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Hurra, wir leben noch!
Skizze 21.031.982

§1

Technologische Netzwerke sind Systeme, die der sozialen Kommunikation zur Verfügung gestellt werden, um neue technologische Entwicklungen möglich zu machen. Die jeweils für ihre Zeit innovativen technologischen Netzwerke haben unsere Gesellschaft vorangetrieben und unsere sozialen Netzwerke, also Arbeits- und Lebensweisen wesentlich geprägt.

Die Schiene hat die europäische Arbeits- und Produktionsweise in alle Weltgegenden gebracht. Sie hat den Informations- und den Handelstausch beschleunigt und damit revolutioniert. Die industrielle Revolution wäre ohne die Dampfmaschine und die Eisenbahn wohl kaum möglich gewesen. Das Prinzip der Mobilität wird für alle gesellschaftlichen Arbeitskräfte zu einem wesentlichen Element ihrer Lebensführung. Immer größere Teile der Bevölkerung sind unterwegs. Die Schiene ist dabei immer noch ein kollektives Mobilitätsmedium.

Mit der Entwicklung des Automobils und dem Ausbau der Feldwege zu ausgeklügelten Straßen und Verkehrsleitsystemen wurde die Mobilität individualisiert. Zur Mobilität gesellt sich die Flexibilisierung beinahe aller gesellschaftlichen Arbeitskräfte. Mit zunehmender Mobilisierung der Menschen durch das Auto, wurde es aber auf den Straßen und damit auf den Highways, die zur Arbeit führen, immer enger. Die logische Konsequenz war, daß neue Formen des Informations- und Handelstausches gefunden werden mußten.

Das Kabel, die Drähte und daran angeschlossen die digitalen Endgeräte als Übersetzungsgeräte haben der Mobilität und der Flexibilität ungeheure Beschleunigungswerte verschafft. Wir müssen den Ort nicht mehr wechseln, um mobil zu sein. Mobilität bekommt eine neue Bedeutung. Mobil ist nicht mehr der Mensch, sondern sein Produkt, seine Ideen, seine Werke und Informationen. Eine weitere Individualisierung findet statt. Wir bewegen uns nicht mehr individuell auf einem Highway mit tausend anderen gleichförmigen Maschinen, sondern sitzen zu Hause, am Arbeitsplatz, im Hotelzimmer, am Badestrand und bewegen unsere Produkte, Ideen und Informationen. Wenn wir so wollen, wird in der Informationsgesellschaft nicht mehr produziert, sondern bewegt.

Im 21. Jahrhundert wurden wir mit der Imaterialisierung der vorangegangenen Netzwerke konfrontiert. Zur Mobilität, Flexibilität wird die Virtualität hinzugefügt. Produktion und Information kommen nur mehr durch virtuelle Datenübetragung zustande.

Die Wirtschaft und ihre Produktionsmechanismen ändern sich also durch den Einsatz neuer Technologien schneller, als sich der wesentlich "unflexiblere" Arbeitsmarkt, der ja mit Menschen zu tun hat, darauf einstellen kann. Die Entwicklung neuer Technologien schreitet rascher voran, als die Politik und im speziellen die Beschäftigungspolitik darauf reagieren kann.

Dieser Prozess führt dazu, dass die Politik und Wirtschaft auf der einen Seite und Lebensalltag der Menschen auf der anderen Seite immer weiter auseinanderdriften und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung als zwei diametral entgegengesetzte Interessen wahrgenommen werden anstatt als Kehrseite der selben Medaille, eines immer weiter fortschreitenden Netzwerkkapitalismus, in dem die Maschinen, und die von ihr hervorgebrachte Künstliche Intelligenz, den Menschen an die Peripherie seines eigenen Produktionsprozesses drängen. Dieser Vorgang verwandelt den Menschen vom Produzenten zurück in das, was er von Anbeginn gewesen ist: einen Konsumenten.

Raimund [Bahr]


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