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De Rose Solis oder vom Sonnentau
Der Sonnentau ist hochbegabt und ein ganz fürtreffliches Kraut. Ein jedes seiner Blätter ist gestaltet wie die Sterne, die Farben von gar sonderlicher Röthe, worin dunkele gelbe Strahlen uns erscheinen, fast so als wäre es von Haar. Ein Kraut der Sonnen, doch von zarter Consistenz ist er, geschmiedetem Golde gleich, stets von wohl temperirter Natur und Eigenschafft.1 (ut)
Sprich mir in Zungen, sprich mir von Alchemie. Von der Weißmachung schwarzer Materie durch Pressen des Pflanzensafts aus taudurchtränkter Leinwand. Sprich mir vom Blut des grünen Löwen, von vegetabiler Chemie und den Kräften der Natur allesamt. (sm)
Je heisser die Sonne scheinet, je wärmer die Zeit und trockener das Land, um so mehr Tropfen tragen diese Blätter. Weil sie sich ganz von selbst befeuchten und so gar überflüssig mit Tau überschütten. Woher all dieses seinen Ursprung nimmt? Das ist als miraculum DEI zu betrachten. So haben denn auch etliche vermutet, es gäbe jenes Kraut allein in Engelland. (ut)
Über dem Bottich halten wir jede ein Ende des trefflich gewebten Tuchs. Weiberwerk! Splendor solis von unserem Tun abgeschrieben: Wring out the clothes ... ring in the new! Und kennen kein Niederhalten der naturgemäßen Heilkunst, und wringen die Prima Materia aus allem, was uns umgibt: Tau und Sonne und fleischlicher Glanz! (sm)
Jedoch bedenke: wer dermaßen taut, liegt ganz gewiss nicht in trockenen Tüchern. Wiewohl du ihm gleich zwantzig Mahl am Tag den Tau abschüttelst. Und was wir purum ab impuro nennen, ist eine fiese Falle, an der die Fliegen verrecken. (ut)
Wir wollen auch die Fliegen nicht vergessen. Wiewohl uns letztlich doch die Rinder näher stehn. Säugende Tiere auf der Weltenweide. Hamburger, Wiener Schnitzel, Steak (well done)? Oder doch besser Beef Tartare (für Rohgenießer). (ut)
Was es nicht geben soll, das kann es auch nicht geben. Das wusste schon Carl von Linné. Dass sich auch Pflanzen von Tieren ernähren, das sei doch wirklich wider die Natur. Karnivorie bloß eine Phantasie. Und als Idee, den Drachenträumen gleich, dunklen Gedanken unheilvoll entwunden. (ut)
Aber es gibt sie doch, die fleischfressenden Pflanzen. Das hat bereits Charles Darwin letztgültig bewiesen. 2 Und wer beweist uns endlich, dass es Drachen gibt?! (ut)
Ob wir – wie sie – vom Mondlicht leben könnten? Pflanzen und Tiere blieben unberührt. Oder wir züchten sie in Petrischalen. Ach, diese schöne neue Welt! In-vitro, tier- und pflanzenschutzkonform, jenseits der rohen Ackerfurchenhände. (ut)
Hier kommt der rundblättrige Sonnentau ins Spiel, denn seine Drüsentropfen sind gewebeähnlich. Klebstoff aus Sonnentau-Sekret kann Zellen vorteilhaft verbinden. Hoch lebe die Gewebezucht. Heureka! (ut)
1 Die kursiv gesetzten Textstellen in diesen Passagen sind dem Kapitel De Rose Solis: Oder vom Sonnentaw in Heinrich Khunraths Schrift Medulla destillatoria et medica renovata et augmentata (Hamburg 1605) entnommen, einer Anleitung zur Herstellung alchemistischer Zaubertränke mit trefftigen Wirckungen.
2 Charles Darwin in seinem Werk Insectivorous Plants (London 1875)
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