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litera[r]t
[heft 13] [juni 2016] wien - st. wolfgang



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DER KRANKE DICHTER.
3 MONOLOGE. (HOMMAGE

AN THOMAS BERNHARD)

Armin Anders


DER KRANKE DICHTER
UND DER MALER


ZWEITER MONOLOG


Morgens, leere Bühne, der DICHTER, kniend am Boden, er versucht, eine Mausfalle aufzustellen

Maler sagten sie / abstrakter Maler / Maler der Avantgarde / aber es gibt doch / keine Avantgarde mehr / Avantgarde / die ist doch / schon lange tot / mausetot sozusagen

Der DICHTER lacht

ist es denn noch möglich / heute / überhaupt noch möglich / ein Bild zu malen / heutzutage / in unsrer allseits betäubten Zeit / in solch lichtfinstren Tagen / allerorts / heute / ein Bild malen / und selbst wenn es ein abstraktes ist / ist denn das noch möglich / so etwas / wie die Wirklichkeit abzubilden / etwas zu spiegeln / irgendetwas ins Auge zu fassen / das Wirkliche wahrlich anzuschauen / sich ein Bild machen / wahrhaft / wie es doch so schön heißt / seit den guten alten Tagen / einst / ist es denn überhaupt noch möglich / heutzutage / etwas abzubilden / ist das Bild vom Bild / nicht immer auch ein Trugschluss / ein Bild vom Bild vom Bild vom Bild / eine Kette der Lüge also / niemals nicht eine Feststellung / nein / eine Verstellung eher / eine Entstellung insgesamt / ein Spiegel ohne Bild sozusagen / ein schwarzer Spiegel / ja / ist Kunst denn nicht immer auch / und vor allem / und überhaupt / ein Lüge / eine große eine schöne / eine wahrhafte Lüge / sagen sie nichts / es ist ein Lüge / ich weiß es / sie wissen es / wir wissen es / alle / wir haben nur / allesamt und immerzu / vor allen diesen Dingen / diese seltsame / diese innerstanerzogene Hochachtung

Der DICHTER versucht, aufzustehen, er scheitert, er weist jegliche Hilfsversuche schroff ab, er setzt sich auf den Boden, breitet die Beine aus, hebt die Hände in die Höhe

mein Lebtag / mein Lebetag / nur mit Kunst zugebracht / nicht mit den Menschen / im Allgemeinen / im Besonderen / mit der Schauspielkunst / der schönsten aller Künste / der schönsten aller Verstellerkünste / der menschlichsten all der MenschenFallenstellerkünste / eine Lüge / naturgemäß / eine einzige große / großartige gewaltige / gewaltsame Lügnerei / Lug und Trug / wie es so schön heißt / nichts sonst / immerzu / mein Lebetag / nichts anderes / im Allgemeinen / und im Besonderen / meine Lebetag daran ergötzt / nur die Kunst hat mich hochgehalten / nur die Schauspielkunst / sie alleine hat mich emporgehoben / allerzeit / allerorts / in die erhabenen Lüfte / ins Elysium / im trockenen Atem / der Kunstbretterwelt / die Bretter / die Welt / sie wissen schon / die Bretter /die wir uns dann / allzu genussvoll / ein Leben lang / gegenseitig kunstvoll / hochachtungsvoll / voll der Erniedrigung dann / auf den Kopf nageln / das Hirn genagelt / wie man so schön sagt

Der DICHTER atmet mehrmals schwer ein und aus und deutet Stimmübungen an

mit jedem Atemzug / Wort für Wort / buchstäblich / Die Wahrheit zelebriert / erhoben / erhaben / ein einziger Orgasmus / eine Epiphanie / ein Fanal

Der DICHTER versucht weiterhin, aufzustehen

Nein / helfen sie mir nicht / ich brauche keine Hilfe / ich will keine Hilfe / die Torheit des Alters / werden sie sagen / nein / sage ich / es ist die Tugend des Alters / die Einsicht in das Unvermeidliche / dem wir alle zustreben / ob wir wollen oder nicht / auch wenn wir es nicht wissen wollen / nichts wissen wollen / ja und doch / vor das wir alle / eines Tages / gestellt werden / unvermeidlich / wie alle die Lügen / mit denen / von denen / wir leben / heutzutage / alle Tage / nicht

Der DICHTER setzt sich wieder gemütlich und breit auf den Boden

tagtäglich / und auch sie / auch der Künstler ist einer / gerade der Künstler / auch der avantgardistische Künstler / dieser eigentlich nicht mehr / existierende Zukunftskünstler / in einer eigentlich nicht mehr / existierenden Gegenwart / ist er einer / der da ist / und dann doch wieder nicht / ein lebendiger Leichnam / eigentlich / wie wir alle / ja / was aber / was aber hat das / für einen Sinn / frage ich sie / ich war immer vorne / auch wenn vorne / manchmal hinten war / Ha / ich sage ihnen / es hat nichts gebracht nichts / die Stirn runzelt sich / die Haut legt sich in Falten / man wird älter und älter / das ist alles / das Leben / das Leben / ist doch eine einzige große Lüge / eine einzige große Lebensunmöglichkeit / im Kleinen / so wie im Großen / wir wissen es /eine lebenslangeweilige Lebenslügnerei / sozusagen /naturgemäß / ja

Der DICHTER versucht wiederum, aufzustehen, er scheitert abermals, er lacht

Ha / abstrakter Maler / sagten sie / Avantgardist / im Anfang des 21. Jahrhunderts / Weltkunst sozusagen / naturgemäß / Was für eine Zukunft / Was für eine Vergangenheit / ich weiß / sie wollen keine Rat / ich weiß / sie brauchen keinen / ich sage es trotzdem / ja ich rate ihnen / lesen sie in der Bibel / junger Mann / lesen sie / solange sie noch können / das Alter kommt von alleine

Der DICHTER schafft es, aufzustehen, er steigt in eine Mausefalle, sie schnappt zu, er fällt schwer auf den Boden, der DICHTER atmet einmal schwer ein und aus und schreit

Ah / Nein

VORHANG

[DRITTER MONOLOG]



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