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litera[r]t
[heft 3] [september 2011] wien - st. wolfgang
Mirjam’s Pub
Peter Simon Altmann
Mirjam’s Pub, ein Nachtlokal am nördlichen Rand der Salzburger Innenstadt, taucht in mehreren Büchern
von Peter Handke auf, aber in nur einem wird es namentlich erwähnt, und wahrscheinlich bin ich nicht
der erste Adept, der deswegen diese Bar aufsucht. Vor etwa fünf Monaten wollte ich schon einmal
zusammen mit meiner Freundin, die zu jener Zeit gerade auf der Germanistik mit dem Erstellen eines
Referats über »Nachmittag eines Schriftstellers« beschäftigt gewesen war, nach dem Mittagessen einen
Kaffee dort trinken, doch mußten wir bei der gläsernen Eingangstür lesen, daß erst um 16 Uhr geöffnet
wird. Und auch schon vor ungefähr zwei Jahrzehnten, als damals die besagten Bücher von Handke erschienen
sind, hatte ich daran gedacht, einen Lokalaugenschein in Mirjam’s Pub vorzunehmen. Aber irgendetwas hielt
mich zurück, obwohl ich mir sonst viele der von Handke beschriebenen Orte in Salzburg angeschaut habe.
Bevor ich mich auf den Weg mache, hole ich die Fotos hervor, die ich zusammen mit meiner Freundin damals
auf der Straße vom Lokal gemacht habe. Und beim Betrachten derselben wird mir wiederum klar, warum ich
bisher keinen Fuß in Mirjam’s Pub gesetzt habe. Von außen betrachtet macht das Ganze keinen vertrauenswürdigen,
sondern vielmehr einen eher zwielichtigen Eindruck. Es scheint mir kein Ort zu sein, an dem ich eine Frau alleine
hingehen lassen würde. Die von Metallrahmen in abgeschmacktem Mittelblau eingefaßten Glasscheiben beim Eingang
und beim Fenster spiegeln mehr als gewöhnlich und weisen den Blick eher ab, als daß sie für ihn durchlässig
wären. Hinterm Fenster verhindert noch dazu eine Art Paravent und die Rückseite einer Leinwand die Sicht ins
Innere. Was in dem Beisl genau vor sich geht, soll den Passanten anscheinend verborgen bleiben. Ob es sich
aber tatsächlich um eine Spelunke handelt, hätte ich nicht sagen können. Würde sich jedoch dieses Pub in der
Nähe des Bahnhofs befinden, täte es mich nicht besonders wundern, wenn sich darin ein paar Animiermädchen
herumtreiben. Ein Bekannter, der sich in der Lokalszene von Salzburg gut auskennt, hat mir erzählt, daß Mirjam’s
Pub gerne von Nachtschwärmern zu später Stunde besucht wird. Es sei einer der wenigen Orte, an denen man noch um
4 Uhr in der Früh in Ruhe ein Bier trinken könne. Und wenn ich wirklich diese Kneipe kennenlernen will, dann
sollte ich am besten eine ganze Nacht dort verbringen, am besten bis 6 Uhr in der Früh, hat mein Bekannter
noch gemeint. Ansonsten wirbt der Besitzer mittels am Fensterglas aufgeklebter Buchstaben in den
Schriftzügen Sportübertragungen, Großleinwand und Live um sportinteressierte Gäste.
Dies war zur Handkes Zeit sicher noch nicht so gewesen.
Auch wenn ich mich nicht als zu schick für dieses Beisl empfinde oder davor zurückschrecke, glaube ich
doch schon im vorhinein zu wissen, daß dies kein Platz für mich ist, an dem ich gerne die Zeit verstreichen
lassen will. Zu den Anfängen meiner Studentenzeit, als ich noch öfters um die Häuser gezogen bin, wäre dies
vielleicht anders gewesen.
Da ich annahm, daß Handke nicht gerade in den frühen Morgenstunden, sondern eher in den frühen oder späten
Abendstunden das Lokal aufsuchte, entschloß ich mich an einem Abend im April, als auf Grund der fortgeschrittenen
Dämmerung bereits die Straßenlaternen zündeten, in Mirjam’s Pub zu gehen. Beim Eintritt verunsicherten mich
sogleich die schmierigen Typen, welche im hinteren Teil des Lokals bei einem hohen Tisch und rund um den
Ausschank standen oder auf hohen Hockern saßen. Ich konnte nichts mit ihnen anfangen, manche würde ich sogar
als Gratler bezeichnen, die jüngeren Männer aber zum Teil einen sehr ordentlichen Eindruck machten und besser
als ich gekleidet waren. Keine Frage, alle gehörten der eingeschworenen Gemeinde der Trinker an.
Als ich das sympathische Gesicht des Wirtes sah, beruhigte ich mich etwas, bestellte ein großes Bier und setzte
mich in den vorderen Teil des Raumes, der dunkel gehalten war, damit die Sportübertragung auf der Großleinwand
besser mitverfolgt werden konnte.
Während ich mich im Lokal umschaute, bemerkte ich, daß es sich bei den Sitzbänken, welche kojenartig um sechs
Tische gruppiert waren, um Holzbänke aus einem alten Zug handelte. Zwei davon sind sogar durch Metallstangen
miteinander verbunden mit den dazugehörigen Gepäcknetzen in der Luft, und in den alten Fensterrahmen des Zuges,
welche jetzt links und rechts an den Wänden kleben, hatte der Besitzer anstelle des Glases Poster von
Dampflokomotiven plus Garnitur angebracht. Ferner ist bei jeder Unterseite des Rahmens jeweils das typische
Messingplättchen eingenagelt, auf dem steht, daß man sich nicht hinauslehnen soll. Auf meine Frage, wie er
denn zu dieser Einrichtung gekommen sei, antwortete mir der freundliche Wirt, daß er sie vor 35 Jahren vom
Eisenbahnmuseum erworben hat.
Auf der Großleinwand lief ein Eishockeyspiel, die Salzburger Bullen gegen den KAC. Es handelte sich sogar um
ein Finale. Ich bin kurz vor Beginn des zweiten Drittels gekommen.
Was Handke hier wohl wollte? Hatte er sich hier gelegentlich vollaufen lassen, wenn ihm alles zu Kopf stieg?
Ich möchte in diesem Beisl jedenfalls keine Bekanntschaften schließen, und ich wundere mich, warum Handke
sich unter diese trinkenden Männertypen begab. Vielleicht weil dieser Ort mit Literatur sogar nichts am Hut hat, weil man hier nicht gemustert und vollkommen in Ruhe gelassen wird, prüfende Blicke gänzlich
ausbleiben. Das kann man diesen Menschen am Rande der Gesellschaft hoch anrechnen. Und eine Jukebox befindet
sich auch noch immer in der Bar, ein neueres Modell jetzt zwar, eine mit CDs anstelle der alten Vinylplatten,
und die würzige Gulaschsuppe mit Steinpilzen und dem getoastetem Schwarzbrot dazu schmeckte vortrefflich. Wer
weiß, vielleicht treibt es mich wieder einmal auf ein Bier und eine kleine Mahlzeit hierher.
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