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Literatur an der Leine
Servus, tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber du weißt ja … Wie schaust du denn aus, ist was passiert? Hat der Verlag abgelehnt?
Grüß dich. Nein, keine Ablehnung. Sie melden sich einfach gar nicht. Schon seit zwei Monaten! Nur die Empfangsbestätigung und dass die Entscheidung bis zu sechs Wochen dauern kann. Dabei habe ich doch extra dieses Seminar gemacht Wie bringe ich mein Manuskript sicher an den Mann/die Frau. Glaubst du, dass diese Claudia Halpert in Wirklichkeit keine Ahnung hat? Dabei war sie doch früher beim Schloss Verlag.
Nein, daran liegt´s sicher nicht. Schau, jetzt bereiten sie sich alle auf Frankfurt vor. Da kann es schon mal sein, dass ein Manuskript länger liegen bleibt. Hab noch ein bisserl Geduld.
Und dann kommt die Buch Wien, anschließend das Weihnachtsgeschäft, die Vorbereitung auf das Frühjahrsprogramm, Leipzig, Herbstprogramm planen, Sommerferien. Wann wäre denn eine gute Zeit? Wie das nur diese Grünenbach hinbekommen hat? Die hat vorher niemand gekannt und jetzt ist sie zumindest in Österreich eine große Nummer.
Niemand gekannt ist gut. Ihr Mann ist doch ein hohes Tier bei der Stahl-Bau. Und die sponsern den Verlag von der Grünenbach, hört man. Außerdem hat sie genug Freunde, die ihr sogenannte Rezensionen und Empfehlungen auf diversen Webseiten schreiben. Und mit ihren Kontakten hat sie es natürlich bei der Presse leicht. So geht das. Aber wenn man keine Kontakte hat ...
Hast ja recht. Wir haben es wirklich nicht einfach. Die großen Verlage setzen nur auf Kommerz und bei den kleinen verhungert man, weil sie kein Geld für Werbung haben. Da muss man die ganze Vermarktung erst wieder selber machen. Tja, jung und hübsch müsste man sein. Das lässt sich verkaufen. Fräuleinwunder und so.
Ja, oder schon in Pension und früher einen aufregenden Beruf gehabt haben. So wie dieser Anwalt – wie heißt er doch gleich? - Schirach oder so. Damit kann man Werbung machen.
Eh. Und ein besonders hartes Leben zieht auch immer. Aufgewachsen in einem total strengen katholischen Kinderheim, von sadistischen Nonnen geschlagen. Am besten noch vom Pfarrer missbraucht.
Und wenn das nicht funktioniert, sollte man Krimis schreiben. Krimis gehen immer.
Sowieso. Man muss ihnen halt einen literarischen Anstrich geben. Depressiver Kommissar, der seinen Weltschmerz mit Rotwein runterspült und jeden Abend ein dreigängiges Menü für sich alleine kocht.
Ja, aber mit echter Literatur hat man´s halt schwer. Wenn die Sprache ein bisschen komplizierter ist, nicht ganz so eingängig, liest das schon niemand mehr.
Und zu dick sollte das Buch auch nicht sein. Hat ja kein Mensch mehr Zeit zum Lesen, da greifen die Leute eher zu etwas Dünnem, das man an einem Abend durch hat. Wenn ich an früher denke …
Daran sind diese neuen Medien schuld. Die Leute hängen ja nur noch vor dem Computer. Und bei den Jungen ist das Smartphone praktisch schon angewachsen.
Da müsste die Politik endlich einmal etwas machen. Für alles Mögliche ist Geld da, nur für uns nicht. Die paar Stipendien teilen sich doch immer die Gleichen untereinander auf.
Da hast du recht. Und erst die Preise. Da musst du schon einen Namen haben. Sogar bei der sogenannten Nachwuchsförderung. Das liegt daran, dass die in den ganzen Kommissionen und Jurys keine Ahnung haben. Die wollen sich nicht bei einer Entscheidung blamieren, kein Risiko eingehen. Da nehmen sie lieber jemanden, den man schon kennt.
Richtig korrupt ist das. Kein Wunder, dass bei uns niemand vom Schreiben leben kann. Ich meine natürlich, wenn man echte Literatur macht.
So ist es. Wir werden uns wahrscheinlich immer abstrudeln müssen. Sag, was anderes: Gehst du morgen zur Demonstration für diesen türkischen Schriftsteller, den sie eingesperrt haben? Der Name fällt mir gerade nicht ein.
Du meinst den, na, der Name liegt mir auf der Zunge. Nein, morgen ist bei mir ganz schlecht. Aber ich habe auf Facebook für ihn unterschrieben. Gehst du?
Bei mir schaut´s gerade morgen auch nicht gut aus. Dabei: Die Rede hält der Kreuzmüller vom Schriftstellerverband. Vielleicht sollte man doch dabei sein. Damit man gesehen wird, du weißt schon, Kontakte knüpfen ... Ich bin mir noch nicht sicher. Aber auf Facebook habe ich natürlich auch unterschrieben. Das gehört sich ja wohl.
Du ich muss jetzt langsam. Ich will heute noch meinen Text für den Kurzgeschichtenwettbewerb von der Ybbstal Versicherung fertig machen. Gibt immerhin fünfhundert Euro.
Da war doch schon am Fünfzehnten Ende der Einreichfrist.
Echt? Das hab ich verpasst. Dann schicke ich ihn halt zur Commerz Bank, muss nur ganz wenig ändern. Da ist noch bis Dreißigsten Zeit. Also dann: Bis zum nächsten Mal!
Bis zum nächsten Mal. Und: Nicht unterkriegen lassen!
Sascha [Wittmann]
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