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Persönliche Anmerkungen zu Stefan Broniowskis Paradoxon

Es ist schwierig auf einen Text nicht zu reagieren, der so vorblildlich die Sache des Schreibens auf den Punkt bringt, wie Stefan Broniowskis Text [Zum Paradoxon der schriftstellerischen Existenz]. Ich kann dieses durchaus nachvollziehen, doch auf persönlicher Ebene habe ich es nie als solche erlebt, denn ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, ob Schreiben ein solche Paradoxon zwischen dem Schreibprozess und dem Leseprozess existieren. Vielleicht weil Schreiben für mich ja nicht nur Ausdruck war, sondern Lebensform. Manchmal erscheint es mir so, als hätte ich mir mein Leben erschrieben. Rückblickend muss ich sagen, dass ich eigentlich nur existiert haben werde, weil ich geschrieben habe. Auch das scheint ein wenig ein Paradoxon zu sein, das vielleicht beide Seiten von dem beinhaltet, wovon Stefan Broniowski schreibt: „Selbstüberhöhung“ der schriftstellerischen Existenz nach innen und Management der literarischen Position nach außen.

Beinahe paradigmatisch verwirklicht sich in mir das von Stefan behauptete Paradoxon. Um mich selbst als Schriftsteller behaupten zu können, dorthin zu kommen, heuet einer zu sein, musste ich, aus einem intellektuellen Überlebenswillen, in der Wiener Situation meiner Jugend mein Literaten-Ego aufpumpen und die kühne Behauptung erheben, ich wolle der bedeutendste Schriftsteller in Österreich an der Wende zum einundzwanzigsten Jahrhundert und damit zum dritten Jahrtausend werden. Und gleichzeitig habe ich, gemeinsam mit Armin Anders, einen Verein und einen Verlag gegründet, mit denen ich diese Behauptung nach außen managen wollte. Das erste ist mir gelungen, das aufgeblasene Ego, hat sich in ein echoloses literarisches Dasein verwandelt, dass durchaus noch davon überzeugt ist, ein großes Werk von Bestand schaffen zu können, oder wie es Sartre einmal so treffend formulierte, ich bin beseelt davon ein literarisches Genie zu sein, weil in mir ein unausrottbarer Hang zum Entwurf einer Welt haust, der die Gesellschaft nicht nur aufrütteln will, sondern in der Lage sein will, diese auch zu verwandeln.

Diese psychologische Grundkompetenz hat mich befähigt, über beinahe dreißig Jahre hinweg einen Verlag aufrechtzuerhalten, der nach wie vor solidarisch und literarisch Autoren dabei zu helfen will, ihren schriftstellerischen Außenauftritt zu managen. Wie erfolgreich ich/wir damit gewesen sein werden, müssen andere beurteilen. Was ich in diesem Prozess jedoch verloren habe, ist das, wovon Stefan spricht, wenn er schreibt: „Romantisch gesagt“. Ich habe meine literarische Unschuld verloren, als ich begriffen habe, dass Schreiben allein nicht in die Mitte der Gesellschaft führt, denn das von Stefan angesprochene Paradoxon in der literarischen Existenz, ist ja nicht das einzige. Es gibt da noch ein weiteres, dass vor allem unsere Generation, die Generation der „Boomer“ betrifft. Es ist das Paradoxon, dass wir Welt beschreiben und uns Welt erschreiben, dass wir erfüllt waren vom utopischen Weltgehalt der Literatur und dass dieses Utopische im Laufe unseres Lebens in uns erloschen ist. Und damit auch die Möglichkeit über die ideologische Leere, die heute in der Welt herrscht, schreiben zu können. Im Schreiben gibt es nämlich auch das Paradoxon zwischen literarischem Wollen und den realen, herrschenden, politischen (gesellschaftlichen) Gewaltverhältnissen.

Insgeheim wollte ich immer in das Herz der bürgerlichen Mitte vorstoßen, mich dort einnisten, um dort mit meiner Waffe, die mir als einzige zur Verfügung steht, dem Wort, tiefe Wunden zu schlagen, um das Herz der Bürger zu treffen, es zu zerschneiden und damit den Kleinbürger in mir wie ein weidwundes Tier zurückzulassen. Das Utopische in mir war erfüllt von dem Glauben, den Kleinbürger, wie es Horvath so exzeptionell beherrschte, entlarven zu können und gleichzeitig das System, das ihn hervorbrachte, wie Kafka es beschrieb, anzugreifen. Und vielleicht die beiden dadurch zu versöhnen, in dem ich nicht nur schreibe, also aufzeige, wie es sich mit der Welt verhält, sondern durch ein ergänzendes politisches Handeln diese Verhältnisse auch zu verändern. Also Sartres und Brechts Losungen umzusetzen.

Das Paradoxon meiner schriftstellerischen Existenz ist also vor allem eines zwischen Welterschreibung und Weltveränderung. Beides bedarf eines utopischen Willens und Wollens. Doch wenn der Gegenstand des utopischen Ziels, die bürgerliche Gesellschaft, in der sich der Autor verortet und dessen Feind sie ist, sich verflüchtigt, die Aufklärung zusammenbricht, der Kollaps der Mitte an den Rändern zu existentiellen Katastrophen führt, dann ist der Autor, der bis dahin als wichtiger Player der gesellschaftlichen, bürgerlichen Wirklichkeit verloren, nicht nur weil er seinen Markt verliert, weil sich das Paradoxon zwischen literarischer Existenz und gesellschaftlichem Engagement auflöst, sondern weil der Gegenstand, den er verhandeln möchte, verloren gegangen ist: das bürgerliche Individuum.

Und ein letztes noch, mit dem ich Stefan antworten möchte: Ich habe mich (außer in meiner Anfangszeit) nie als einen Schreiber empfunden, der isoliert war, nicht einmal echolos (denn die Echolosigkeit, von der ich so gerne spreche, ist ja keine Pose, sondern der Versuch, das was vor sich geht, sichtbar zu machen, einen Begriff von etwas, durch eine literarische Form zu schaffen), denn seit ich mich bewusst entschieden habe, in der Welt zu leben, also mit etwa vierzehn Jahren, als ich mich entschied Lehrer zu werden und später dann mit siebzehn, als ich mich entschied Schriftsteller zu werden, habe ich immer zu den Menschen gestrebt, nie von ihnen weg. (Beides bin ich letztendlich geworden.)

Schreiben war für mich nie Weltflucht, sondern immer Welterfahrung und Welteroberung. Ich habe mich immer der (oft schmerzhaften) Kritik durch andere ausgesetzt. Durch die Auseinandersetzung mit anderen bin ich der Autor geworden, der ich heute bin, weil ich, wie ich denke, es geschafft habe, und schon wieder diese Überhöhung und Selbstbehauptung, von der Stefan spricht, meine Epoche und meine Generation nicht nur zu verstehen, sondern sie auch literarisch zu verdauen, wie Sartre einmal gesagt hat.

Mein literarisches Genie ist nicht das des einsamen Wolfes, des Steppenwolfes, mein literarisches Genie besteht darin, das Paradoxon zwischen literarischem Werk und gesellschaftlichem Handeln in meiner Person aufgelöst zu haben. Wir gut ich darin war, wird die Geschichte zeigen und das Echo, das ich in ihr geworfen habe. Mein einziges intellektuelles Versäumnis oder Versagen besteht darin, in all den Jahrzehnten nicht ausreichend zur Kenntnis genommen zu haben, dass das, was ich gesucht habe, nicht mehr existiert, das eben beschriebene Paradoxon, das meine schriftstellerische Existenz von Anbeginn durchzogen hat, nicht gesehen zu haben, dass der Mensch als Bürger, als Zentrum gesellschaftlichen Handelns, als Subjekt der Geschichte verlorengegangen ist, ausgelöscht, für alle Zeit.

Die Anzeichen waren da, doch mein unausrottbarer Hang zum Utopischen hat verhindert, dass ich das Dystopische in der Welt sehen konnte oder wollte. Ein weiteres Paradoxon also, mit dem man sich beschäftigen könnte.

Stefan Broniowski | Zum Paradoxon der schriftstellerischen Existenz | Literart Heft 24 | Seite 9 | [lesen]

Raimund [Bahr]


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