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litera[r]t
[heft 3] [september 2011] wien - st. wolfgang
Mein Bruder Kain - Mein Bruder Abel3
Erika Danneberg
Holz splitterte, und mit der zurückflutenden Brandung trieben die Trümmer unseres Steuers hinaus in die See.
"Und was wirst du jetzt machen?" fragte ich und beobachtete Abels Kampf mit dem Wind, wie ich manchmal
Adams Streit mit Eva beobachtete: mit Neugier mehr als mit Angst. Ich erkannte die Gefahr, aber ich
konnte sie nicht fürchten, weil ich zutiefst auf Abels Seite stand und wünschte, er möge der Stärkere
sein. Aber wir sind nur stark, wenn wir uns mit den Gesetzen der Dinge verbünden - nicht wenn wir uns
gegen sie auflehnen. Das wollte ich damals so wenig wissen wie Abel, und mit meinem vermessenen Wunsch
ihn als Sieger zu sehen, trieb ich ihn weiter in seine Niederlage.
"Dreckboot, verdammtes", knurrte Abel, riß mir das Ruder aus der Hand und versuchte, längsseits ans Ufer
zu steuern, auf das wir nun in voller Fahrt zutrieben. Aber unser Boot, von Wind und Brandung hin und her
geworfen, ließ sich nicht mehr lenken. Ich fand mich damit ab, daß uns nichts übrig bleiben würde, als das
Boot, so gut wir konnten, von den Klippen abzurudern und auf besseren Wind zu warten. Aber es war nicht
Abels Art, sich dem Wind auszuliefern.
Die See war hier, nahe dem Ufer, nicht sehr tief. "Ich werde versuchen, uns an Land zu ziehen", sagte Abel.
"Gib acht, daß wir nicht kentern."
Ich hielt das Boot im Gleichgewicht, als Abel ins Wasser sprang. Er tauchte unter und schnell wieder auf,
umklammerte mit einem Arm den Bug und griff mit dem anderen kräftig schwimmend aus. Nach wenigen Stößen fand
er Grund und watete ans Ufer, das Boot mit sich ziehend. Aber fast schon an Land, glitt er auf den glatten,
algenbewachsenen Steinen aus. Das Boot, das er im Sturz losgelassen hatte, krachte gegen die Steilküste. Ich
vertäute es, nachdem ich an Land gesprungen war, an dem Felsen, an dem wir gestrandet waren. Lieber hätte ich
mich zuerst um Abel gekümmert, aber ich wußte, dass er mich hassen müßte, wenn ich mich zum Zeugen seiner
Niederlage machte. Als ich mich ihm zuwandte, hatte er sich schon aufgerichtet und schüttelte Dreck und Wasser
aus seinen Kleidern. Sein nächster Blick galt dem Boot. Durch ein leck in der Bordwand drang Wasser.
Abel sagte: "Verdammte Schweinerei", und ich sagte: "Komm jetzt essen. Am Nachmittag werden wir’s ausbessern."
"Nichts werden wir ausbessern", zischte Abel. "Ein neues werden wir bauen."
Er zog sein Messer und kappte das Tau, das ordentlich, wie ich es von ihm gelernt hatte, um den Felsvorsprung
geknotet war. Ich verstand sofort, daß er das Boot loswerden wollte, und griff schnell nach dem Eimer mit den
Fischen, denn ich wollte retten, was vor Abels Zorn noch zu retten war. Er gab dem Boot einen Tritt, und es
schwankte hinaus in den See. Traurig sah ich ihm nach, denn ich liebte es, das Boot, das wir gemeinsam gebaut
hatten, umschloß für mich all unsere gemeinsamen Fahrten, unsere Gespräche und unser Schweigen, es umschloß
Abels Siege und seien Niederlage, und trieb jetzt mit der Fracht meiner Erinnerung seinem Untergang entgegen.
"Schade", sagte ich, "es war ein gutes Boot…"
"Ja,", gab Abel eigensinnig zur Antwort, "es war ein gutes Boot, als es neu und verläßlich war. Wenn die
Steuerung einmal versagt, ist ein Boot nicht mehr zu brauchen."
Er stieg den Pfad zwischen den Felsen hinauf und sah sich nicht mehr um.
Ich wußte, daß man ihn jetzt in Ruhe lassen mußte und folgte ihm schweigend. Er war bös auf das Boot und
bös auf sich selbst, weil es in dieser Welt Mächte gab, die stärker waren als er. Damals begann ich zu
verstehen, daß Abel als der einzige unserer Familie seinen Kampf mit dem Herrn austrug und nicht mit
einem von uns. Wir anderen fanden einen Ausweg für unsere Schwäche und quälten uns gegenseitig,
wenn wir mit uns selbst unzufrieden waren. Eva machte Adam Vorwürfe und Adam belog Eva. Kain demütigte
Eva oder mich und ich beschämte Kain, aber im Grunde hatten wir uns mit einander und mit der Welt, wie
sie nun einmal war, abgefunden. Abel wollte sich nicht abfinden, er warf dem Herrn vor, daß er den Dingen
Macht gegeben hatte über Abel und Abel nicht genug Macht über die Dinge.
Weil ich damals anfing, all das zu verstehen, machte ich keinen Versuch, Abel mit Worten zu beschwichtigen.
Aber ich fühlte mich sehr allein, da ich ihn mit seinem Zorn allein ließ. Ich dachte an das Boot, das Abel
geliebt hatte und das er ohne Bedauern zurücklassen konnte, nachdem es versagt hatte, und ich dachte, wenn
ich einmal versagte, er ließe auch mich zurück, ohne sich umzusehen … .
Schweigend stiegen wir zum Haus hinauf. Ich fror und war zu müde, um den Hunger zu spüren. Lilith war nicht
zu Hause, aber im Herd war Glut und die frischen Scheite brannten schnell an. Abel warf sich erschöpft auf
eine Decke beim Feuer. Ich wärmte Milch und briet ein paar von den Fischen, die ich Abels Zorn entrissen hatte.
Sie schmeckten köstlich, und ich wurde mit dem Essen hungrig. Erst als wir durchgewärmt und schon beinahe satt
waren, fragte ich mit einem schnellen Blick auf Abels blutig zerschundene Hände: "Hast du dir wehgetan … ?"
[kain und abel2 | märz 2011] [kain und abel4 | dezember 2011]
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