Logo Verlag z
e
i
t
s
c
h
r
i
f
t

f
ü
r

l
i
t
e
r
a
t
u
r





litera[r]t
[heft 2] [märz 2011] wien - st. wolfgang



blättern [zurück] [weiter]
[zeitschriftenindex]
Mein Bruder Kain - Mein Bruder Abel2
Erika Danneberg


Ihr kennt solchen Streit, habt ihn zahllose Male selbst erlebt. Nein? Wem willst du das weismachen, Mädchen? Ich kenne meinen Bruder. Er ist Adams Sohn, und er hat eine Frau nach Evas Herzen genommen. Du meinst er würde das nicht gerne hören? Vielleicht - aber er weiß, daß es wahr ist. Damals verachtete er seinen Vater, so wie er später sich selbst verachtete, wenn er zornig wurde wie Adam. Auch Abel war zu solchen Ausbrüchen fähig - er war alles eher als der sanfte Hirte, den die Leute später aus ihm gemacht haben. Aber während Kain seinen Zorn fürchtete, war Abel mit seinem Zorn einverstanden ...

Vielleicht lag es daran, daß Abel sich mehr mit Dingen herumschlug als mit Menschen. Menschen konnte er verlassen, wenn sie ihm lästig wurden. Abel war so frei, daß er keinem böse sein mußte, weil er an keinen gebunden war. Er brauchte niemanden und wollte von niemandem gebraucht werden. Kain ist immer gebraucht worden und könnte nicht leben, wenn niemand ihn bräuchte. So hat er auch nie fertiggebracht irgendjemand wirklich zu verlassen - weder Eva noch eure Mutter, noch euch, noch mich, obwohl jeder von uns ihm zu Zeiten eine Last war, die er gern losgeworden wäre. Aber er kann sich den Menschen die er liebt, nur mit seinem Zorn erwehren.

Als wir größer wurden, hatte Kain oft Streit mit Eva - aber nachher tat es ihm leid und er schämte sich. Er warf ihr mittags auf dem Feld den Korb mit dem Essen um, weil sie statt des Weines, den er gerade haben wollte, einen Krug Milch gebracht hatte, und schrie sie an, daß er in diesem Haus alle Arbeit leiste und dafür nicht einmal ordentlich zu essen und zu trinken bekäme. Wenn sie dann weinte - denn Kain konnte sie zu Tränen bringen, was Adam nie gelungen war -, wurde er ruhig und half ihr beim Auflesen der Scherben.

Abel dagegen - Abel hat mich in seinem Zorn nie so erschreckt wie Kain, aber er hat mich um vieles trauriger gemacht, weil sein Zorn so wenig mit mir zu tun hatte wie seine Zärtlichkeit. Das könnt ihr wohl nicht verstehen - ich müßte euch ein Beispiel erzählen. Von Abel zu erzählen fällt mir schwerer, je länger er tot ist. Anfangs gleich nach seinem Tod, glaubte ich, nie wieder zu einem Menschen sprechen zu können, ohen von Abel zu sprechen. Lilith lebte damals noch, und sie hörte mir zu. Das war meine Rettung, denn Kain, zu dem ich vor allem sprechen wollte - Kain hatte genug mit unserem Haß auf den glücklicheren Bruder zu tun, wie hätte er acuh noch unsere Liebe zu ihm ertragen sollen? Dann vergingen die Jahre, und Lilith starb, die Abel so gut gekannt hatte, und ich hörte auf, von ihm zu sprechen und glaubte eine zeitlang, ich könnte auch aufhören, mich zu erinnern. Und jetzt soll ich für euch die Erinnerung aufwecken - und mit ihr die Toten. Hab' ich nicht schon behauptet, daß ich die Toten nicht mehr fürchte? - Ihr werdet noch merken, daß ich mir manchmal mehr zutraue, als ich kann ... .

Ja - aber ich wollte euch ein Beispiel für Abels Zorn erzählen. Ich erinnere mich einer Fahrt mit ihm ... wir waren nachts auf den See hinausgerudert, um vor Tagesanbruch zu fischen, und steuerten am frühen Morgens mit gutem Fang landwärts. Nach solchen schlaflosen Nächten im Boot war Abels Gesicht weich und offen in überwacher Müdigkeit, Manch eMänner sehen so aus, nachdem sie mit einer Frau geschlafen haben, bei der ihnen wohl ist ... . Abel hat nie mit mir geschlafen - aber er ist in vielen Nächten mit mir wach und unterwegs gewesen.

Der Wind war günstig, wir hatten das Segel gesetzt und brauchten nicht zu rudern, während die Sonne langsam überm Wald aufging, lag ich nachdenklich im Boot und betrachtete seine breiten braunen Hände, die fast reglos, aber unfehlbar wachsam das Steuer hielten. Manchmal sagte er etwas und ich wußte, was er vorher gedacht hatte und was er nachher schweigend weiterdachte. Sein Schweigen war mir so vertraut wie sein Reden.

"Unterwegs sein ist gut", sagte Abel, "solange man weiß, daß man heimkehren kann ... ." Nur in diesen frühen durchsichtigen Stunden nach nächtlicher Fahrt, war er zu solchen Eingeständnissen bereit.

Wir dachten, bald zu Hause zu sein. Der Wind trieb uns schnell auf die waldige Halbinsel zu, hinter der in einer Bucht unser Landeplatz lag, und von dort ist es nicht mehr weit zu diesem Haus, in dem ich damals schon wohnte. (Wenn ihr wollt, zeige ich euch später den Weg, und auch Angelzeug könnt ihr haben: es gibt immer noch prächtige Fische im See.) Wir waren zufrieden, müde und hungrig, und freuten uns auf ein Frühstück bei Lilith.

Kurz bevor wir die Halbinsel erreichten, änderte der Wind die Richtung und mit ihm das Boot. Abel merkte es sofort und riß das Steuer herum, um wieder auf unseren alten Kurs zu kommen. "Rudern!" rief er mir zu, und ich tat, was ich konnte. Aber der Wind war stärker als wir und trieb uns mit großer Geschwindigkeit ab.

"Sollten wir nicht das Segel einholen?" gab ich zu bedenken.

Es wäre zwar mühsam gewesen, das Boot allein mit der Kraft unserer Ruder an Land zu bringen, aber bis in den Windschatten der Halbinsel war es nicht mehr weit, und wir hätten es wohl schaffen können.
"Nein", sagte Abel eigensinnig. "Ich bin hungrig. Auf schnellstem Weg nach Hause."

Ich versuchte erst gar nicht, ihm zu widersprechen. Was ich von Booten wußte, hatte ich von Abel gelernt, und ich bin in meinem ganzen Leben keinem Menschen begegnet, der besser mit Ruder und Steuer umgehen konnte als er. Natürlich wußte er ebenso gut wie ich, daß es sinnlos ist, mit vollem Segel gegen den Wind zu steuern. Abel mußte das Unsinnige seines Versuches längst eingesehen haben, aber er konnte nicht aufgeben, und es war nun auch zu spät dazu. Wir trieben schon an unserem Landeplatz vorbei, auf das andere Ende der Bucht zu, wo die Küste steil und steinig anstieg. Die Wellen, vom Fels zurückgeworfen, gingen hier höher und unser Boot krachte in allen Fugen. Abel steuerte jetzt mit dem Wind auf die Steilküste zu und fluchte: "Dann werde ich eben an diesem gottverdammten Ufer landen!"

[kain und abel1 | jänner 2011] [kain und abel3 | september 2011]

Logo Verlag ein projekt [ag literatur]
blättern [zurück] [weiter]
[zeitschriftenindex]