Logo Verlag z
e
i
t
s
c
h
r
i
f
t

f
ü
r

l
i
t
e
r
a
t
u
r





litera[r]t
[heft 3] [september 2011] wien - st. wolfgang



blättern [zurück] [weiter]
[zeitschriftenindex]
Offener Brief an die Generalversammlung der IG Autorinnen Autoren im November 1999
Armin Anders, Raimund Kremlicka


Vorbemerkung
Ausschnitte aus einem Interview

Welche Rolle spielt deiner Meinung nach die Kulturpolitik für die/den Entwicklung/Status quo der Wiener Kunstlandschaft?
Ich denke, daß die Kulturpolitik immer mehr zu versagen beginnt. Das kann ich eigentlich nicht nur den Politikern anlasten, sondern vor allem auch den Künstlerinnen und Künstlern. Wo sind denn die Visionen? Und wenn es nur Untergangsvisionen wären, die die Kulturpolitik zwingen würden, offensiv zu reagieren, so wie damals Kreisky reagieren mußte, weil die Künstlerinnen und Künstler ihn mit Aktionen dazu gezwungen haben? Kulturpolitik hat zwei Aspekte: Politik und Kultur. Wenn eine der beiden Seiten ausläßt, läßt sie die andere im Stich. Im Augenblick haben wir eine Situation, in der sich beide Seiten nicht mehr bewegen. Und warum? Weil die gesamte Szene in den letzten zwanzig Jahren ökonomisiert wurde. Die kulturelle Sozialpartnerschaft hat die Literaturszene lahmgelegt. Damit will ich nicht sagen, daß die Literatur nicht mehr Geld bekommen soll. Damit will ich nur sagen, daß die Szene mit dem Geld nichts weiter macht, als sich weiter zu institutionalisieren. Da steckt eine unglaublich kleinbürgerliche Moral dahinter. Ein kleinmütige Position, die die Politiker zu keiner Großzügigkeit in der Kulturpolitik verleitet. Wir müssen jedoch die Politiker zu der Kulturpolitik zwingen, die wir von ihnen erwarten. Da muß ich schon sagen, daß so mancher Kulturbeamter weiter ist als die Politik und die KünstlerInnen selbst.


Was wird/kann sich in den nächsten Jahren am Sektor Literatur ändern?
Da bin ich pessimistisch. Ich sehe nirgendwo eine Aufbruchstimmung. Was sich ändern sollte, ist meiner Meinung nach, daß wir unsere defensive Position aufgeben müssen. Wir sollten zwar weiter Geld fordern, aber nicht um unser Überleben zu sichern, sondern um unsere künstlerischen Prozesse zu sichern. Kunst ist natürlich Arbeit. Aber Kunst war immer Freizeitvergnügen, außer wir hatten einen Mäzen. Heute ist halt der Staat als Mäzen eingesprungen, deshalb denken wir Schriftsteller auch, daß wir von der Ökonomie, vom Kapital unabhängig sind. Aber das stimmt so nicht. Unsere Stipendien, unsere subventionierten Bücher sind Steuergelder, die ja schliesslich irgendwer einbezahlt hat. Mit welcher Selbstverständlichkeit wir auf die Staatssubventionen zurückgreifen und uns über eine „Billa“-Angestellte erheben ist eigentlich unglaublich. Ich bin pessimistisch, was die Szene betrifft. Ich setze da schon eher auf die Jungen. Die haben keine Berührungsprobleme mit Institutionen. Die kennen die alte Szene nicht. Die schaffen sich ihr eigenes Milieu, abseits aller Kulturbürokratie, abseits aller ökonomischen Verhältnisse, abseits der Verlage. Die werden sich einfach ins Internet begeben und dort publizieren. Ich denke, das Internet wird das Buch nicht umbringen, aber es wird das Urheberrecht außer Kraft setzen. Und da wäre ja schon viel gewonnen, wenn wir von der Ökonomisierung der Kunstprozesse wegkämen. Noch mehr wäre allerdings gewonnen, wenn wir von der Ökonomisierung aller sozialen Prozesse wegkämen.
Peter Bergh im Gespräch mit Raimund Kremlicka | Volksstimme, Mai 1999


Ein fest verankertes Repertoire an gescheiterten Strukturen und Massnahmen
Anmerkungen zu Gegenwart und Zukunft von Interessenvertretungen in Österreich



1. Die faktische Bankrotterklärung sozialdemokratischer (Kultur)Politik

Zu den Fakten
1. Eine der Vorsitzenden im Kulturausschuß der Gemeinde Wien ist eine FPÖ-Abgeordnete.
2. Der Vorsitzende des Kulturausschusses des österreichischen Nationalrats ist ein FPÖ-Abgeordneter (eben gewählt!).
3. In Wien hat die SPÖ als erstes nach der letzten Wahl das Kulturamt an die ÖVP übergeben (der verantwortliche Bürgermeister ist heute der wichtigste Mann neben dem Bundeskanzler in der SPÖ!).
4. Es ist wohl inzwischen auch bekannt, dass die SPÖ auch in den jetzigen Regierungsverhandlungen der ÖVP das Kunstministerium angeboten hat.

Jahrzehnte sozialdemokratischer Kulturpolitik, Jahre sozialdemokratischer Kunstkanzlerschaft, der berüchtigten Chefsache Kunst, Jahrzehnte und Jahre der Kooperation - manchmal Komplizenschaft - zwischen den zumeist gealterten Kultur- und Kunstfunktionären, den zumeist uninteressierten Kulturbeamten und den immer inkompetenten Kulturpolitikern haben der Kunst, insbesondere der Literatur, eines gebracht, nämlich: Nichts!

Niemals war die Kunst, insbesondere die Literatur, nach 1945 in Österreich so marginalisiert wie heute. Im Erfolg treffen sich die Kulturpolitiker mit ihrem Apparat mit den Kultur- und Kunstfunktionären mit ihrem Apparat. Ihr politischer Erfolg - für die Kunst und die Künstler - ist gleich null.

Was für die SPÖ und das gesamte System der Sozialpartnerschaft gilt, das gilt umso mehr für die Interessenvertretung der Autorinnen und Autoren. Diese sollte nicht (länger) warten, bis sie abgewählt wird (... immer weniger aktive und engagierte Mitglieder, immer weniger Subvention, eine Niederlage nach der anderen: Buchpreisbindung, Rechtschreibreform, Steuergesetzgebung ...).

Diese sollte agieren anstatt unentwegt nur zu reagieren und an den tatsächlichen Problemen vorbeizuagitieren. Die immergleichen Fragen mit den immergleichen Antworten reichen nicht mehr - politisch wie in bezug auf die Interessenvertretungen.

Die letzte Wahl sollte auch der IG Autorinnen Autorn zu denken geben und sollte umfassende und angemessene Konsequenzen haben.


Alle Interessenvertretungen und die von diesen Vertretenen sollten die Zeichen der Zeit lesen und auf die tatsächlichen und realen Probleme der Zeit kreativ und konstruktiv Antworten finden.

Die IG Autorinnen und Autoren, immer noch die aktivste und attraktivste aller österreichischen Interessenvertretungen, könnte dabei eine Vorreiterrolle spielen.

2. Die Reform aller Strukturen fundamentaler Diskurs über die Perspektiven

Ihr habt immer gemeint, das sei was, aber ich sage euch: es ist nichts als ein Skandal, das, was ihr hier seht, ist euer vollkommener Bankrott, eure Dummheit ist es, die hier öffentlich demonstriert wird, eure Denkfaulheit und eure Verkommenheit.
Bertolt Brecht

Die IG Autorinnen und Autoren (IGAA), immer noch die aktivste und attraktivste aller österreichischen Interessenvertretungen, muss dabei eine Vorreiterrolle spielen.

Das kann nur heißen, eine umfassende Reform in und von der IGAA aus in Gang zu setzen, bevor die politischen und ökonomischen Bedingungen sie dazu zwingen. Erst wenn sich in den Interessenvertretungen wiederum etwas bewegt, der Veralterung und Versteinerung entgegengewirkt wird, kann von diesen Organisationen wiederum etwas bewegt werden. Alle Interessenvertretungen besetzen heutzutage keine (politischen, programmatischen, künstlerischen ...) Positionen mehr, sie besetzen nur noch Posten.

Gegen alle Kritik und alle Versuche von Reformen aus dem Inneren der Kunst-Institutionen und -Organisationen wurde und wird hart vorgegangen, alles Kritische wurde unterdrückt und ausgegrenzt. Das monarchische bzw. das Führerprinzip gegen das man bei den politischen Parteien argumentiert, hat sich längst in diesen Institutionen durchgesetzt und jedes demokratische, politische Handeln ersetzt.

Stur wurde argumentiert, dass alle Kritikan den herrschenden Zuständen der FPÖ in die Hände spielt. Dieses Totschlagargument war damals Unsinn, Lüge und Verrat und ist es heute umso mehr. Verantwortlich für den endlosen Siegeszug der Freiheitlich, dieser extremistischen und rassistischen Führerpartei, sind die gestern und heute in der Politik und den Kunst- und Kulturvertretungen Agierenden und Regierenden. Die Stärke des braunen Jünglings ist die Schwäche des politischen Systems mit all seinen offiziellen und inoffiziellen Vertretern. Diese haben die letzten zwanzig Jahre nichts anderes getan, als Territorien zu sichern bzw. zu verteilen.

Aus kulturellen Bewegungen wurden so Organisationen und zuletzt Institutionen mit einer weltfremden Funktionärsschicht und veralteter Bürokratie, die nach innen allen politischen Widerstand und Diskurs zum Erlahmen brachten, während sie sich mit den Kulturpolitikern, vor allem der Kulturbürokratie arrangierten. Vom politischen Kampf um die Ökonomie, die Verteilung der Mittel, blieb letztlich nur das mehr oder weniger geschickte Verwalten der Defizite auf beiden Seiten.

Zwischenbemerkung

Macht endlich den Schritt in die 90er Jahre!
(Ausschnitte aus einem Kommentar von Dietmar Ecker, 36, SPÖ im „Profil“, 47/99)

Anfang der 70er Jahre hat die Sozialdemokratie für viele Bevölkerungsschichten neue Chancen eröffnet. Vor allem unter der jungen Generation erzeugte dieser Kurs eine regelrechte Aufbruchsstimmung. Die Funktionärsschicht der Sozialdemokratie rekrutierte sich stark aus dieser Gruppe und trug den Reformkurs mit. Seither sind fast dreißig Jahre vergangen. Entsprechend hat sich das Alter dieser Funktionäre nach oben verschoben, aber auch das der Stammwähler. Im Zentrum dieser Symbiose stand immer deutlicher einzig und allein die Verteidigung des Erreichten. Und das vor allem gegen nachwachsende jüngere Bevölkerungsschichten.

Diese sind im Alltag mit dauernden Veränderungen konfrontiert. Zunehmender Arbeitsdruck, höhere Anforderungen an die individuelle Ausbildung vor allem von Frauen, die wesentlich selbstbewusster eigene Positionen vertreten als noch die Müttergeneration. Alles Entwicklungen, die innerhalb der Funktionärsschicht nicht ausreichend realisiert wurden, da man dort einzig über das bisher Erreichte positive Identifikation bezog. Wer heute durch die Mariahilferstraße spaziert, bemerkt eine eindeutige Tendenz. Beim ersten Möbelgeschäft stößt man auf ein Basismöbelpaket für Jungfamilien, wenige Meter weiter bewirbt die Bankfiliale eine besonders günstige Privatpensionsvorsorge für junge ArbeitnehmerInnen, und schließlich gibt es ein paar Geschäfte weiter noch das besonders günstige Strompaket für die erste Wohnung. Also Antworten auf die fundamentalen Themen der jüngeren Generation: leistbares Wohnen, kein Vertrauen in die Pensionssicherheit und Erhöhung des verfügbaren Einkommens schon zu Beginn der Berufswelt und nicht erst am Ende.

Die offizielle Politik blieb in diesen Fragen weitgehend ohne irgendeine Aktivität.


Nicht nur in diesen Fragen - zur Erinnerung
1. Eine der Vorsitzenden im Kulturausschuß der Gemeinde Wien ist eine FPÖ-Abgeordnete.
2. Der Vorsitzende des Kulturausschusses des österreichischen Nationalrats ist ein FPÖ-Abgeordneter (eben gewählt!).
3. In Wien hat die SPÖ als erstes nach der letzten Wahl das Kulturamt an die ÖVP übergeben (der verantwortliche Bürgermeister ist heute der wichtigste Mann neben dem Bundeskanzler in der SPÖ!).
4. Es ist wohl inzwischen auch bekannt, dass die SPÖ auch in den jetzigen Regierungsverhandlungen der ÖVP das Kunstministerium angeboten hat.


3.
3.1. Während


Während das ökonomische System längst im 21. Jahrhundert ist, ist das politische, aber auch das System der Kultur- und Kunstvertreter immer noch im 19. Jahrhundert (und wie wir oben lesen, würde sich ein sogenannter Kommunikationsberater der SPÖ schon freuen, wenn die Partei 1999, am Ende des 20. Jahrhunderts einen Schritt in die 90er macht - ohne zu sagen, welches Jahrhundert er meint!)

Während Digital Publishing (CDROM, Internet/Websits, Books on Demand usw.) alle Produktionsverfahren und alle Distributionsverhältnisse revolutionieren, also die Verhältnisse der Literatur- und Kunstproduktion fundamental verändern, agieren die Interessenvertreter wie auch die Politikerkaste: Weitermachen wie immer! Das ist nicht nur zu wenig. Das ist absolut tödlich.

3.2. Was wir brauchen

Was wir brauchen, ist ein Diskurs, ein öffentliches Streiten und eine offene Gesprächskultur, in der - engagiert, informiert und sachbezogen - über die Konflikte und Probleme diskutiert wird.

Was wir brauchen, ist ein Denken, das riskiert. Ein Denken, das Türen aufstößt und Räume aufmacht. Ein Denken, das sich engagiert.
Was wir brauchen, sind so viele Menschen wie nur möglich, die bereit und willens sind, Gesicht zu zeigen und Position zu beziehen und die offensiv von den Politiker/innen einfordern, das zu tun, wofür sie gewählt und bezahlt werden: nämlich Politik, das demokratische Gestalten der Gesellschaft; will sagen: konstruktive Eingriffe in die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.

Was wir brauchen, sind intelligente und engagierte Künstler. Die Kunstbetriebe wie die Kulturpolitik müssen sich nach den Bedingungen der Künstler ausrichten und orientieren, nicht umgekehrt wie bisher. Die Infrastrukturen müssen den Bedürfnissen der Künstler angemessen werden, nicht den Erfordernissen der Bürokratie und Politik.

Was wir brauchen, sind reale Vernetzungen, damit wirklich so etwas entsteht wie eine allseits funktionierende Infrastruktur und möglicherweise, vielleicht nach Jahren auch eine vielfältige und schillernde Szene. Gefordert ist eine Offenheit und Flexibilität aller Strukturen, der etablierten und der einzurichtenden. Entscheidungsmonopole müssen aufgeweicht, monolithische Strukturen durch eine Differenzierung oder Diversifizierung gebrochen werden.

Was wir brauchen, ist ein neuer Geist - in der Politik, in der Kunst, in den Organisationen und Institutionen. Diese müssen sich öffnen und diese müssen von innen umgebaut werden, bevor sie - von außen - abgebaut und letztlich geschlossen werden.

Armin Anders, Raimund Kremlicka
Wien, 27.11.1999

3.3. Post Scriptum

Wir versichern, dass das unsere letzte Wortmeldung im Rahmen der IG Autorinnen Autoren ist und wünschen allen Kollegen einen
Guten Rutsch ins neue Jahrtausend!


Logo Verlag ein projekt [ag literatur]
blättern [zurück] [weiter]
[zeitschriftenindex]