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litera[r]t
[heft 3] [september 2011] wien - st. wolfgang
Wiederkehr des Geistes?
Peter Hodina
»Wiederkehr des Geistes?« Was meinen Sie, was meint Ihr mit Geist? »Geist – wer ist denn dieser Bursche?«
fragte einmal Schopenhauer, im Affront gegen die Geistesverhimmelung im Gefolge des Deutschen Idealismus.
Mir ist nicht verborgen geblieben, dass es inzwischen eine sogenannte »Philosophie des Geistes« gibt, stark
verankert in der angelsächsischen Welt, die das Thema des Geistes anders angeht, als es etwa in den
Ideologien der Nachkriegszeit angegangen wurde: nicht, sei es in wertkonservativer Absicht, um das
zivilisatorische oder kulturelle Niveau von Bildungseliten nach dem Totalbankrott der kollektivistischen
Barbarei wieder anzuheben, sei es in progressivistischer, mehr egalitärer, in die Breite zielenden
aufklärerischen Absicht. Im Nachhinein zeigt sich, dass diese beiden Tendenzen nicht so weit auseinanderlagen,
wie es in den weltanschaulichen Zeitkämpfen damals den Anschein hatte.
Ich persönlich neige der Ansicht zu, dass der Geist nicht wiederzukommen braucht, weil er immer da war: in
einzelnen Menschen. Als Literat darf ich die Subjektivität für unhintergehbar erachten. Gibt es den Geist oder
gibt es Geist außerhalb der Individuen? Oder erwartet man den Geist als ein Pfingstereignis, das ein
Kollektiv, eine Menschenmenge erfassen kann, die nicht weiß, wie ihr dabei geschieht? Gab es eminent geistige
Epochen, sodass »Wiederkehr des Geistes« zu verstehen wäre als Wiederkunft der Götter des Geistes, wie manchmal
Heideggers Hölderlin-Interpretationen eher raunend als argumentativ es erhoffen ließen? Fragen dürfen auch
offengelassen werden; manches Fragen bedeutet nichts anderes als ein Aufstoßen der Fenster. Deshalb muss uns
aber noch nichts zufliegen, doch frische Luft kommt herein. Immerhin.
Denken wir über den einzelnen Menschen besser, finden wir nicht wie Pascal das Ich hassenswert, doch der
Ergänzung und Öffnung bedürftig. Der Geist ist eher dem in der Verantwortung stehenden Subjekt zugetan als
den anonymen Kollektiven, deren Marschtritt die Subjekte oft genug zertrampelte. Die Zeitgenossen und
Nachgeborenen des 20. Jahrhunderts spätestens wissen, was Martin Buber folgendermaßen ausdrückte: »Die
Kollektivität ist nicht Verbindung, sie ist Bündelung: zusammengepackt Individuum neben Individuum,
gemeinsam ausgerüstet, gemeinsam ausgerichtet, von Mensch zu Mensch nur so viel Leben, dass es
den Marschtritt befeure.«(1) Also kein »Geist« mehr von 1914, auch kein »Geist« der Oktoberrevolution
und kein »Geist von Potsdam« und dergleichen anderes aus der Sphäre der Politik und der Propaganda Stammende
mehr. Die große Geschichte hat ganz einfach zu viele Opfer gefordert; wir ziehen uns deshalb in kleinere
Geschichten zurück oder auch manchmal in – z.B. kosmologische – Geschichten, die geräumiger als die sogenannte
Weltgeschichte sind. Buber sprach auch von »heimlicher Geschichte«(2). Das ist meine heimliche Geschichte, die
mir wichtig ist, die mein Leben illuminiert, aus der ich lebe und gedeihe, die ich beweine und verwinde.
Kann sich der Geist dennoch einmal wieder niederlassen auf mehr als jeweils einen einzigen Menschen? Martin
Buber noch einmal, er tastet sich an solche konkrete Utopie heran: »Gemeinschaft [...], werdende Gemeinschaft
(nur die kennen wir bislang) ist das Nichtmehr-nebeneinander-, sondern Beeinandersein einer Vielheit von
Personen, die, ob sie auch mitsammen sich auf ein Ziel zu bewege, überall ein Aufeinanderzu, ein dynamisches
Gegenüber, ein Fluten von Ich zu Du erfährt: Gemeinschaft ist, wo Gemeinschaft geschieht. Die Kollektivität
gründet sich auf einem organisierten Schwund der Personhaftigkeit, die Gemeinschaft auf ihre Steigerung und
Bestätigung im Zueinander.«(3)
Mehr noch als dass das ein »linguistic turn« wäre, ist das ein »dialogic turn«.
(1) Martin Buber: Das dialogische Prinzip, 6. Aufl. Gerlingen 1992, S.185.
(2) Ebd.
(3) Ebd.
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