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Fünf kleine Essays
1.
Gezüchtet werden wird, das duldet gar keinen Zweifel, Zucht und Ordnung werden herrschen, so soll es auch sein, so muss es sein, so wird es darum sein. Alles wird immer besser werden. Dafür wird gesorgt werden. Es ist zu schaffen. Mit großer Anstrengung und nur gemeinsam, dann aber doch und für immer. Zug um Zug wird der Staat alle Zuständigkeit an sich ziehen und beizeiten umverteilen an die Meistbietenden. Die werden sich schon darum kümmern, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Wer sollte es sonst tun?
Was sein wird, was auf die Menschen zukommt, steht schon fest, muss ja auch feststehen, jede Zufälligkeit ist auszumerzen. Mutation, Selektion und Krise sind in den Dienst vernünftiger Planung zu stellen. Züchten heißt, dass das, was einer sein soll und was er werden kann, im Voraus auszuwählen ist, damit nur das Wunschgemäße überhaupt zu Stande kommt. Unfälle können passieren, Zufälle dürfen es nicht.
Ein Zurechtweisung von Abweichenden sollte dann nur noch ausnahmsweise erforderlich sein. Besser ist es ja, Abweichungen kommen gar nicht erst vor. Obwohl andererseits ein bisschen Widerstand immer günstig ist und ein Ausnahmezustand eine erfrischende Wirkung haben kann. Man wird sehen.
Krisen sind immer auch Chancen, und auf Chancen kommt es an. Sie sind schon im Vorfeld präzise zu berechnen, gerecht zu verteilen und solidarisch zu nutzen. Davon werden alle profitieren. Die einen sagen Harmonie, die anderen Toleranz, beide meinen dasselbe: Keine Störung des Geschäftsgangs.
Ausgerechnet den dem Zufall zu überlassen, der das Maß aller Dinge ist, wäre ja auch absurd. Man ist, was man hat. Jeder bekommt, was er sich leisten kann. Schade nur, dass kein Konsument sich selbst bereits vorab bestellen kann anhand des aktuellen Katalogs. Noch ist es auch nur ein Traum, Bewusstsein und Gefühle auf externe Festplatten hochzuladen und einen passenden Körper nach Bedarf dazuzuwählen. Doch vielleicht ist das gar nicht nötig. Man wird sich vielmehr demnächst schon zurücksetzen und neu konfigurieren lassen können, ressourcenschonend und nachhaltig, verantwortungsvoll und politisch korrekt. Individualität ist im Kern doch bloß eine Frage der Programmierung. Womöglich muss man dann auch gar nicht mehr immer und überall man selbst sein, sondern existiert die meiste Zeit in einem kollektiven Speicher und lädt sich nur dann herunter, wenn man sich wirklich braucht. Und wie oft wird das schon der Fall sein?
2.
Ich bin ein Sitzer. Andere sind Geher, Steher, Renner, einige wenige sind Lehner, kaum jemand ein wirklich habitueller Lieger. Ich bin jedenfalls ein Sitzer. Selbstverständlich gehe, stehe, renne zuweilen auch ich, lehne und liege bei Gelegenheit, knie, robbe, wirble, baumle, rutsche, hocke, hüpfe, taumle usw. usf. Aber vom Typus her bin ich ein Sitzer. Es ist nicht nur so, dass ich gerne sitze, lieber als anderes, sondern zu sitzen ist mir eine Notwendigkeit. Wenn ich erst einmal sitze, bin ich sozusagen in meinem Element. Dann kann ich die Welt an mich herankommen lassen. Dann kann ich mich zur Welt und ihren Bewohnern und deren Verhältnissen verhalten. Sonst eher nicht, nicht so richtig, nicht so sicher. Zu sitzen ist für mich meine Weise des Innehaltens und Beimirseins, die Grundlage der Tätigkeiten, die ich bevorzuge, nennen wir sie solche geistiger Art: denken, sprechen, schreiben, lesen, Tee trinken. Es versteht sich darum fast von selbst, dass ich besonders gern im Kaffeehaus sitze. Oder auf einer Parkbank, obwohl dort selten Tee serviert wird. Oder auf einem niedrigen Mäuerchen irgendwo in einer Stadt, wo ich von einem Ort zu einem anderen unterwegs bin, und mich erst einmal setze, mich ausruhe, mich umsehe, das Ziel bedenke, den Weg erwäge und die Umstände beklage.
Dort, wo es schön ist, sitze ich gern. In einem Museum auf einer Bank vor einem Meisterwerk; an einem belebten oder menschenleeren Platz; vor einem Zugsfenster, durch das eine Landschaft zu sehen ist; im Gasthaus vor einem Bier und einer kulinarischen Offenbarung. Gehen, Stehen und so weiter macht mich müde. Sitzen erholt. Sitzen verleiht ungeahnte Kräfte. Bis man aufstehen muss, dann ist womöglich wieder alles mühsam. Beim Aufstehen pflege ich übrigens wie beim Hinsetzen ein bisschen zu ächzen, das akzentuiert mein Sitzen, markiert es als meines.
Manche liegen gern in einer Wiese und schauen den Wolken zu. Manche kraxeln auf einen Berg und schauen ins Tal. Manche schwimmen im Meer, manche radeln, manche laufen und laufen und laufen, bis das Hirn bebt und die Lunge japst, manche dehnen, biegen und atmen auf Teufel komm raus, bis sie jung und schön sind. Ich aber sitze lieber. Ich gehe auch gern spazieren, langsam und nachdenklich, aber danach sitze ich gern wieder. Ich stehe auch gern an meinem Schreibpult. Aber danach sitze ich gern wieder. Ich liege gern in meinem Bett, schlafe und träume, aber schon bald nach dem Aufstehen setze ich mich wieder hin.
Sitzen hilft. Nicht immer, aber oft. Einfach dasitzen und die Welt Welt sein lassen. In aller Ruhe. Abwarten und Tee trinken. Lesen und schreiben. Ich erinnere mich zum Beispiel an meinen ersten Aufenthalt in Salzburg vor einigen Jahren. Die Stadt ging mir rasch ziemlich auf die Nerven. Nicht die Häuser und Gassen, nicht die Kirchen und Plätze, nicht Berge und Fluss ― das war alles schön und gut ―, sondern die Leute, die Besucher, die Touristenmassen. Ich war noch kurz oben auf der Festung Hohensalzburg, dann gab ich auf, ich konnte nicht mehr. Ich vertrug keine Menschen, kein Geschwätz, kein Schlangestehen, kein Gaffen, kein Im-Weg-sein mehr. Gegen den Strom stieg ich den Berg hinunter, sehr verstimmt, richtig übellaunig, fertig mit der Welt. Ich stolperte durch irgendwelche Straßen und ging Richtung Hotel. Dort, in der Linzer Straße, setzte ich mich vor ein Café, bestellte Tee und Salzburger Nockerln, von denen mir versprochen wurde, sie würden eine halbe Stunde brauchen, was schon recht beruhigend auf mich wirkte. Einige Zeit später war ich ganz ruhig, regelrecht gelassen, sogar heiter und amüsiert. Ich saß da und ein bunter Menschenstrom zog an mir vorüber, jede Menge Besucher aus aller Herren Ländern, dazu einige versprengte Einheimische, beides gut zu unterscheiden, dazwischen ein paar Musiker mit Instrumenten, alle in eine Richtung eilend, da stand wohl noch etwas bevor. Ich schaute, trank Tee, las, trank Tee, machte mir Notizen, trank Tee und versöhnte mich nach und nach mit der Stadt und ihren Benutzern. Spätestens nach den Nockerln waren wir geradezu befreundet, Salzburg und ich. Auch die Menschen hielt ich wieder einigermaßen aus. Das kam vom Sitzen. Später am Tag und in den nächsten Tagen ging ich viel herum, schaute und hörte und roch und schmeckte. Sich durch eine Stadt zu bewegen, dass man etwas von ihr hat, ist eine Kunst. Aber die Grundlage davon und von manch anderem ist der geschickte Gebrauch des Gesäßes, wenn ich so sagen darf.
Sitzen ist ganz mein Ding. Ich bin dafür wie geschaffen. Oder vielmehr, ich habe mich entsprechend ausgebildet. Habe auch die Statur dazu. Zu mir passt es also. Für andere ist es nichts. Viele sitzen ja auch einfach falsch. Ich mache da niemandem einen Vorwurf, ich stelle es nur fest. Diese Leute, die immer auf dem Sprung sein müssen, die hierhin und dorthin laufen, oft fahren, irgendwann anhalten, weitermarschieren, sich im Kreis drehen, vorankommen, kurzum immer in Bewegung bleiben müssen, diese Leute also sitzen nicht im Ernst, sondern bloß so vorübergehend, eigentlich schon woanders, merklich ungern, nur eben mal kurz, lediglich zu irgendeinem Zweck. Sitzen aber muss nachgerade wie ein Selbstzweck sein, nur dann ist es richtig. Die Kunst ist, dazusitzen, als hätte man immer schon gesessen und als könne es auf der ganzen Welt keinen Grund geben, je wieder aufzustehen. Nur so sitzt man richtig. So sitze ich. Für mich ist Sitzen keine Zwischenlösung, für mich ist es die Hauptsache. Ich bin ein Sitzer.
3.
Früher war auch die Zukunft besser, nämlich offener und irgendwie freier. Heute ist sie mehr oder minder geschlossen und festgelegt. Früher hieß es: Das und das könnte kommen, seht euch vor oder freut euch. Heute heißt es: Das und das wird kommen, so oder so, euch bleibt nur, euch damit arrangieren, am besten rechtzeitig, also spätestens jetzt, noch besser schon gestern. Zukunft ist immer noch Hoffnung und Drohung, aber das ist nicht mehr unterscheidbar, denn was kommt, ist ohnehin unvermeidlich, also muss man sich damit abfinden, jede Wertung ist Geschmackssache und darum womöglich schon überholt. Entwicklungen sind nicht aufzuhalten. Was möglich ist, wird gemacht werden, sobald jemand eine Möglichkeit gefunden hat, damit Geld zu verdienen. Es kommt nicht darauf an, ob die Leute das und das wollen, man wird schon dafür sorgen, dass sie es wollen, wenn es erst einmal da ist, das ist Teil jedes Geschäftsplans, man wirbt nicht um Zustimmung, man stellt sie her und setzt sich damit durch.
Also heißt es: So und so werden wir leben, da ist gar nichts zu machen, das kommt, man muss jetzt schon mitmachen, sonst bleibt man übrig, fällt heraus, kommt nicht mehr mit. So und so werden wir wohnen, essen, schlafen, lernen, reisen, arbeiten. Die Zukunft ist schon beschlossene Sache, ist schon durchgerechnet und muss nur noch eintreten.
Das autonome Fahren wird kommen, das Internet der Dinge wird kommen, der Grüne Pass wird kommen, das Handy ersetzt jetzt schon Schlüssel, Bargeld, Ausweis und weiß der Teufel was. Die Digitalisierung ist schon da, aber sie wird auch erst noch kommen, so richtig nämlich. Der durchdesignte Mensch wird kommen, Weltraumreisen werden für jeden erschwinglich sein, Plastik wird vermieden werden, Rassismus wird besiegt sein, Luft und Wasser werden sauber sein, die Stadt wird allen gehören, Fleisch muss teurer werden, Fernflüge auch, aber man wird ohnehin von Zuhause aus alles erleben, was man sich leisten kann, Sex und Karibik, Mars und Atlantis, jeder wird im Cyberspace arbeiten, nur die Putzkräfte nicht.
Die Welt ist komplex, das Weltbild simpel. Einerseits ist grundsätzlich alles verfügbar, andererseits alles vorherbestimmt. Alles ist zulässig, und was derzeit noch umstritten ist, kann demnächst zulässig gemacht worden sein. Nur keine überflüssigen Beschränkungen, Hindernisse, Verzögerungen, Tabus. Alles, worum es geht, ist mehr oder minder frei gestaltbar, aber Freiheit ist nur noch als Wahl zwischen vorgegebenen Realitäten denkbar. So ist es aber auch besser, nämlich sicherer für alle. Manchmal ist, was man will, alternativlos, dann muss es natürlich auch gewollt werden, alles andere wäre unvernünftig.
Es gilt: Man darf sich der Zukunft nicht entgegenstellen, weil man es gar nicht kann. Es kommt, wie es kommen muss. Es wird schon werden. Für jedes Problem gibt es eine Lösung. Die wird gewiss gefunden werden. Was gefunden wird, ist vermutlich die Lösung. Was war eigentlich das Problem? Die Zukunft ist unsere einzige Chance. Die sollten wir uns nicht schlechtreden lassen von irgendwelchen Kleingeistern. Vermasselt das jetzt nicht. Heute schon zu wissen, wie es morgen sein wird, verschafft ein gutes Gefühl. Ungewissheit ist Unsicherheit ist Unfriede. Zukunft darf nie wieder ungewiss sein, wo kämen wir denn sonst hin.
4. (Scherzo. Tempo di menuetto)
Mein Land? Was soll das heißen? Ich habe kein Land. Mir gehört hier kein Quadratmillimeter, hier nicht und anderswo auch nicht. Besäße ich aber ein Land, also Grund und Boden, womöglich reichlich davon, dann müsste das ganz und gar mein Land sein, mein unantastbares Eigentum, mein niemandem außer mir untertäniges Fürstentum. Dann sollen sie nur kommen, die Landvermesser und Steuereintreiber, die Polizisten und Rekrutierungsbürokraten, die Statistiker und all die anderen Staatsknechte. Ich ließe die Hunde los, das landfremde Gesindel zu verbellen und verjagen. Oder ich böte meine Bauern auf, die zudringlichen Eindringlinge mit Dreschflegeln, Heugabeln und Sensen aufzuhalten und zurückzuschlagen. Oder ich riefe meine Kosaken herbei, meine Husaren oder Lanzenreiter, um die blutsaugerischen Besatzer zu Paaren zu treiben, sie meinetwegen mit ihren Säbeln in Stücke zu hauen, links und rechts und rechts und links, wenn Blut fließen muss, dann muss eben Blut fließen, bis endlich der Spuk vorüber und das herrenlose Lumpenpack ein für alle Mal abgetan wäre. So denke ich mir das jedenfalls.
Meine Zeit? Was soll das heißen? Ich habe kein Zeit …
5.
Irgendwann wird es heißen, wir haben unsere Maschinen von unseren Herstellern nur geliehen. Eigentum bedeutet, umfassend über etwas verfügen zu können. Wer aber verfügt hier über wen? Der Verbraucher über das Gerät? Warum dann der Zwang, dieses und jenes zu haben und es so und so zu benützen? Oder verfügen nicht eher die Hersteller über die Verbraucher? Wer arbeitet denn für wen? Die Verbraucher arbeiten, um für Waren bezahlen können, die sie möglichst rasch durch neue Waren ersetzen sollen. Zweck der Arbeit ist demnach der Profit der Firmen. Gebrauch von Gekauftem und Daseinsfristung sind nur Nebeneffekte. Der Konsument ist ein Konstrukt der Marketingabteilungen. Das Eigentum der Endverbraucher am Gekauften gilt nur auf Widerruf.
Deine Maschine weiß mehr über dich als du über sie oder dich selbst. Für deine Nutzer bist du eine Konstellation von Daten. Jede Aktion, jeder Interaktion produziert Daten. Du bist, was du gemacht hast, wo du warst, was du gesehen und gehört hast, wem du begegnet bist, was du geäußert, was du vermutlich gefühlt und gedacht hast. Was du bisher warst, bedeutet, wer du sein wirst. Deine Vorlieben werden dir bestätigt durch Angebote, die deinen Vorlieben folgen. Das Ausprobieren von Neuem, eine Geschichte des Geschmacks mit Wendungen, Brüchen, Neuanfängen ist nicht vorgesehen. Konsumiere, was du schon immer konsumiert hast, und sei glücklich und zufrieden. Schau dir allenfalls an, was andere, die gekauft haben, was du gekauft hast, auch noch gekauft haben. Das willst du doch vielleicht auch. Wenn nicht, wird das ebenfalls registriert. Dann bekommst du beim nächsten Mal andere, ganz auf deine Persönlichkeit zugeschnittene Angebote. So erfährst du, wer du bist.
Die Industrieprodukte sind schon Müll, wenn sie die Fabrik verlassen. Ihr Design schwindelt darüber hinweg. Die Waren sind darauf berechnet, weggeworfen zu werden. Nach dem Verkauf oder, als Abschreibeposten, davor. Eine Ding, das für alle Zeiten in Gebrauch wäre, wäre für Hersteller und Verkäufer nutzlos. Gebrauch darf nur eine Zwischenlösung sein, bis endlich die Entsorgung anfällt. Wir leben im Müll. Mittelbar und manche ganz unmittelbar. Warum auch nicht? Alle natürlichen Ressourcen werden angezapft, Unwiederbringliches wird verbraucht, alles wird verschmutzt und vieles vergiftet, warum dann nicht also auch am anderen Ende, beim Konsum, im Verworfenen leben? Daran ändern auch Recycling und Upcycling nichts. Sie setzen ja Weggeworfenes voraus. Aus Müll etwas Nützliches zu machen, macht Müll nützlich. Auch Müllvermeidung ist nur eine Marginalie, solange die Fabriken noch produzieren. Verwende du nur weniger Plastik, sammle Abfall in Wald und Flur und spende für die Reinigung der Meere: Die Umsätze und den Profit der Konzerne tangiert das nur peripher. Die sind schlauer. Die verkaufen dir noch das, was du zum Müllvermeiden brauchst. Etwa das Gerät, das dir sagt, wie du wann wo am besten beim Nichtmitmachen mitmachst.
Deine Maschine weiß mehr als du. Was Wunder, wo doch Wissen längst selbst zur Maschine geworden ist, zu einem neutralen Universum aus Nullen und Einsen. Wissen ist Information und Information ist greifbar. Ein Klick, und der Zugang zu megaenzyklopädischem Wissen ist ein Klacks. Die Bibliotheken und Archive sind im Prinzip alle offen. Man müsste nur lesen können. Noch nie in der Geschichte der Menschheit stand freilich so viel Wissen so vielen so einfach zu Verfügung und nie waren die Massen dennoch so desinformiert, so desinteressiert, sich zu bilden. Früher hatten die meisten Menschen mehr zu tun, als ihnen lieb war, um auch nur das Notwendigste zu besorgen, was sie zum Überleben brauchten. Das gilt auch heute noch für viel zu viele, aber ein großer Teil, in den Gesellschaften des Nordens, hat eher das Problem, wie er seine Freizeit verbringen soll. Bildung ist dabei keine Option. Bildung ist durch Ausbildungssysteme vorgegeben, die hat man durchlaufen oder nicht, darüber gibt es Bescheinigungen, das hat nichts mit einem selbst zu tun. Lebenslanges Lernen, gut und schön, aber das ist doch nur was für den Job, das betrifft das Geldverdienen, nicht die Person. Bildung hat nichts mit einem selbst zu tun, das macht man für andere, um zu beweisen, wie sie einen einstufen sollen. Bildung ist außerdem fast immer gleich wieder veraltet. Nicht nur, weil man das meiste nur für Prüfungen lernt, sondern weil nur das Aktuell zählt. Was früher war, ist Sache von alten Leuten. Wir leben jetzt und wissen besser, was eigentlich Sache ist.
Maschinen sind das Gegenteilung von Bildung. Sich Wissen anzueignen, auch auf Vorrat, um sich in der Welt orientieren zu können, um andere und sich selbst zu verstehen, um Vergleiche anstellen zu können zwischen dem, was ist und was war und was hätte sein können, um kritische Fragen zu stellen und durch Kenntnisse des Zustandekommens, der Voraussetzungen und Absichten nicht nur das, was einem gefällt, besser genießen, sondern nicht zuletzt sich Neuem und Unbekanntem aussetzen zu können, auf die Gefahr hin, überwältigt zu werden ― das könnte Bildung sein. Eine Maschine kann das nicht. Sie verarbeitet Daten, die ihr gleichgültig sein müssen. Sie kann nicht werten. Sie kann nur programmierte Algorithmen anwenden. Sie mag schneller, stärker, geschickter sein, sie mag Denken und und sogar Fühlen simulieren können ― wenn vorab Denken und Fühlen nach Art dessen, was Maschinen simulieren können, konzipiert wurden ―, aber sie kann nicht dein Freund sein, nicht dein Feind, nicht dein Lehrer, nicht dein Zuhörer. Sie kann dir nichts beibringen außer der Benutzung von Maschinen. Sie versteht nichts und kann dir nichts verständlich machen. Nur von Menschen kannst du erfahren, was es heißt und heißen könnte, ein Mensch zu sein. Von Maschinen und ihren Ideologen erfährst du allenfalls, dass du ein Ding unter Dingen bist. Vielen genügt das leider bereits. Das verstehe, wer will.
Stefan [Broniowski]
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