weg durch halb Europa bezieht. 1953 ist jedoch beim Abriß
einer Treppe das Archiv mit Rechnungen, Briefen und Akten von Hans Goldseisen gefunden worden, der 1552 in Mühldorf
am Inn Administrator des Erzstiftes Salzburg gewesen war und der nach seinen bischöflichen Diensten das Haus in der
Sigmund-Haffner-Gasse erworben hatte. Wahrscheinlich erhielt durch den Umstand, daß Hans Goldseisen einmal das Haus
besessen hatte, das Gasthaus beziehungsweise das Hotel seinen späteren Namen. Vielleicht hatte der ehemalige Administrator
den Leuten immer wieder vom Erzherzog Maximilian und dem Elefanten, die er in Mühldorf am Inn empfangen hatte, erzählt.
Auf alle Fälle befinden sich seit Ende der achtziger Jahres des letzten Jahrhunderts jetzt Holzschnitzereien in der
Gaststube, die auf die historische Elefantenreise Bezug nehmen und die José Saramago auf die Idee zu seinem Buch
gebracht haben, als er im November 1999 zusammen mit Gilda Lopes Encarnação im Elefanten zu Abend aß.
Die Anekdote Saramagos sowie meine eigenen Erfahrungen mit dem Schreiben lehren mich, daß es meist sozusagen
glückliche Umstände sind, ja Zufälligkeiten, die einem zum Verfassen einer Geschichte veranlassen, und daß es
eigentlich keinen Sinn hat, Inspiration zu suchen, sondern man sie eher findet, wenn man sie nicht sucht, bei
aller Erwartungshaltung. Es gibt folglich kein Rezept, wie Inspiration zu erlangen sei. Daraus resultiert auch
die abgrundtiefe Hilflosigkeit, die Schriftsteller immer wieder empfinden, wenn sie zur Feder greifen wollen,
aber die Eingebung letztendlich fehlt. Bei manchen Autoren hat dies zu einer Alkoholabhängigkeit geführt oder
sie sogar in den Selbstmord getrieben.
An einem Tag Anfang Dezember 2012 schlenderte ich nicht beim Hotel Elefant vorbei, sondern ging schnurstracks
hinein und stieg rechts die kleine Steintreppe hinauf, um in der beigeschlossenen Wirtsstube zu Mittag zu speisen.
Als ich um dreiviertel zwölf als vorläufig einziger Gast das Restaurant betrat, saß die Bedienung, ausschließlich
junge Leute um die fünfundzwanzig, noch essend an einem Tisch und unterhielt sich ungezwungen miteinander. Was nicht
heißt, daß ich nicht sogleich zuvorkommend bedient wurde. Ihr Gespräch ließen sie sich aber nicht von mir stören.
Ich setzte mich an einem Tisch ungefähr in der Mitte des Lokals und bestellte eine Kalbsleber mit einen Glas Weißwein.
Unter dem Gewölbe verlaufen auf einer Leiste quer durch den ganzen Raum die besagten Holzschnitzereien. Die Reise nimmt
mit dem Turm von Belém, dem Wahrzeichen der Stadt Lissabon, seinen Anfang und findet mit der Festung in Salzburg sein Ende.
Dazwischen werden die anderen berühmten Stationen mit ihren jeweiligen Wahrzeichen wiedergegeben, immer mit einer Abbildung
eines Elefanten verbunden. Ansonsten sitzt noch eine mächtige Elefanten-Skulptur aus dem gleichen hellen Holz neben
dem Eingang.
Wahrscheinlich hatte es keinen Sinn, die junge Bedienung nach den genaueren Hintergründen der Schnitzereien zu fragen.
Ich tat es aber doch und erhielt von dem Kellner daraufhin einen Folder in die Hand gedrückt, von dem ich aber nichts
Neues erfuhr.
Nach dem Essen zog es mich gleich nach draußen. Das Glas Wein hatte meine Stimmung nicht aufgehellt, im Gegenteil,
und die Kalbsleber hatte mich sagenhafte 17,90 Euro gekostet. Um den Preis hätte ich mir ein Original-Wienerschnitzel
vom Kalb bestellen können, und ich bereute, dies nicht getan zu haben.
Soliman wurde nach seinem Tod die Haut abgezogen, und aus Teilen seiner Knochen entstand ein Stuhl, der
noch heute im Stift Kremsmünster zu bestaunen ist. Aus den verwertbaren Resten der verschimmelten,
ausgestopften Haut Solimans wurden angeblich in den entbehrungsreichen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg
zu München Schuhsohlen hergestellt.
© beim autor
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