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Verankerung: Sprache und Denken

"Emotionen, Denkvorgänge und Wahrnehmungsmuster mit all ihren Widersprüchlichkeiten im menschlichen Sein sind meist Thema meiner Arbeiten. Hauptsächlich geht es mir darum, gesellschaftliche und kulturell bedingte Grenzsetzungen und menschliche Denkkonventionen zu untersuchen und zu hinterfragen."

In meine literarische Arbeit fließen oft philosophische Betrachtungen und wissenschaftliche Bezüge ein. Ich baue Brücken zwischen sonst getrennten Domänen, übersetzte Konzepte in lyrische Momente, um Zusammenhänge erlebbar zu machen.
Aber in diesem kurzen Essay möchte ich einige Gedanken, die hinter der lyrischen Arbeit stehen und mich immer wieder beschäftigen, ansprechen.

Verankerung: Formt Sprache die Vorstellung von der Welt?

Als Beispiel nehme ich hier das Denkmuster Geist_Körper. Dieses Denkmuster ist sehr alt und bereits in der sokratischen Epoche zu finden. Festgeschrieben wurde die Unterscheidung, diese Unterteilung in Geist und Körper, bei Platons philosophischem Ansatz. Platon war ein langjähriger Schüler von Sokrates und entwickelte in seiner mittleren Schaffenszeit die Ideenlehre. In seinem Konzept der Ideensphäre sind die Dinge seit jeher existent – und zwar in idealer Vollkommenheit und reiner Perfektion. Bei ihrer Verkörperung in die Welt verlieren sie teilweise ihre 'idealen, ideellen Ausformungen'. Aspekte davon wurden von der christlichen Religion übernommen, doch die Idee erfuhr eine Uminterpretation. Hier stoßen wir auf die Differenzierung von Körper und Seele, denn das Geistige wurde (dem Göttlichen zugeschrieben) in Form des 'Heiligen Geistes'. Die Seele fungiert als unsterblicher Teil, der weiterexistiert, auch wenn der Körper stirbt. Dies konnte einerseits als Trost und anderseits als moralische Drohung (Jüngstes Gericht) für Unterdrückung leicht eingesetzt werden. Denn damit ist keine Speise gemeint.

Auch wenn man weder religiös noch Platonist ist, ist diese dualistische Denkweise immer noch fest in unserem Sprachgebrauch verankert. Wir sprechen vom Geist, als wäre er eine eigene Entität, die in uns haust. Aus Gewohnheit? Viele Jahrhunderte galten Körper und Geist, beziehungsweise Materie und Geist, als zwei getrennte Begriffe/Entitäten.
Glauben wir das immer noch?

Das Phänomen der 'Verankerung', wie ich es oben nannte, tritt oft auf. Die innere Gesinnung, das Wissen um etwas, hat sich zwar verändert, oft aber wird deswegen keine neue Sprechweise erfunden, man greift auf schon bestehende Worte und Begriffe zurück. Die Begriffe sind jedoch mit älteren Bildern und Vorstellungen aufgeladen; ziehen sie den 'Geist' (hier ein Exempel für den üblichen Sprechgebrauch des Begriffs 'Geist') zurück und lassen ihn nicht los?

Da stellt sich die Frage, ob gewisse Probleme schon allein aus vererbten Sprechgewohnheiten überholter 'Grundsetzungen' herrühren. Das angeführte Geist-Körper-Beispiel ist sprachlich weitläufig verankert, sodass uns die Veralterung des Denkmusters kaum auffällt.
Ein anderes, leichter ersichtliches Beispiel für eine alte Verankerung ist die Redewendung 'Die Sonne geht auf'. Wir wissen seit der kopernikanischen Wende (16. Jh.), dass die Erde nicht der Mittelpunkt unseres Sonnensystems ist, aber verwenden diese Redewendung weiter.
Wir übergeben sie und die damit verbundenen Vorstellungsbilder den Kindern.

Bei meinen literarischen Erzählungen versuche ich, solche Sprachgewohnheiten zu unterbrechen, um aufmerksam zu machen, ein Beispiel:
"Unter ihren nackten Füßen spürt sie Gras und Erde, über ihr der freie Himmel, kurz vor dem Sich-Verfärben, wenn die Erde sich von der Sonne abwendet. " Oder:
"Lange geht und geht sie und mit ihr dreht sie sich, dreht sich mit Augustina diese Welt, ihre Welt dreht sich der Sonne, ihrer Sonne zu. "
Aus: AUGUSTINAselbst, Passagen Verlag, S. 156 und S. 213

Nicht nur in der Alltagssprache oder Literatur – und damit meine ich nicht bewusst eingesetzte Worte, die nicht mehr gebräuchlich sind, denn diese können wiederum besonders reizvoll als Aufmerksamkeitsleuchtkerzen fungieren – finden wir solche Gewohnheitsverankerungen.

Ein diffizileres Beispiel, über das ich oft nachdenke, da mich Naturwissenschaft sehr fasziniert, kommt aus der Domäne der Physik: der Welle-Teilchen-Dualismus in der Quantenmechanik. Beides, Teilchen (Korpuskel) und Welle, waren im mechanistischen Weltbild erfasst und auch als Begriffe sprachlich vorhanden. Um die vorletzte Jahrhundertwende wurde man in der Quantenmechanik mit Phänomenen konfrontiert, die einerseits der Wellenmechanik und andererseits dem Verhalten von Teilchen in gewissen Aspekten ähnelten.
Die länger diskutierte Frage war: Hatte man es nun mit Lichtteilchen oder Lichtwellen zu tun?
Man konnte sie nicht eindeutig einem bestehenden Begriff zuordnen. Das physikalische Weltbild erlebte damals eine Revolution, lang geglaubte Vorstellungen über die Welt wurden über Bord geworfen. Doch sprachwissenschaftlich interessant ist: Man erfand keine andere Bezeichnung, sondern setzte ein UND zwischen Teilchen- und Wellenbegriff, erschuf eine Dualität* – wobei den Physikern klar ist, dass es sich nicht um Teilchen oder Wellen im klassischen Sinn handelt, sondern um eine Uminterpretation.

Doch zurück zu der Sprechweise von Geist und Körper als getrennten Entitäten – was folgte daraus?

In den Geisteswissenschaften wurde deutlich: Aus der Trennung von Geist-Körper erwuchsen Probleme, denn:
Wo ist der Geist im Körper zu finden, sitzt eine Maschine im Kopf*?
Wie kann man den Geist messen? So die heutige Suche der materialistisch erzogenen Erbkinder.
Und wie ist die Qualia* zu erklären?
Wo sitzt das Bewusstsein, wer hat es?

Hier wird deutlich, dass es sich nicht um ein rein sprachliches Problem handelt, sondern dass Sprache, Vorstellung und Wahrnehmung in stetigem Austausch und Zusammenhang stehen.
'Bewusstsein' nennt man eine spezielle Form von geistiger Qualität, ein komplexes Zusammenspiel.
Bewusstsein wird heute als ein emergentes Phänomen angesehen, als ein Produkt der höchstentwickelten Lebensform, Mensch. Anderen Seinsformen aber spricht man meist Bewusstsein ab. Die Behauptung, dass Bewusstsein im Menschen vorhanden sei, ist objektiv nicht beweisbar. Wir erleben es, deswegen wissen wir es. Von außen ist es nicht wirklich feststellbar. Auch der Turing Test* brachte keine eindeutige Aussage.
So könnte man ebenso sagen: Die Behauptung, dass geistige Qualitäten in anderen Seinsformen nicht vorhanden sind, ist nicht verifizierbar. Die Beweislast läge genauso bei denen, die dieser Behauptung widersprächen.
Die Grenze zwischen lebendiger und toter Materie ist unklar. Sie wird per Definition gesetzt, aber dies sagt mehr über den menschlichen Horizont, über seine Wahrnehmung, aus als über die Wirklichkeit. Der Umgang der westlichen Welt mit Materie ist vom Christentum und Materialismus geprägt, gerade diese Haltungen ('Macht euch die Erde untertan' und Reduktion auf Messbarkeit und Gewinnmaximierung), glaube ich, wirkten sich maßgebend auf unser Verhalten aus. Das betrifft den Umgang mit Natur, Umwelt, mit Ressourcen, Tieren und anderen Seinsformen und steht in globalem Zusammenhang.

Aspekte des Geist-Körper-Diskurses und unterschiedliche Sichtweisen auf Materie verpacke ich gerade in einer schrägen, fiktiven Geschichte von einem Architekten und seiner unbekannten Schwester. Einiges mehr wird sich darin im witzigen Gewande einschleichen.

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Welle-Teilchen-Dualismus* ist als Begriff in den Sprachgebrauch eingegangen:
"Der Welle-Teilchen-Dualismus ist eine Erkenntnis der Quantenphysik, wonach den Objekten der Quantenphysik gleichermaßen die Eigenschaften von klassischen Wellen wie die von klassischen Teilchen zugeschrieben werden müssen." Aus Wikipedia

Maschine im Kopf* / Descartes
Der französische Philosoph René Descartes hatte die Vorstellung, dass das Gehirn als oberste Instanz den Körper steuert. Er teilt den Menschen in Leib und Seele ein und glaubt, dass beide über die Zirbeldrüse im Gehirn miteinander wechselwirken. Den Körper stellt er sich als mechanisch funktionierende Maschine vor. Er war ein Vertreter des Rationalismus und vor allem des Mechanizismus. Mechanizismus bezeichnet die Ansicht, dass der Mensch, die Tiere sowie das Universum dem Wesen von Maschinen gleichen. In dem „Traité de l’homme“ geht Descartes darauf näher ein – z. B. dass das Herz des Menschen wie ein Ofen funktioniert ...

Qualia*
Philosophen nennen Qualia (Einzahl: Quale) die uns introspektiv zugänglichen phänomenalen Aspekte unseres mentalen Lebens. Darunter fallen verschiedene innere Erlebnisarten und -zustände wie etwa: das Empfinden eines
Geruches, eine Farbwahrnehmung, das Befühlen einer Oberfläche mit den Fingern sowie auch innere
Gefühlszustände unterschiedlichster Art. Der Begriff bezieht sich dabei auf die jeweils gemachte innere subjektive Empfindung oder das Erleben.
Die Zusammenhänge von Qualia mit der physischen Welt (speziell mit dem Gehirn) sind in der philosophischen Debatte zum Geist-Körper-Problem sowie zum Verständnis des Bewusstseins zentral. Die Arten von Erklärungsmodellen und Positionen in der Debatte zeigen ein weites Spektrum.
Eine extreme Position, der Qualiaeliminativismus, auch eliminativer Materialismus genannt, negiert die Existenz von Qualia gänzlich und plädiert für eine Abschaffung des Begriffes. Vertreter sind etwa Daniel Dennett sowie das Ehepaar Patricia und Paul Churchland. Sogenannte repräsentationalistische Ansätze führen die Qualia auf repräsentationale Zustände zurück. D.h., die neuronale Repräsentation eines Zustandes ist bereits auch das Erleben. Manche sehen das Problem als für die Menschheit (derzeit) unlösbar an, siehe dazu etwa Thomas Nagel, welcher auch einen viel diskutierten Beitrag zum Qualia-Problem geleistet hat ('What it is like to be a bat?').

Turing Test*
de.wikipedia.org/wiki/Turing-Test

Elisa [Asenbaum]


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