Sie sind leider zu spät. Die ist schon tot.
Tobias Thomas March [Platz 1]

Solidarität.
Niemals stand die Menschheit so unsolidarisch da wie heute. Wann, wenn nicht in einer globalen Pandemie, "in der größten Gesundheitskrise der zweiten Republik" (diese Phrase leiert schon so, dass ich mich kaum getraue, sie aufzuschreiben) könnten wir Menschen beweisen, dass wir etwas an unserem Verhalten verändert haben, an unserer ach, so menschlichen Haltung? In der Krise könnten wir uns doch zusammenreißen und Geldgier und Machtgeilheit beiseite räumen und uns stattdessen unserer Mitmenschen annehmen. Hilfe, das klingt so christlich! Doch was passiert?
Wie viele Bücher, wie viele Seminare, Vorlesungen, politische, philosophische und ‚stammtischliche‘ Diskussionen, wie viele Predigten von irgendwelchen Kanzeln herab wird es zur Frage, ob wir Menschen gut sind, schon gegeben haben?

der den Menschen sich selbst entfremdet
und zu einer Ware macht,

Ich bin kein Experte, aber ich werde bei dieser hochphilosophischen Frage helfen. Kühn, wie ich bin, behaupte ich: "Nein! Nein, man muss kein Spezialist sein, um zu sehen, dass wir Menschen keine guten Wesen sind." Corona-Demos in Wien, tausende Menschen, die auf andere pfeifen. Die Gesundheit aller anderen ist ihnen egal, solange sie ihre Verschwörungsmythen verteidigen können. Verbote, Polizei oder Absperrungen können sie nicht aufhalten. Sie werden durch rechtsrechte Politiker angestachelt. Unter den Protestierenden versteckt - oder auch nicht – Neonazis, die gemeinsam neben Müttern, Vätern, der Nachbarin oder der netten Brotverkäuferin demonstrieren.
Mit Judensternen beweisen sie ihre Ignoranz und versuchen, den größten Genozid zu verharmlosen und zu verunglimpfen. Nichts Gutes liegt in uns Menschen. Mächtige Politiker schreiten nicht ein, schicken Polizeitruppen lieber in den Votivpark, wo sie linke Demonstranten niederknüppeln. Das Problem ist nicht, dass wir nicht wissen, dass manche Polizisten bei Rechtsradikalen eher ein Auge zudrücken und linken Demonstranten lieber Eine drücken: Das Problem ist, dass wir nichts dagegen tun.

der kann nicht mehr denken,
nur konsumieren.
auf den kann man nicht mehr zählen
für die Revolution.
und mit solchen ist auch kein Staat mehr zu machen.
aber mit wem sonst?

Schlimmer als Rassismus, Diskriminierung und Polizeigewalt ist, nichts an gesellschaftlichen Strukturen zu verändern. Für Veränderung müsste man an diesen festgefahrenen Strukturen und Konstrukten rütteln, wovor eine rechtskonservative Mehrheit in diesem Land wahnsinnige Angst hat. Wenn man an einer gut eingestellten Schraube dreht, könnte dann nicht der gesamte, wackelige Ikea-Schrank zusammenbrechen?
Die Zivilgesellschaft müsste aufstehen und klar und bestimmt artikulieren, dass Rassismus, Diskriminierung und Macho-Männchen-Gehabe keine gut eingestellten Schrauben unseres Staates sind. Falsche Schrauben. Falsch gedreht und menschenverachtend. Doch eher verkriechen sich Menschen im wackeligen Schrank, nicken dem Kanzler huldigend zu und machen aus Furcht vor einem Kastensturz weiter, als ob nichts wäre. Wie lautet ein bekannter österreichischer Ausspruch: Allen kann man nicht helfen.

ob du unbrauchbar bist oder brauchbar
für die Welt, die wir wollen
erweist sich nicht allein daran,
ob du zu dieser Gruppe gehörst oder zu jener

Wir Menschen sind nicht gut, tragen nichts Gutes in uns und wir sind auch nicht solidarisch. So leid es mir auch für dich, Erika Danneberg, tut, ich kann nichts daran ändern. Die Solidarität ist tot. Gestorben eines langsamen, qualvollen Todes. Denn Solidarität bedeutet immer, dass eine Gruppe von Menschen mit einer anderen solidarisch ist. Doch das gibt es schon lange nicht mehr. Menschen fahren in der U-Bahn, links und rechts Menschen, doch wir sehen in die kleinen, dunklen Spiegel, halten Ausschau nach Nachrichten über neue Kriege, neue Anschläge, neue Todesopfer. Egal, wie sehr sich manche Menschen ein gutes Leben für alle wünschen, irgendwann müssen sie einmal T-Shirts, Anzüge, Krawatten, Hemden usw. kaufen. Und dabei ist es unerheblich, ob im luxuriösen Gucci Store oder im H&M eingekauft wird: Mit gutem Gewissen und ‚Menschenrechten für Alle‘ kommt man da nicht mehr raus!

ob du nicht Angst haben musst, sie zu benützen
oder von ihr benützt zu werden –
für Arbeit

Ein Beispiel aus der Pandemie: Anstatt, dass alle an einem Strang ziehen, um die weltweite Pandemie zu beenden, indem sie Impfstoffpatente auflösen und allen Ländern die Impfstoffherstellung ermöglichen, wird in Brüssel debattiert und gestritten. Jedes Land will besser aussteigen als das andere. Man kann Solidarität mit armen Ländern zeigen, oder man kann ihnen den unbeliebten, restlichen Impfstoff von AstraZeneca schicken. Beide Handlungen senden ganz unterschiedliche (un-)menschliche Signale aus.
Fremd- und Eigenschutz: Auf diesem Konzept ist die Bekämpfung der Coronakrise aufgebaut. Man kann Solidarität mit den Risikogruppen zeigen und gemeinsam gegen das Virus ankämpfen, oder man verteilt als Superspreader und Querdenker Aerosole und Unwissen. Das Konzept ist leider von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Jeder ist sich selbst der Nächste – das Ego kommt vor dem anderen!
Die "verqueren Denker" wissen nicht, was im Impfstoff enthalten ist und behaupten, dass er immer noch zu wenig erprobt und erforscht sei. Aber das Hühnchen vom Discounter, um 1,99 Euro pro halbes Kilo, wird ohne Bedenken gegessen. Wissen sie so genau, woher das Hühnchen kommt und womit es gefüttert wurde?
Wenn wir das Geflügel nicht kaufen würden, wäre das arme Tier ganz umsonst gestorben, oder? So gesehen haben wir Menschen mit dem Huhn mehr Mitgefühl als mit unserer eigenen Spezies. Was aber, wenn uns Menschen von allen anderen Tieren auf diesem Planeten einzig und allein unsere Menschlichkeit unterscheidet? Was, wenn der einzige Unterschied zwischen einer Mikrobe, einem Schwein, einem Orang-Utan und einem Menschen die Menschlichkeit, die Mitmenschlichkeit, das Mitgefühl ist?

und für Solidarität mit den Opfern;

Dann haben wir ein Problem, ein Identitätsproblem, denn Mitmenschlichkeit ist schon lange vor der Solidarität gestorben. Ich erinnere nur daran, wie man in Österreich über Flüchtlinge spricht, Menschen aus den von uns ausgebeuteten Ländern. Anstatt armen, notleidenden Menschen, die eine traumatische Flucht hinter sich haben, zu helfen, ihnen Obdach zu gewähren, sie hier ankommen zu lassen, ihnen ein neues, ein besseres Leben zu bieten, werden sie abgeschoben, beschimpft, ausgefragt, verhört vom "Fremdenwesen" und von "fremden Wesen". Wir begegnen Flüchtlingen unmenschlich, nicht auf Augenhöhe, denn wir haben die irrationale Angst, dass sie uns etwas wegnehmen. Auch Ökonomen, die uns bestätigen, dass wir Arbeitskräfte brauchen, werden nicht gehört. Negative Schlagzeilen über Flüchtlinge verkaufen sich besser und bleiben im Gedächtnis.

auch das erweist dich als einen,
der brauchbar ist
- oder unbrauchbar
für die Welt,
die wir wollen:
wie du umgehst mit deiner Freundin, Freund,
wie du umgehst mit deiner Genossin, Genosse.

Wie konnte es nur so weit kommen? Ich richte meinen Blick auf die Politik und die gewinnorientierte Wirtschaft in unserem Land. Dort regieren Freunde in gutem Einklang. Kompetenzen - ein Unwort in unserer Zeit – werden eingefordert. Kompetenzen von Arbeitern, von Maturanten, von Schülern und bereits von Kindergartenkindern (zum Beispiel: der Dreifingergriff beim Stifthalten, Gleichgewicht beim Tretrollerfahren und gute deutsche Aussprache).
Kompetenz wird von allen verlangt, doch in Wirtschaft und Politik wird der Anforderungskatalog willkürlich ausgelegt. Da wird die Ausschreibung so manipuliert, dass der "nachrichtenschreibende Zinnsoldat" einen gut bezahlten Job bekommt. Freundschaft hebelt in jedem Fall Kompetenzen aus. Aber bei Familie und Freunden ist das so, oder?
"Es war schon immer so." Wenn man nichts verändern will, heißt es in Österreich lapidar: "Es war schon immer so."
Es stimmt: Das hat man schon immer gesagt, um nichts verändern zu müssen, um nicht aus seinem bequemen Hamsterrad aussteigen zu müssen.

Und, was bleibt?
Was wie eine Betrachtung der momentanen Situation erscheint, ist der abschließende Befund zur Leiche "Solidarität": Sie ist tot!
Zurück bleibt Erika Danneberg mit der Frage: "Wie leistet man Widerstand?".

el derecho de vivir en paz

Gemeinsam heben wir das Glas:
Auf die nächsten hundert Jahre – mit reanimierter Solidarität oder ohne!

Mit Auszügen aus Erika Dannebergs
"Fehlfronten – den Männern, die meine Genossen sind"


Thomas Tobias [March]


[Matscheko] Monika - Platz 3 | Platz 2 - Juliane [Schumacher]