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Der Fön

Als ich in Babylon eintraf, benötigte ich keine zehn Minuten, um die berühmten Hängenden Gärten der Semiramis ausfindig zu machen. Ich fragte mich, mit wieviel Blindheit die zuständigen Archäologen geschlagen gewesen waren, wenn sie die riesige Anlage trotz jahrelanger Suche nicht entdeckt hatten.

Neugierig erklomm ich die erste Terrasse und stellte fest, dass das Gartenareal im Lauf der Jahrhunderte stark zugewachsen und verbuscht war, was für einen ungepflegten Eindruck sorgte.

Auf den übrigen drei Terrassen bot sich mir ein ähnliches Bild. Überall wucherten Feigensträucher, die gerade einen Großteil ihrer Blätter abgeworfen hatten, die unter meinen Schritten beständig raschelten.

Da fiel mir ein, dass ein irakischer Diktator zu seinen Lebzeiten einen Preis von eineinhalb Millionen Dollar für denjenigen ausgesetzt hatte, der das Rätsel der Bewässerung der Gärten löste.

Ich sah mich um und stellte fest, dass der Boden zwar ziemlich trocken war, aber wohl nicht trocken genug, um für das Wachstum von Feigensträuchern völlig ungeeignet zu sein. Fließendes Wasser oder Anlagen, aus denen es gewonnen werden konnte, konnte ich aber nirgends ausmachen. Weil der Diktator aber längst tot war, sagte ich mir, hätte ich auf das Geld ohnehin keinen Anspruch gehabt. Es kümmerte mich also nicht, dass ich nicht in der Lage war, die gesuchte Erklärung zu finden.

Mittlerweile störte mich jedoch das Feigenlaub so sehr, dass ich nach Möglichkeiten sann, um es zu entfernen. Schließlich fiel mir ein, dass ich in meinem Rucksack einen Batteriefön mit mir führte. Ich holte ihn heraus und nahm ihn in Betrieb. Ich bemühte mich sehr, das lästige Laub gründlich wegzublasen. Es gelang mir einigermaßen gut, aber ich wusste, dass der Akku des Föns nicht lang genug durchhalten würde, um alle vier Terrassen vollständig von den Blättern zu säubern.

Plötzlich fühlte ich mich beobachtet. Als ich mich umdrehte, entdeckte einen uralten Einheimischen, der mir interessiert beim Laubblasen zusah. Ich stellte den Fön ab und fragte den Alten, ob er mir nicht helfen wolle.

Er winkte ab. Er sei zwar seit fast 70 Jahren der Chefgärtner der Semiramis, erklärte er. Den Kampf gegen das verdammte Feigenlaub habe er persönlich längst aufgegeben. Meine Methode, setzte er hinzu, erscheine ihm jedoch geeignet für die Zukunft, aber natürlich nur dann, wenn mehr solcher Geräte zur Verfügung stünden, wie ich eines benutzte.

Das sei gar kein Problem, erwiderte ich. Batterieföne seien leicht zu beschaffen.

Er habe noch ein Dutzend Kollegen, sagte der Alte, die alle noch jünger seien als er und leichter für Neues zu begeistern. Wenn ich ihm verspräche, dass ich für seine ganze Mannschaft Föne besorgte, wolle er mir im Gegenzug etwas sehr Wertvolles überlassen.

Ich nickte und sagte, dass ich ein Dutzend Föne problemlos bis zum folgenden Tag auftreiben könne.

Da kroch der Greis hinter einen Busch und kam mit einem Lederbeutel wieder hervor, den er vor meinen Augen aufschnürte. Er holte einige dicke Geldbündel heraus, die er mir hinhielt. Entgeistert fragte ich ihn, warum um alles in der Welt er mir für ein paar Batterieföne soviel Geld geben wolle.

Ich könne es ruhigen Gewissens nehmen, kicherte der Alte, es seien jene eineinhalb Millionen Dollar, die der Diktator vor vielen Jahren für die Lösung des Bewässerungsrätsels bereitgestellt habe. Nach seinem Tod sei das Geld aus Bagdad, wo man über die genaue Lage der Gärten immer Bescheid gewusst hätte, von einem Boten gebracht worden. Weil das Bewässerungsrätsel aber unlösbar sei, ich aber immerhin für das Laubproblem eine schöne Lösung gefunden hätte, stünde die Belohnung mir zu.

Ich wolle das Geld eines Diktators nicht, rief ich aufgebracht.

Ich solle nicht töricht sein, rief der Alte und hielt mir die Banknotenbündel direkt unter die Nase. Man sähe dem Geld seine Herkunft nicht an.

Da packte mich ein heiliger Zorn. Ich riss die Banderolen von den Bündeln und warf das Geld auf die Erde. Dann schaltete ich den Fön wieder ein und blies die Scheine mit seiner Hilfe fort wie zuvor das Laub.

Der Alte sagte, dass er noch nie zuvor jemandem begegnet sei, der so dumm sei und so weise zugleich. Er fragte mich, ob ich nicht sein Nachfolger als Chefgärtner werden wollte. Dabei blickte er mich so flehentlich an, dass ich nicht nein sagen konnte.

Michael [Burgholzer]


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