z
e
i
t
s
c
h
r
i
f
t
f
ü
r
l
i
t
e
r
a
t
u
r
|
litera[r]t
[heft 13] [juni 2016] wien - st. wolfgang
Immer an diesem See
Werner Rohner
Manchmal denke ich, ohne den See wäre das alles nicht möglich gewesen; die Gespräche beschränkter, die Abende kürzer und die Menschen
nicht mit dieser Abgeschiedenheit in sich selbst ausgestattet, die so viel Sprache ergeben hat. Wo wir uns in fünf Jahren sehen (Planwirtschaft!),
darüber haben wir mindestens fünf Jahre lang immer wieder gesprochen; und obwohl seither viel passiert und erreicht worden ist, wie weit vorbei man
an diesen Hollywoodträumen geschossen ist, wie viele Nobelpreise seither doch nicht an alte StroblerInnen vergeben wurden – und wie egal das geworden ist.
Dass das was Seltsames ist, diese Anpassungsfähigkeit an die Ereignis- und Zielverfehlungen, an all die Dinge, die nicht eintreffen, obwohl sie doch einst
auf der Hand oder zumindest zum Greifen nahe lagen. Wie dann plötzlich alles relativ wird und das Glück trotzdem daran wachsen kann. Und dass dann auch ganz
andere Dinge passiert sind. Das Leben halt.
Zeit, ein paar Mannerschnitten aus ihrem Zartrosa zu schälen, einen Pago dazu, gut, ein Bier vielleicht, sich nochmals an diesen See zu setzen, eine Sprache
zu finden – dieses Mal vielleicht nicht gleich eine total Neue – und die Zukunft, die nicht mehr ganz so lang vor einem sich erstreckt, zu beschwören.
Aber allein, hier, in London an einem Schreibtisch, in einem Häuschen mit zwei Zimmern, der Muezzin von fern, und – kein Witz – um diese Uhrzeit ein Hahn, der
kräht – ich weiß nicht. Überhaupt: Zukunft?
Das Schreiben. Doch, das Schreiben; dass das weitergeht. Wie? Wär doch jetzt an der Zeit das rauszufinden. Denn seit nunmehr 22 Tagen bin ich ohne festen
Broterwerb. Was also will ich, was erwart ich, was kann ich, was kann ich nicht; was kann ich, will ich aber nicht? Dabei, bis heut konnt ich mir nicht mal
die Frage, weshalb ich überhaupt schreib, zufriedenstellend beantworten – und hab es, ehrlich gesagt, auch schon lang nicht mehr versucht. Nur immer getan,
immer weitergeschrieben.
Gern hätte ich, dass ich mir die Freiheit lass, dann doch vielleicht mal noch damit aufzuhören – auch wenn ich bis heut keine rechte Ausbildung, nur ne dürftige
Berufserfahrung hab und kein Erbe in Sicht. Und gerade sehr dankbar bin, dass das Schreiben tatsächlich, wenn auch für eine sehr überschaubare Zukunft, zum Leben
reicht.
Mir selbst den Sinn erfinden, mit dem Schreiben, das war zu Beginn, mit 24, kurz vor dem ersten Mal Wolfgangsee, eine Erlösung. Inzwischen oft ein Kampf. Drum,
endlich mich in der Sinnlosigkeit versenken. Politisch bleiben. Der Welt erhalten. Den anderen Kampf kämpfen. Der Genauigkeit verbunden bleiben. Weiter alles
wissen wollen und doch mich nicht den Tatsachen ergeben. Das Schreiben weiter in erste Linie als Musik betreiben.
Und, obwohl inzwischen so viele angefangene Projekte so konkret in die nahe Zukunft reichen, immer offen sein, sie alle hinzuschmeißen, mich der Inspiration
(abgenutztes Wort) hingeben – und aber nicht nur aus Scheu vor der Arbeit (was immer das sein mag). Knochen und Laugen sammeln. Verhungerkünstler am Computer
mimen. Und kopfüber den Buchstaben die Silben abringen.
Ich schweife ab.
Weiterhin die Romantik nicht als Verklärung, sondern als Leidenschaft und Blickwinkel betreiben. Noch mehr den Formen abschwören und keine eigenen Gesetze
erfinden. Freiheit als Illusion erhalten und dafür kämpfen. Mit den Menschen reden. Ruhe, nicht Elfentürme bewohnen. Tanzen. Am Glück schrauben und dem Staat
untreu werden.
Aber jetzt konkret.
Wenn ich schreibe, mich daran erinnern, wie wir in Strobl saßen. Wie wir einander auseinandergenommen und Enthusiasmus preisgegeben haben. Wie wir dem Ufer
entlang spazierten. Wie ich in der Nacht, nach einer von vielen schlechtbesuchten Lesungen, im Auto mit Raimund Elvis Costellos „I want you“ hörte und noch
immer höre und noch immer in diesem Auto sitze (mit dem Schreiben hat das nie was zu tun gehabt, auch wenn ich das Stück seither oft zum Schreiben hör). Wie
wir Text für Text durchgingen, um 10 Uhr, davor beim Frühstück ein paar Äpfel mitgehen ließen, weil das Mittagessen wieder gekostet hätte, und sogar dabei
erwischt wurden, Texte sezierten, einen nach dem anderen. Behutsam und zerstörerisch ehrlich, wenig Ego dabei (für SchrifstellerInnen jedenfalls), und dann
über den Mittag daran arbeiteten, um am Nachmittag uns am See wiederzutreffen. Weiter zu reden. Immer redeten wir. Der eine Robert von der Zukunft und von
Nokia und der Zukunft und wo der Mensch da noch ist, mit Faszinationsfurcht und einer Sprache, die er selbst nicht kannte, und die ihm ab und zu drum abhandenkam.
Der andere Robert, und der Anders, lang, ein wenig erschöpft vom Hotel noch, und in einer Euphorie, die wohl immer erst auf der Fahrt nach Strobl einzog, danach
aber noch ein paar Wochen, Monate vielleicht gar, vorhielt. Barbara, von Anfang an, mit einer Sprache so ruhig und entschlossen wie ihr Crawl-Stil. Erika immer
und überall, mit alten Kämpfen und ewig neuem Elan. Petra mit Kraft. Und dann kam der Alexander das Jahr darauf dazu, und seither war alles ein wenig leichter,
im besten Sinne, lustiger, auch wenn manchmal mit ihm auf seine Kosten, wie er den alten Meistern selbst die Sänfte entriss und sich reinfläzte, und noch immer
darauf wartet, dass sie ihn endlich davon tragen. Und immer war da natürlich Ulrike, meine Liebe, die alles schon weiß, was ich über sie denke und sich doch
immer noch freut daran. Till und Peter W. kamen für mich zusammen und gingen weiter. Aber vor allem war da Raimund. Fixstern, fast immer nüchtern, mit einem
Furor, der mich heut noch manchmal ermahnt, es doch bitte sehr mir nicht so einfach – und der doch auch genießen konnte. Und dessen Kinder, trotz aller
Theorien und allen Modellen, einfach Kinder geworden sind und jetzt erwachsen bald, und dessen Liebe, sonst nur selten sichtbar, auch zum See kam und lachte
und sonst nicht viel redete. Und im Liegestuhl saß der Peter Simon Altmann allzeit. Die Gerhild und der Josef brauchten ihre Zeit und waren doch immer da. Und
der Rainer hat den Hölderlin aufm See im Ruderboot selbst gesessen. Ich war auch da. Ja, alle – da waren ja noch viel mehr und der hübsche und sehr nette Bernd –
an diesem See, sind immer ein wenig an diesem See geblieben. Walter am Ufer am Klavier und mitm Ol´55 davon. Dass man vielleicht deshalb sonst nicht mehr so
weit kommen musste. Das wär schon viel.
Und ich möchte gern unsere Badkleider, alle von damals, in einem Museum hängen sehen, noch tropfend bitte, ewig, und einem kleinen Erklärungstext, rechts
unten in Schreibmaschine nur: Darin saßen sie und redeten gescheit daher – es bekam ihnen sehr…
© beim autor
|
|