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AUFZEICHNUNGEN ZUR ZEIT


HEUTE SPRICHT DIE SRACHE NICHT (MEHR)


Heute spricht die Sprache nicht mehr. Sie ist sprachlos geworden.
Ilse Aichinger

I
Die Sprache heute wird gesprochen, alleine um die Massen allesamt zu unterhalten istgleich um die Meisten unten auch weiterhin weithin unten zu halten, alleine damit die Wenigen oben fortgesetzt sich nachhaltig an der Macht und also Herrschaft halten; so als ob doch (noch) nichts passiert sei, dass eine Veränderung verlange, so als ob es sowieso keine Alternative zum Bestehenden gebe, so als ob es nur darum gehen könne, den Status Quo mit allen Mitteln zu erhalten und weiter so zu machen wie bisher.

Entgegen aller tagtäglichen Erfahrungen der fundamental erschütternden Krisen unserer Zeit und entgegen aller vielfach bestätigten Erkenntnisse kommender Katastrophen und im totalen Widerspruch zum seit mehr als fünfzig Jahren zirkulierenden Wissen um den drohenden weltweiten ökologischen wie soziopolitischen Kollaps wird die Sprache weiter so gesprochen wie bisher, so als ob nichts Besonderes geschehen sei, so als ob alles beim Alten und also beim Besten sei und eben auch so und nur so bleiben müsse, so als ob wir in der besten aller Welten lebten.


II
Die Sprache heute ist eine der (allgemeinen und massenhaften) Sprachlosigkeit, lose geworden ist der (rote) Faden zwischen Sprache als Form des ethisch-wertigen Wortaustausches und der Wirklichkeit, als Form des argumentativ-konfrontativen Worthandels sowie zuletzt der Vernunft, als Form kritisch-aufklärerischer Wortwechsel und der Art und Weise von – bedrückender, aber letztlich eben auch befreiender – Wahrheit.

Es werden grob gemachte Risse vielfach am (roten) Faden offensichtlich, Risse in den erzählten und noch zu erzählenden Geschichten so wie in der erinnerten, noch zu erinnernden und vor allem erlebten Geschichte von Gesellschaft und Zivilisation und Barbarei.

Es ist als ob wir mit der Sprache ein jedes Mal aufs Neue beginnen (müssen), gewissermaßen wiederum ganz bei Null anfangen müssten angesichts des Unbegreiflichen und Unaussprechlichen, nämlich der sich vor unseren Augen zwar langsam, aber ebenso offensichtlich abspielenden gewaltsamen Auslöschung der Menschheit.

Die Wenigsten aber – auch das ist offensichtlich – sind bereit, das Notwendige zu riskieren, um den historisch einmaligen Gefahren ebenso endlich wie umfassend in Worten und naturgemäß auch zugleich in der Tat radikal zu begegnen.


III
Sprache lebt alleine von und in der (lebendig existentiellen) Stimme (der individuell konkreten) Haltung, von und in der (sprechenden) Stille des (wahrhaftigen) Widerspruchs und des (wirklichen) Widerstands sowie im (allgegenwärtig abstrakten) Schweigen der Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Achtung alles Anderen, auch und vor allem des Fremden.

Wir aber ersterben alltäglich und allgegenwärtig im monotonen Lärm des weltweit vernetzten Geschwafels und allseitig einseitigen Geschwurbels, in der schwer(kraft)gewichtigen Masse der manisch-obsessiven Selbstdarstellungen sowie in der universalen Kakophonie des (vor allem digitalen) Geschreis an verhetzenden Meinungen, hassenden Bauchgefühlen und brutal aggressiv angewandter Egomanie sozialdarwinistischer IchSüchtigen, welche weder etwas aussagen wollen noch auszudrücken wünschen außer der eigenen Gier und IchSucht.

Es geht nur noch und ausschließlich um quotenstarke Aufmerksamkeit und größtmögliche Reichweite, quantitativ bezifferbare Bewunderung und um anhaltenden und nachhaltige durch Erfolg erfolgreiche Bestätigung ihrer eigenen (vermeintlichen) Größe, Besonderheit und Einmaligkeit.

Manifest wiederum wird diese vermeintliche Transzendenz des (erlösten) Individuums (fifteen minutes of fame) in den wachsenden, ja wuchernd monetären Profiten der internationalen Tech- und Medien-Konzernen, welche mehr und mehr zu den eigentlichen (weil materiellen) Beherrschern von Welt und Wirklichkeit werden.

Deren Worte (und Werte) sind alleine: Erfolg, Macht und Gewinn (Das SYSTEM K)!
Deren Sprache – ihre Wirklichkeit, ihre Wahrheit und ihre Vernunft – ist und bleibt sprachlos.

Heute spricht die Sprache nicht.
Sie ertrinkt in einem Meer des (narzistischen) Meinens und des (kapitalen) Marketings, löst sich auf in einer lärmenden Flut von rauschenden (Insel)Festen (autistisch-aggressiver) EgoManien ohne Tiefe und ohne Grenzen.

Heute spricht die Sprache nicht.

Sie erstickt in unendlichen RauchWolken (Clouds & Bubbles) des (demagogisch-populistischen) Posens und Blendens, des reaktionär-systemischen Anbiederns (Unterwerfens) sowie des besessenen und besitzsüchtigen (Selbst)BeWerbens ohne Anfang und ohne Ende.

Heute spricht die Sprache nicht.
Nicht mehr und nicht weniger.

Armin [Anders]


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