[zurück] | blättern | [weiter]


Irgendwo schneit es

In der klassischen Logik gilt: Wenn sich aus Aussage A die Tatsache B ergibt, heißt das, dass aus Nicht-B auch Nicht-A folgt. Zu abstrakt? Ein Beispiel? Gern!

Ein Ball ist rund – das bedeutet auch, dass wenn etwas nicht rund ist, es auch kein Ball sein kann, dann ist es vielleicht ein Ziegelstein oder ein Hundehaufen oder was auch immer, jedenfalls kein Ball, denn der sollte ja rund sein.

Und wie ist es mit folgender Aussage: Wenn es Silvester schneit, ist Neujahr nicht mehr weit. Die ist sicherlich richtig, denn Neujahr folgt unmittelbar auf Silvester. Also müsste auch die Umkehr der Negation gelten: Wenn Neujahr noch weit weg ist, darf es Silvester nicht schneien! Das aber scheint sinnlos, denn hier gibt es keine vernünftige Kausalität. Natürlich wird es hin und wieder Silvestertage geben, an denen es schneit, auch wenn wir bereits im Sommer darüber nachdenken.

Doch was bedeutet das? Ist es ein Paradoxon, das die ganze formale Logik aushebelt? Mitnichten! Doch wir können ja mal versuchen, Facetten unserer Sicht der Dinge darzulegen:


1. Sprache ist das wichtigste Mittel, das die Menschheit für die Kommunikation besitzt, und für die Literatur ist sie sogar unverzichtbar. Je nach philosophischem Standpunkt nennt man sie Medium des Denkens, Teil des gesellschaftlichen Bewusstseins …, aber nicht darum soll es uns hier gehen. Wir sollten die Sprache achten und lieben.

2. Das bedeutet auch, wir sollten sie manchmal hinterfragen. Wer (Subjekt) tut (Prädikat) was (Objekt) bei welchen Randbedingungen (da gibt es aus Sicht der Grammatik verschiedene Konstruktionen).

3. Wir sollten die Gesichtspunkte der Poeten im Vergleich zu denen der Juristen und Politiker keineswegs gering schätzen, denn die ersten empfinden meist tiefer und origineller.

4. Wichtig könnte der Aspekt sein, wer wieviel an der Sprache, ihrer Interpretation, Verwirrung oder Verdrehung verdient. Dass die Poeten im Hinblick auf die Höhe Ihrer Honorare kaum Chancen haben, ist bekannt. Und dass die Verdienstspannen der Demagogen und Politiker relativ üppig sind, spricht nicht für ihre Sorgfalt und Wahrhaftigkeit beim Umgang mit der Sprache.


Zurück zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen. Wilhelm Busch, einer der meistunterschätzten deutschen Poeten und vielleicht sogar Philosophen hat uns das Bonmot von Silvester und Neujahr mit einem Augenzwinkern überliefert. Poeten mögen eben das Paradoxe ohne palaverndes Zerreden, während sich die Prosaiker, Journalisten und Linguisten mit der Strafarbeit des Klarstellens abgeben müssen.

Nehmen wir mal an, Wilhelm Busch hätte seine Sentenz eindeutiger formuliert: Wenn wir heute Silvester haben, ist – unabhängig vom aktuellen Wetter – das Neujahr nicht mehr weit. Dann ist aber auch die Umkehr der Negationen logisch: Wenn Neujahr noch sehr weit weg ist, ist heute auch nicht Silvester, egal ob es schneit oder nicht. Das klingt aber wie aus einem Statement eines Bundesministers, also zum Vergessen bürokratisch und langweilig. Und damit lässt sich vielleicht auch ahnen, wie sich die Sympathien des Autors zwischen Regierungsmitgliedern und Poeten verteilen.

Übrigens: Irgendwo auf der Erde schneit es wahrscheinlich immer gerade, auch jetzt.

Roland [Müller]


[zurück] | blättern | [weiter]


startseite | litera[r]t | autor*innen | archiv | impressum