[zurück] | blättern | [weiter] |
Poeterey eines Unbrauchbaren | Rezension
Vielleicht sollte man Poeterey ganz despektierlich mit Tätigkeiten vergleichen, die ebenfalls mit einem Ei enden: Bücherei, Metzgerei, Bäckerei. Alle diese Cluster-Verrichtungen sind vom Aussterben bedroht, weil sie für das aktuelle Gesellschaftsleben "unbrauchbar" sind.
Raimund Bahr versetzt sich in die Lage eines Unbrauchbaren, der nach alter Manier etwas anstrebt, was Nachdenken, Reimen, Spinntisieren, Aufschreiben bedeutet. Poeterey ist eine ausufernde Tätigkeit, die sich ständig selbst Regeln überstülpt, um sich halbwegs in den Griff zu bekommen.
So versucht die Urmutter der Richtlinien, die Deutsche Poeterei von Martin Opitz, 1624 nichts anders, als mit ein paar Regeln durch die Gischt des Dichtens zu pflügen, um irgendwo hinzusteuern, wovon man die Koordinaten noch nicht kennt.
Der Unbrauchbare bei Raimund Bahr ist sowohl einer, der mit den Richtlinien des modernen Dichtergeschäfts nicht zurecht kommt, als auch einer, dessen Ziele sich nicht definieren lassen, sowohl die individuellen als auch die poetischen.
Im Sinne eines imaginären Regelwerks ist die Poeterei in sieben Kapitel gegliedert, die einfach mit römischen Ziffern Ordnung suggerieren sollen.
Freilich ist die Zahl sieben durchaus spendabel für Phantasie, es könnte sich um einen Wochenplan eines Erschöpften handeln, um die sieben Tage eines Anti-Schöpfungsberichtes, der den Weltuntergang beschreibt, oder einfach um sieben Todsünden, die bei der Vollstreckung der Poesie häufig begangen werden. Die meisten Texte sind mit Hilfe des Flattersatzes als Gedichte gesetzt, die Verfransung zur Prosa ist kaum bemerkbar.
Im ersten Kapitel geht es sogar ausdrücklich darum, dass ein Reimer in der Kammer sitzt und nichts zusammenbringt. (9) Er überlegt sich Themen wie die Liebe, den Herbst und die Melancholie, die es ihm angetan haben, für die er aber keinen praktikablen Plot findet, sodass es oft bei Notizen, Essay-Thesen und Subunterschriften bleibt.
Die Grunderkenntnisse sind zwar imposant für eine Poeterey, für den Praxisbetrieb aber höchst aufwändig und nicht jeden Tag verwendbar. Das Dichterwerk ist ständig vom Scheitern bedroht. "schreiben ist / leben // ohne schreiben // erstick ich in mir selbst". (15)
Wenn es mit der intensiven Auseinandersetzung mit dem Schreiben selbst nicht für einen Ausweg reicht, vielleicht sind dann Fluchtwege über Themen, Stimmungen oder Jahreszeiten möglich.
Das lyrische Ich probiert es zweitens mit dem Durch-fühlen der Jahreszeiten, am Bergsattel schmilzt das Weiß und verheißt, dass der Sommer nahe ist. In der Landschaft bewegen sich alsbald touristische Figuren und machen auf Sommer, der sich im nahen See spiegelt. Donner und Blitz bringen einen nicht weiter, "meine Zeit ist der Herbst", stellt die zerknitterte Seele schließlich fest. (32) Und dann verschwindet ohnehin wieder alles, was nach Leben und Vegetation aussieht, es bleibt dabei: meine Zeit ist der Herbst.
Im dritten Schritt der Poeterey geht es um jene Klarheit, die sich nur erreichen lässt, wenn sie beiläufig geschieht. Als Metapher für diese fragile Denkweise gilt seit Pascal das Schilf, das dem Wind ausgesetzt in den Uferzonen wabert mit Geschmeidigkeit. "Sachtes Schilf" (51) ist entlang der Kanten der Landschaft angesiedelt, dem freien Himmel und der Witterung ausgesetzt. Der lyrische Beobachter flaniert darin und wird selbst Teil dieser biegsamen Biomasse, worin vielleicht Gedanken gären in Blasen. "Klarheit ist nicht zu haben" (45) heißt es lapidar. Und während rundherum alle tätig sind, verharrt das Ich still, und geht dadurch seine Wege.
Kapitel vier ist als Groteske zu lesen, wenn sich Hofräte aufmachen, den Herbst zu erleben, indem sie sich mittags schwerfällig aus den Betten schwingen und in die nächstbeste Kutsche fallen. In der Ferne wird ein kaiserliches Manöver abgehalten, es ist der letzte Herbst der Monarchie, der vielleicht noch hundert Jahre dauern wird.
Im nächsten Schritt, dem fünften, soll die Liebe zum Zug kommen. In der Poeterey werden dafür eigene Sehweisen und Blickwinkel ausgegeben, "nichts übersehen", lautet die Parole, es könnte darin die Liebe eingeschlossen sein.
Oft freilich kommt das Gedicht zu spät, um noch was auszurichten, die Liebe nämlich hat schon gestern stattgefunden. (76)
Der sechste Abschnitt ist in Prosa ausgeführt. Er stellt so etwas wie einen Essay über die Poetik vor. These: Es gäbe nur zwei Themen, Liebe und Tod. Dabei wird über die Zwei philosophiert, die Liebe und Tod sein kann, die Auseinandersetzung zwischen dem Sterbenden und dem Tod, oder einfach die Verdoppelung des Ichs. Die Wahrscheinlichkeit, die Zwei und die zwei Themen in Einklang zu bringen, scheint am ehesten im Essay gegeben. In der Praxis ist meist das eine von beiden zur richtigen Zeit am falschen Ort und umgekehrt.
Im Abschlusskapitel (sieben) geht es um angewandtes Sterben. Mit dem kleinen Bild vom Sturmschaden, als Holzreste an de See gespült werden, lässt sich das Leben beschreiben. "holzstücke / herbstreste /sturmschäden" (97). Das vollendete Leben spielt sich wahrscheinlich an einem typischer Oktobertag selbst zu Ende.
Raimund Bahr liebäugelt abgeklärt mit dem Bild eines Unbrauchbaren, seine Texte sind melancholisch, verhalten, ausgestreckt im Herbstlicht. Weder wird den Tüchtigen ein Vorwurf gemacht, dass sie so emsig sind, noch dem eigenen Ich, dass es biegsam wie Schilf an der Böschung wacheln muss. Über lange Strecken kommt der Philosoph zum Vorschein, der sich das barocke Genere der Poeterey zum Nutzen macht, um auch Dinge ohne Glanz wenigstens zum Schimmern zu bringen.
Helmuth [Schönauer] |
Zum [Buch]
[zurück]
| blättern |
[weiter]
startseite | litera[r]t | autor*innen | archiv | impressum |