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[heft 2] [märz 2011] wien - st. wolfgang



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Faszination Wüste
Christiana Puschak im Gespräch mit Christine Belakhdar


Christiana Puschak
Christine, Du fotografierst leidenschaftlich gern, hast einen Preis gewonnen und in Zeitschriften Fotos veröffentlicht.
Nach Deinem Romanistikstudium hast Du zehn Jahre in Algerien gelebt, bis Du 1993 wegen der dortigen politischen Unruhen nach Berlin zurückgekehrt bist.
wueste1 In Algerien hast Du eine Vorliebe für Aufnahmen in und von der Wüste entwickelt. Könntest Du etwas darüber sagen, was die Wüste für Dich bedeutet, was für Dich so faszinierend an ihr ist?

Christine Belakhdar
Die Wüste hatte für mich, die ich in einer Stadt mit in den Himmeln wachsenden Häusern und geradlinig angelegten Asphaltstraßen aufgewachsen bin, schon immer etwas Magisches. Nichts ist an der Wüste überflüssig. Alles ist funktionell, der Schatten eines Baumes, die Früchte, die daran wachsen, ein Brunnen, eine Quelle, die Architektur der Häuser….
Die Wüste macht sich die Farben untertan, waltet über Helligkeit und Schatten, lässt Lichttümpel in der Ferne glitzern und Sandkörner funkeln. Eine Symphonie der unglaublichsten Farbtöne erklingt, wenn die Sonne hinter den von der Nacht noch kühlen Dünen aufgeht. Wie viele Spuren lassen sich da im Sand erkennen, von Tieren, die für den Menschen unsichtbar bleiben, weil sie in der Frische der Nacht leben. Faszinierend sind auch die Oasen, riesige grüne Gärten mitten im Sand, in denen nicht nur Dattelpalmen wachsen, sondern auch Granatäpfel- und Aprikosenbäume und Gemüse aller Art. Die Oasen sind noch heute Orte des Zusammenlebens: wueste2 der kühle Schatten der Palmen lässt die sengende Hitze erträglich erscheinen.
Die Wüste zwingt zu höchster Ehrerbietung vor den Kräften der Natur und vor allem vor den dort lebenden Menschen, die sich die Natur dienstbar gemacht haben, und mit ihr im Einklag leben.

Auf Deinen Reisen bist Du immer wieder beeindruckenden Menschen begegnet. Wie hast Du zu ihnen Vertrauen aufgebaut, um sie fotografieren zu können? Gab es Unterschiede zwischen Frauen und Männern?
Algerien ist für mich so etwas wie eine zweite Heimat, da ich ja hier einen entscheidenden Teil meines Lebens verbracht habe: Als ich nach meinem Studium mit meinem Mann nach Algerien ging, war ich einfach nur neugierig auf das Land, ich habe es unvoreingenommen entdecken können, die beste Voraussetzung, um rasch Fuß zu fassen, um die Menschen als das zu begreifen, was sie sind, sie in ihrer Soziokulturalität zu verstehen.
Entscheidend beim Fotografiert-Werden und Fotografieren ist das gegenseitige Vertrauen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es Frauen oder Männer sind.
Wichtig sind für mich Menschen, deren Gesichter Einfachheit und Ehrlichkeit ausstrahlen. Menschen, die mit sich im Reinen sind, die weniger in den Spiegel als vielmehr in ihr Inneres schauen.
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Gibt es Lieblingsmotive in der Wüste für Dich? Und welche Eindrücke wirken noch nach?
Es gibt sehr unterschiedliche Motive und Motivationen, zum Fotoapparat zu greifen. Es hängt davon ab, welche Idee hinter der Reise steckt, oder welche Menschen ich dort treffe, die mir von sich erzählen, oder die ich im Moment einer Tätigkeit beobachte oder die mir Seiten ihres Alltags zeigen.
Besonders beeindrucken mich in der Wüste die Weite, diese Unendlichkeit der Natur, vor allem die Ausgeglichenheit, mit der die Menschen auf ihre Umwelt reagieren.
Die Wüste ist wie eine riesige Tür zu einer Freiheit, in der sich jeder einzelne, der dort (vorübergehend) lebt, sich seines Ichs bewusst sein muss, seiner Kraft und seiner Stärke, aber auch seiner bescheidenen Rolle im Gefüge der Gemeinschaft und der ihn umgebenden Natur.

Wenn Du Aufnahmen während Deiner Wüstenexpeditionen machst, bevorzugst Du Schwarz-Weiß- oder Farbfilme? Gibt es Unterschiede in der An- und Verwendung?
Landschaften nehme ich am liebsten in Farbe auf, Gesichter porträtiere ich gerne in Schwarz-Weiß.

Im Jahr 2005 warst Du Preisträgerin beim Fotowettbewerb der Arab Union of Photographers in Hamburg. Wie kam es dazu?
wueste4 Den Preis habe ich in der Kategorie Frauen in der arabischen Welt gewonnen, mit einem Bild, das ich in der Altstadt von Annaba aufgenommen habe, in einem wunderschönen Viertel mit kleinen, verwinkelten Gassen, vielen zwei- bzw. dreistöckigen Häusern, in deren lichtumfluteten Innenhof man durch eine schwere, eisenbeschlagene Eingangstür gelangt. In einem dieser kleineren Häuser wohnt die ehemalige Amme meines Mannes. Sie kannte mich nicht, doch sie gewährte mir Einlass und ich durfte ihr bei der Herstellung von „Harissa“ zuschauen, einer Paste aus scharfen Paprika (dies erklärt die Plastetüte, mit der sie ihre Hände beim Schneiden schützt). Auf den ersten Blick mag das Foto blaustichig wirken, in Wirklichkeit aber sind die Wände in dem typisch sonnenabwendenden Weiß gehalten, alles andere dagegen in Blau, was den Eindruck von Frische vermittelt, ein Pendant zur Hitze. Der Erfolg für das Foto, das inzwischen in verschiedenen Ausstellungen in Deutschland hing, liegt wohl an der Genügsamkeit der Frau, die in die Kamera schaut, stolz auf ihr Tagewerk, stolz darauf, die Paste genauso wie in all den anderen Jahren herzustellen, stolz, die Tradition zu wahren.

Danke für das Interview!



belakhdar, christine
geboren 1957, lebte nach dem romanistikstudium elf jahre in algerien.
sie ist seit 1994 wieder in berlin, schreibt artikel über algerien, arbeitet als literaturübersetzerin aus dem französischen und kulturvermittlerin. 2007 gründete sie den deutsch-algerischen kulturverein yedd e.v., der algerischen schriftstellern, malern und journalisten aus ihrer wahlheimat im deutschsprachigen raum eine plattform bietet. ihre leidenschaft gehört der fotografie, teilnahme an ausstellungen.

puschak, christiana
geboren in augsburg. studium der psychologie und literaturwissenschaft.
coach. exilforscherin. mitglied in der else-lasker-schüler-gesellschaft | der theodor-kramer-gesellschaft | der gesellschaft für exilforschung e.v. und der öge-frauenag.
beiträge in diversen zeitungen/zeitschriften wie zwischenwelt | virginia | junge Welt | woz | taz | auf | mathilde | wir frauen | neue wege.
schreibt gedichte. liebt worte und bilder. lebt und arbeitet als freie autorin und psychologin in berlin.

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