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Gestatten Sie, ich bin so frei …

Das ist die Formulierung, die mir beim Thema Freiheit als erstes einfällt. Aber was bedeuten sie, die Formulierung und die Freiheit? Die Formulierung kann bedeuten, dass ich mich jetzt setzen will, ohne zu fragen, ob der Platz wirklich frei ist. Kann auch sein, dass im Rheinland Karneval gefeiert wird. Während des Karnevals herrscht Kussfreiheit, obwohl sich dieser Freiheit möglichweise nicht jeder bewusst ist. Ich küsse eine bezaubernde kleine Karnevalsprinzessin und handle mir eine Ohrfeige ein. Das ist doch gemein, ist das. Oder jemand küsst meine japanische Belle und bekommt von mir ebenfalls eine Ohrfeige. Das ist genauso gemein. Könnte es etwa sein, dass es für die Freiheit enge Grenzen gibt?

Freiheit ist eines der großen Worte, die ich nicht mag. Also die großen Worte, die Freiheit schon. Es gibt angenehme und unangenehme Freiheiten. Einige Male musste ich zum Beispiel auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung schwören, ohne in den Verdacht des Meineides zu geraten und ohne dass die Grundordnung für mich etwas ähnlich Freundliches tat. Die Freiheit sollte kein einsamer Akt unter Androhung von Gewalt und von Nachteilen sein, sondern etwas Romantisches, Liebevolles, bei dem man/frau sich wohlfühlt. Als ehemaliger Achtundsechziger und Neunundsechziger denke ich an die »freie Liebe«, von der jüngere Leute überzeugt sind, dass es diese gibt. Verheiratete Leute sind eher der Meinung, dass es die »freie Liebe« nicht gibt, wohingegen ältere Leute, manchmal sogar alte Leute der Ansicht sind, man hätte sich die »freie Liebe« nicht entgehen lassen sollen.

Dem stimme ich zu, weil ich in theoretischer Hinsicht Polyamorist und Amorkrat bin, lieber Ingo Munz und liebe Leute. In meiner Studentenzeit in Berlin wurde die »freie Liebe« gepflegt, worunter man manchmal polyamore Liebe und manchmal »Liebe im Freien« verstand. Im Freien, besonders wenn der Partner oder die Partnerin naturlieb veranlagt waren. Da war sogar Heroentum verlangt. Erst als Amazone auftreten und dann wegen zweier Ameisen das Weite suchen. Das geht doch nicht ... Was Freiheit eigentlich ist, ist ihrem Wesen nach ein philosophisches und gesellschaftliches Problem. Die Philosophen geben zu wissen vor, was Freiheit ist, in Wirklichkeit wissen sie es nicht. Denker wie Jean-Paul Sartre sagen, dass »der Mensch zur Freiheit verurteilt« sei. Verurteilt? OMG, wie handelt ein Verurteilter? Möglicherweise ist er kopflos, was nicht im Sinne der Freiheit ist, die sich nur entwickelt, wenn Druck und Zwang abwesend sind und keine Rolle spielen.

Trotzdem, was Sartre sagt, ist durchdacht, »der Mensch hat die Freiheit, sich selbst zu entwerfen«, er kann dies oder das werden, Künstler, Mönch, Gelehrter, Dieb oder Rebell. Prometheus empört sich wider die Götter, weshalb wir plötzlich bei Goethe sind, der zu Unrecht außer Mode gekommen ist: »Bedecke deinen Himmel, Zeus, / Mit Wolkendunst! / Und übe, (dem) Knaben gleich, / Der Disteln köpft, / An Eichen dich und Bergeshöh'n! / Mußt mir meine Erde / Doch lassen steh'n, / Und meine Hütte, / Die du nicht gebaut, / Und meinen Herd, / Um dessen Glut Du mich beneidest.« Die Götter – und nicht Goethe ‒ engen die Freiheit der Menschen ein, was die meisten Staaten auch dann tun, wenn sie den Begriff »Freiheit« in der Verfassung verankern. Man meint, dass menschliche Leben regulieren zu müssen.

Andererseits gibt es noch immer oder schon wieder Leute, die glauben, dass Religion befreit. Dieser Ansicht bin ich keinesfalls, sonst könnte ich ja ersatzweise im »Bauwagen für Demokratie« an meiner aus China mitgebrachten Opiumpfeife ziehen und mich entspannt, allein oder zu mehreren, ins Reich der Träume begeben ... Religion, und was sich mit Religion verbindet, muss selbstverständlich aufgeklärt werden. Das ist ein langwieriger Prozess, zu dem die Philosophen seit Sokrates schon 2.500 Jahre brauchten ... In den Schulen müssen unsere Schulmeister alias Lehrer ihrem Klientel zumeist verklickern, dass es »Freiheit von« und »Freiheit zu« gibt, was voneinander deutlich zu unterscheiden sei. »Freiheit von« wird als Freiheit von äußeren Zwängen aufgefasst und darf als natürliches Recht gelten. »Freiheit zu« ist die Freiheit zu tun und zu lassen, was und wie man es möchte. »Freiheit von«, ich bin niemandes Sklave, »Freiheit zu«, ich bin mein eigener Herr. Trotzdem, über den Freiheitsbegriff lässt sich endlos debattieren.

Nun gut, man kann Freiheitsbegriffe theoretisch aufstellen und darüber diskutieren. Aber heißt das auch, dass man frei ist? Die Frage geht dahin, ob man/frau psychisch frei ist, das sogar in erster Linie. Was nützt ein gut definierter Freiheitsbegriff, wenn man unter Zwängen steht, zum Beispiel Migräne hat oder wenn einem die berühmt-berüchtigte ›Laus über die Leber gelaufen ist‹ ... Man kann seine Freiheit an Quacksalber und an Priester oder wie in manchen Volksmärchen an den »Teufel« verkaufen. Nun, wir sind zu Recht, wie Sartre meint, zur Freiheit verurteilt. Des Weiteren halte ich viel von Aufklärung, Selbstaufklärung und von psychoanalytischer Aufklärung. Besonders die »klassisch-freudianische Analyse« verspricht größere Erfolge. Allerdings wird man immer in der Situation des Sisyphos verbleiben, der den stets herabfallenden Stein auf die Spitze rollt, schiebt oder trägt, um mit dem Procedere wieder von Neuem zu beginnen, bis man von allen leidvollen Gefühlen befreit und frei für neue Unternehmungen ist.

Liebe und Freiheit ..., auch das ist ein Problem. Befreit die Liebe oder setzt sie Liebende unter Zwang? Wenn die Liebe befreit, bindet sie und lässt ein ausgeglichenes und gutes Leben zu. Alle hoffen, in der Liebe beseligende Freiheit und Glück zu finden, was eine Zeitlang gut funktionieren, dann aber ins Gegenteil umschlagen kann. Am Ende eines Weges hat man möglicherweise seine Freiheit verloren und wird erst durch Trennung und Scheidung wieder frei ... Oder man/frau erliegt einem Bindungszwang, reagiert hörig und wird obsessiv. Dieses Hörigkeitsspektrum ist unerhört breit. Es kann zum Gegenteil von Freiheit, zu Zwangshandlungen, Unterwerfung und zur Sexsucht führen. Manche glauben durch Ausagieren ihrer Sexsucht frei zu werden. Kann sein, kann auch sein, dass sich die Zwangshandlungen häufen und zu einem Fiasko führen.

›Zur Freiheit verurteilt‹ kann bedeuten, dass man wegen irgendwelcher Vergehen, welche die bürgerliche Ordnung stören, im Gefängnis sitzt ... Lebenslänglich Verurteilte, denen allenfalls ein Freigang im Gefängnishof zugebilligt wird, können sich die Freiheit nur theoretisch vorstellen. Wittgenstein – von Foucault will ich jetzt nicht reden ‒ sieht den Menschen allgemein statt im Gefängnis wie eine Fliege im Fliegenglas, ohne Chance da herauszukommen. Wenn doch, dann nur mittels besonderer denkerischer Leistungen, welche Fliegen und Normalmenschen nicht zustande bringen. Den Glaskasten sprengen kann man durch stetes Hinterfragen ... Aber sitzt nicht auch Rilkes »Panther« hinter Gittern und hinter »tausend Stäben sieht er keine Welt« ...? Ach, man könnte auf den Gedanken kommen, dass Freisein oder in Freiheit leben oder frei publizieren oder frei denken bloßes Wunschdenken ist.

Frei denken? Okay, aber was tun all die Leute, die philosophisch nicht denken können? Sie plappern das Mediengerede der Vormünder und die Angsteinflößungen der Mächtigen nach, wonach sie in einem Meer der Freiheiten schwimmen. Nach Bertolt Brecht schwimmen sie geradezu in den »Rachen der Haifische« ... Gut, das ist eine Metapher, es muss nicht so sein. Den Wohnort kann ich laut Grundgesetz frei wählen, wenn ich in Kauf nehme, am Wohnort meiner Wahl keine Rolle zu spielen ... Wieso sind Sie zugereist? Wer hat Sie herbeigerufen? Die Freiheit der anderen darf nicht eingeschränkt werden, das ist richtig. Aber wie steht es um mich und meine Freiheit? Bin ich noch frei oder schon verärgert, mit Emotionen belastet, die kein Freiheitsgefühl aufkommen lassen?

Viele Menschen stellen sich unter Freiheit vor, so frei wie ein Vogel zu sein. Einfach in die Lüfte fliegen, davon fliegen, auf einem ›Zauberbaum im Märchenwald‹ sitzen und fröhlich zwitschern. Als ob so ein Vogelleben nur aus Freiheit bestünde und nicht schon von Natur aus vorbestimmt ist! Das Paradoxe ist nah, aber der Gestus zählt: Ich öffne den Vogelkäfig und lasse alle Vögel frei. Zum Schluss kommt mein stolzer Papagei dran, der einzige, mit dem ich mich in der Regel gut unterhalten kann. Der bleibt allerdings entrüstet auf dem Fensterbrett sitzen, macht mir Vorhaltungen und ahmt mich nach: »Gestatten Sie, ich bin so frei …« Nicht nur das, er schimpft mich aus. Er sei wohl ein Verstoßener, der sich selbst ernähren und sein Futter selber finden soll? Ich hätte an die Umweltbedingungen nicht gedacht, er sei in Brasilien geboren und findet sich in den deutschen Breitengraden unter Spatzen, Hühnern und Gänsen nicht zurecht. Ich hätte ihn mühsam zum Philosophen erzogen, der sprechen, denken und meditieren kann. Wir stünden in einer festen Beziehung; er denke nicht daran wegzufliegen, flöge aber auch nicht in den Käfig zurück. Er wolle zukünftig als philosophierender Hauspapagei sich im Haus frei bewegen, allenfalls ein gemeinsamer Spazierflug im Garten, äh, Spaziergang unter Gleichgesinnten im Garten sei möglich, da ich ja leider nicht fliegen könne. Ich war überrascht und erstaunt. Das hatte ich meinem Papagei nicht zugetraut. Mein Papagei wusste, was er wollte.

Wulf [Noll]


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