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[heft 14] [dezember 2016] wien - st. wolfgang



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Zur Welt kommen

Franz Bertolt K.


1

Früher oder später muss jeder Mensch zur Kenntnis nehmen, dass er in der Welt ist, dass er Teil dieser Welt ist, dass er nichts weiter, als das Spiegelbild der Welt ist. Materie ist. Biologisches Material. Haut und Knochen und am Ende nichts als Staub.


2

Realität ist das, was uns umgibt. Das was ist, auch wenn wir nicht wären. Existenz erlangt sie durch unser Dasein. Deshalb ist es unbedeutend zu erfragen, was wäre, wenn der Mensch nicht wäre. Es wäre eben Nichts.


3

Diejenigen, die an Gott glauben, würden sagen, nun dann gäbe es ja noch die Tiere und die Pflanzen und die Obstbäume, von denen sich die Tiere nähren. Und das Wasser und die Luft und die Erde und die Sonne, im Grunde bliebe ohne Menschen doch die göttliche Schöpfung noch anwesend in der Welt. Da entgegne ich: Ja, der Glaube kann Berge versetzen. Aber auch Gott wäre nicht, wenn es uns nicht gäbe. Gott ist eben keine Materie, also keine Realität, kein materialistisches Prinzip, sondern ein geistiges Prinzip. Gott ist auch kein ordnendes Prinzip, sondern ein idealistisches Prinzip, eines, das sich nach dem freien Willen des Menschen ordnet. Es gehört dem Bereich der Wirklichkeit an, dem idealistischen Prinzip.


4

Diejenigen, die die Evolutionstheorie vertreten, würden ähnlich argumentieren. Wenn der Mensch nicht wäre, wären ja noch die Natur, die Tiere, die auf den Weiden äsen und die Pflanzen, die allüberall gedeihen könnten, den Asphalt von hunderten Zivilisationen überwuchern würden. Den Evolutionisten würde ich aber ebenso wie den Theisten entgegen halten: Ja, das Universum wäre noch da. Und als rhetorische Frage würde ich hinzufügen: Aber wüssten wir es? Wüsste das Universum etwas von uns Gewesenen?


5

Belangloses Geschwätz von den Theisten und den Evolutionisten. Ein Streit um des Kaisers Bart. Die Realität ist, was sie ist und sie braucht uns nicht zum Sein, aber um die Realität Wirklichkeit werden zu lassen, sind wir Menschen unersetzlich. Die Realität ist nur von Belang in Bezug auf uns und durch uns.


6

Das ist das Grundübel aller Allmachtphantasien, die der Mensch je entwickelt hat. Dieser Widerspruch lässt sich nicht auflösen, weder durch Religionen noch durch den historischen Materialismus. Der Mensch konnte seine Machtphantasien nur entwickeln, weil er dachte, er sei der Schöpfer der Welt und die Vorstellung eines Schöpfergottes, in welcher Kultur auch immer, ist nichts weiter als der Spiegel dieser Allmachtphantasie, dass durch uns die Realität Wirklichkeitscharakter erlangt.


7

Leider verwechselt der Mensch hier Ursache und Wirkung. Der Mensch ist Teil der Realität, weil er durch die Geburt in sie eingetreten ist, doch Existenz erlangt er nicht durch diesen Akt, sondern durch die Verwirklichung seiner Identität im Leben, dadurch das er die Welt wahrnimmt und die Welt ihn. Gott kam erst danach, als eine Art Legitimation dafür, dass der Mensch mehr sein kann als nur Natur, sondern eben ein Kulturwesen.



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