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Manfred Hausmann (1998 – 1986)
Wandervogel und Ältestenprediger
Seit meiner Schulzeit ist mir der Name Manfred Hausmann ein Begriff, denn in unseren Lesebüchern fand sich so mancher Text. Der Deutschunterricht erschien mir damals als relativ vernachlässigbar. Ich würde lügen, zu behaupten, dass ich mich an diese Texte erinnern kann. Irgendwo im Hinterkopf gespeichert: ein konservativ-katholischer Autor. Dennoch blieb der Name im Gedächtnis.
Manfred Hausmann stammte aus gutbürgerlichen Verhältnissen, geboren am 10. September 1898 in Kassel, aufgewachsen in Göttingen. Sein Vater war Fabrikant. Die Firma Zeiss-Winkel stellte Mikroskope her, die mich zu Schulzeiten weitaus mehr faszinierten als die Literatur des Sohnes. Eine unvermeidliche Banalität drängt sich auf: daher der mikroskopische Blick meines Namensvetters.
Die Firma Carl Zeiss trat 1911 als Hauptgesellschafter beim traditionsreichen Unternehmen Rudolf Winkel Göttingen ein und wandelte dieses in eine GmbH um. Mit 130 Arbeitern und Angestellten wurde der Acht-Stunden-Tag eingeführt. Bis 1935 wuchs der Personalstand von "Winkel-Zeiss Göttingen" auf 360 Mitarbeiter.
Hausmann besuchte das Gymnasium und wurde Mitglied der "Wandervogelbewegung".
Ihr Wandervögel in der Luft,
im Ätherglanz, im Sonnenduft
in blauen Himmelswellen,
euch grüß' ich als Gesellen!
Ein Wandervogel bin ich auch
mich trägt ein frischer Lebenshauch,
und meines Sanges Gabe
ist meine liebste Habe.
Dieses kitschige Gedicht der Wandervögel stammt von Otto Roquettes (1824–1896), eines inzwischen verdientermaßen vergessenen Dichters. Die Frage, ob und wieweit die Wandervogel-Bewegung dem Nationalsozialismus in die Hände spielte, womöglich als Wegbereiter fungierte, soll hier nicht diskutiert werden. 1913 war Hausmann bei der Gründung der "Freideutschen Jugend" auf dem Hohen Meißner dabei.
Die Begeisterungswelle der ersten Kriegstage im August 1914 erfasste auch die Jugendlichen mit voller Wucht. Der Krieg stellte sich anfangs den jungen Leuten als stimulierendes Abenteuer dar. Lachend und mit Blumen in den Gewehrläufen machten sie sich auf den Weg an die Front. Hatte doch Kaiser Wilhelm II. in Aussicht gestellt: "Ihr werdet zu Hause sein, noch ehe das Laub von den Bäumen fällt." Hunderttausende Jugendliche stürmten die Werbebüros, um sich freiwillig zu den "Fahnen" zu melden.
1916 legte Hausmann das Notabitur ab und wurde Soldat. Im Juli 1918 wurde er in der zweiten Marneschlacht verletzt. "Gasvergiftet und mit durchschossenem Fuß" kehrte er aus dem Krieg zurück. Die Verätzung der Bronchien durch Gelbkreuzgas bereiteten ihm sein ganzes Leben Beschwerden.
Irgendwann waren dann Krieg und Begeisterung zu Ende. Die alte Ordnung war im Kriegsgetümmel verdampft. Dadaisten setzten auf einen Neubeginn. Hausmann verharrte auf der konservativen Seite. In Göttingen und München studierte er Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte, promovierte 1922 zum Dr. phil. mit einer Arbeit über "Kunstdichtung und Volksdichtung im deutschen Soldatenlied 1914 – 1918". (Die auch publiziert wurde.) Im selben Jahr heiratete er seine Studienkollegin Irmgard Schmidt und begann eine Kaufmannslehre in Bremen. Die Zwillinge Wolf und Tjark wurden 1923 geboren.
Hausmann arbeitete als Feuilletonredakteur der Weserzeitung, einer überregionalen Wirtschaftszeitung, bürgerlich und liberal. Seine Novellen erschienen im Schünemann Verlag, der auch die Bremer Nachrichten verlegte. Neue Rotationsmaschinen wurden vom Schünemann Verlag in Betrieb gesetzt.
Ende 1925 legte Hausmann die Arbeit für die Zeitung nieder und zog als Landstreicher ein Jahr durch Deutschland, bis er seinen ersten Roman "Lampioon – Abenteuer eines Wanderers" fertiggestellt hatte. Dieser Roman, erstpubliziert unter dem Titel "Lampioon küsst Mädchen und kleine Birken", war eines seiner erfolgreichsten Bücher. Mein Taschenbuch-Exemplar vom Februar 1982 (immerhin 54 Jahre nach der ersten Publikation) nennt eine Auflage von 70 Tausend, bereits 30 Tausend betrug 1962 die Erstauflage als Taschenbuch. Die Fortsetzung seines Erstlings, mit dem Titel "Salut gen Himmel", verzeichnet im Jahr 1983 eine Auflage von 105 Tausend. Also ein Erfolgsautor, dessen Bücher Millionen-Auflagen erzielten, sowohl als Hardcover als auch als Taschenbuch.
1926 wurde Hausmann freier Schriftsteller, lebte in Worpswede. Der Verlag von S. Fischer wurde seit 1928 sein Stamm- und Haus-Verlag. Als Samuel Fischer 1934 starb, hielt Hausmann die Grabrede. 1929 unternahm er eine Amerikareise, 1930 wurde seine Tochter Bettina geboren.
Um 1933 wandte sich Hausmann dem Katholizismus zu, las Kierkegaard, Karl Barth und die Bibel. Ich zitiere Georg Plasger aus dem Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon: "Hausmann ist jetzt ein christlicher Dichter, der sich stärker als zuvor mit den Problemen seiner Zeit ringend zeigt. Dass man aber nicht nur von einem Bruch mit der früheren Zeit, sondern auch von Kontinuität mit den früheren Romanen sprechen muss, ist dabei ebenso deutlich. Hausmanns Rolle in der Zeit des Dritten Reichs ist umstritten und diffus. Auf der einen Seite hat Arn Strohmeyer zu Recht darauf hingewiesen, dass Hausmanns Hinwendung etwa zur Barthschen Schrift 'Theologische Existenz heute' nicht zur Konsequenz hatte, dass er sich konsequent zur Bekennenden Kirche gehalten hätte. Strohmeyer schätzt ihn als opportunistisch aktiven 'Mitläufer' des Nationalsozialismus ein."
Sein Roman "Abel mit der Mundharmonika" wurde 1933 verfilmt. Hausmann schrieb das Drehbuch, Erich Waschneck führte Regie, der nach der Machtergreifung der "Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation deutschstämmiger Filmregisseure" beigetreten war und 1940 den antisemitischen Propagandafilm "Die Rothschilds" drehte. "Abel mit der Mundharmonika" wurde 1965 ein zweites Mal verfilmt – diesmal als Fernsehserie.
Hausmanns Sohn Martin wurde 1936 geboren. Zwei Jahre später erschien sein erster Gedichtband: "Jahre des Lebens." Das Büchlein "Martin – Geschichten aus einer glücklichen Welt" erschien 1953 im Bertelsmann Verlag.
Zwischen 1939 und 1940 war Hausmann Soldat, bis er krankheitsbedingt entlassen wurde. Bei Wikipedia lese ich den merkwürdigen Satz: Er lebte während des Krieges zurückgezogen, schrieb aber für die von Goebbels kontrollierte Zeitschrift "Das Reich", sowie für Frontzeitschriften und die nationalsozialistische "Krakauer Zeitung", die im besetzten Polen, dem sogenannten Generalgouvernement, erschien.
Soldat und zurückgezogen? Autor für Frontzeitschriften und nationalsozialistische Zeitungen? Wie reimt sich das zusammen? Die Zeitschrift "Das Reich" erschien von 1940 bis 1945. Vorbild war nach dem Gründer Rolf Rienhardt der englische "Observer". Rienhardt, Stabsleiter im Verwaltungsamt der NS-Presse, hatte das Konzept bereits 1937 vorgelegt. Nach dem "Völkischen Beobachter" war "Das Reich" das zweitgrößte Presseorgan Deutschlands. Die geplante Auflagenhöhe von 100.000 Exemplaren musste bereits bei der Erstausgabe nachträglich verdoppelt werden. Bis März 1944 stieg die Auflage auf 1,4 Millionen.
"Die Zeitung soll nicht eine unter vielen Zeitungen und Zeitschriften, sondern sie soll die führende große politische Wochenzeitung sein, die das deutsche Reich für In- und Ausland gleich wirksam eindringlich publizistisch repräsentiert." Trotz des unbestritten hohen Niveaus war "Das Reich" keineswegs eine antinationalsozialistische Publikation. Vielmehr nützte das NS-Regime die Zeitung als Aushängeschild und als Plattform für eigene Zwecke. Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda sowie Präsident der Reichskulturkammer, verantwortlich für die Gleichschaltung der Presse, bestand darauf, die Leitartikel für "Das Reich" selbst zu schreiben.
Im April 1940 veröffentlicht Hausmann im "Deutschen Kulturrat" den Artikel "Sport und Krieg". So gesehen kann der Krieg sich geradezu als die Vollendung dessen darstellen, was das tiefste Geheimnis des Sports ausmacht […] Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Sport und Krieg – beide als menschliche Haltung betrachtet – besteht jedenfalls nicht. Der Krieg ist lediglich eine Steigerung des sportlichen, des kämpferischen Lebens ins Äußerste.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb Hausmann für "Die Neue Zeitung", die in der amerikanischen Besatzungszone herausgegebenen wurde, vergleichbar mit der Tageszeitung "Die Welt" in der britischen Zone. In der "Neuen Zeitung", sie existierte knapp zehn Jahre, von 1945 bis 1955, schrieb die in Deutschland verbliebene geistige Elite. Erich Kästner war Chef des Feuilletons, Robert Lembke leitete das Ressort Innenpolitik. Hausmann war für die Kultur sowie die Beilage "Siebengestirn" zuständig. Weitere wichtige Autoren waren z.B. Theodor W. Adorno, Alfred Andersch, Heinrich Böll, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Günter Eich, Ludwig Erhard, Max Frisch, Hildegard Hamm-Brücher, Hans Habe, Hermann Hesse, Stefan Heym, Wolfgang Hildesheimer, Karl Jaspers, Erich Kästner, Alfred Kerr, Hermann Kesten, Heinrich Mann und Thomas Mann, Alexander Mitscherlich, Martin Niemöller, Heinz Ohff, Luise Rinser, Anna Seghers, Günther Weisenborn, Franz Werfel, Ernst Wiechert und Carl Zuckmayer.
Daneben war Hausmann von 1945 bis 1952 Schriftleiter beim "Weser-Kurier" in Bremen. 1946 erschienen im Suhrkamp-Verlag die Gedichte "Füreinander". Das erste Gedicht trägt den Titel "Magie".
Soll das Geheimnis in den Worten singen,
muß dein Gedicht den Widersinn vollbringen,
das Urbeständige im Wandel gestalten,
das tief Inwendige
im Außen zu entfalten,
das hold Lebendige im Toten zu erhalten.
Soll dein Gedicht den Widersinn vollbringen,
muß das Geheimnis in den Worten singen.
Hausmann schätzte Hermann Hesse sehr. Mitunter erinnert seine Prosa, aber auch so manches Gedicht, an Hesse. 1949 hatte er Hermann Hesse das Buch "Die Gedichte" schicken lassen, das seine Bände "Nachtwache", "Alte Musik" und "Füreinander" vereinigten.
Hesse antwortete:
Hochgeschätzter Herr Hausmann!
Ich möchte Ihnen einen Gruß schicken, der keiner Antwort bedarf. Suhrkamp sandte mir Ihren Gedichtband, und ich habe in den letzten Tagen manches darin gelesen. Früher hatte ich zu Ihrer Lyrik keine rechte Beziehung, jetzt habe ich das einigermaßen korrigiert, obwohl ich bei meiner Überbürdung längst kein guter Leser mehr bin. Ich habe Ihrem Spiel mit Vergnügen und Rührung zugehört. Das tat mir wohl und dafür danke ich Ihnen."
Wie sehr Hausmann Hesse verehrte, zeigt auch ein Telegramm, das er dem Nobelpreisträger von 1946 zum 80. Geburtstag schickte: "Möchte doch der zarte Stern des Friedens über Ihren Tagen stehn und Nächten." Hesse seinerseits hatte Hausmann das Gedicht "Friede" gewidmet.
1938 hatte Hausmann in dem Band "Jahre des Lebens" das Gedicht "Nachtwache" veröffentlicht.
Wenn einer wachen muss, laß mich’s denn sein.
Ich sehe in das Leid der Welt hinein
und in die Dunkelheit, die kommen will,
indessen lächelnd du den Kopf und still
an meiner Schulter lehnst und nickst und ruhst
und ruhend deine Hand in meine tust.
Ich denke an das Irrsal und den Harm.
Gedanken denk ich, die du nie gedacht.
Du aber liegst getrost in meinem Arm
und atmest tief in meiner Hut und Wacht.
Schön ist dein Traum, dein Lächeln ist so schön,
dein Atmen auch, dein leises Schlafgestöhn
und des Erwachens holder Augenblick,
schön ist des Lebens heimliche Musik.
Doch immer muss, sonst könnte nichts bestehn,
immer muß einer in das Leid hinein
und in das rätselhafte Dunkel sehn.
Einer muß wachen, so laß mich’s denn sein.
Als die Jury zur Vergabe des Literaturpreises der Stadt Bremen, der Hausmann angehörte, 1959 auf einer Sitzung, an der er zwar nicht teilnahm, Günter Grass für den Literaturpreis 1960 vorschlug, wandte Hausmann sich öffentlich gegen diese Entscheidung und kündigte seine Mitgliedschaft in der Jury auf. Tatsächlich entschied sich der Bremer Senat gegen Grass, und der Preis wurde 1960 nicht vergeben.
Manfred Hausmann verfasste Gedichte, Erzählungen, Essays, Dramen und theologische Schriften. 1967 bis 1981 war er Ältestenprediger der Bremischen Evangelischen Kirche. Er veröffentlichte zirka 50 Bücher. Die zwölfbändige Werkausgabe ist als Hardcover nach wie vor bei S. Fischer im Programm.
Zu erwähnen wäre noch das Buch "Gelöstes Haar", japanische Gedichte von Toyotama Tsuno, einer aus Hokkaido stammenden Autorin, die mit ihrem Mann nach Paris kam, wo sie im Alter von 32 Jahren an Tuberkulose starb. Tatsächlich war Hausmann der Autor dieser Gedichte. Die Autorin Toyotama Tsuno und ihre Biographie hat er erfunden.
Hausmann war Ehrenmitglied des Nerother Wandervogels. – Und mit Wilhelm Scharrelmann, Hans Leip und Hans Frank Gründungsmitglied der Autorenvereinigung "Kogge".
Hausmann starb am 6. August 1986. Sein Grab befindet sich auf dem evangelischen Friedhof in Rönnebeck-Farge, einem Stadtteil von Bremen.
Ohne Faulheit kein Fortschritt! Weil der Mensch zu faul war, zu rudern, erfand er das Dampfschiff. Weil er zu faul war, zu Fuß zu gehen, erfand er das Auto. Weil er zu faul war, abends die Augen zuzumachen, erfand er das Fernsehen.
Werke
Kunstdichtung und Volksdichtung im deutschen Soldatenlied 1914-18. Diss. München 1923
Die Frühlingsfeier. Novellen, 1924
Orgelkaporgel. Erzählungen, 1925
Lampioon küßt Mädchen und kleine Birken. 1928
Lilofee, Dr. 1929
Salut gen Himmel. 1929
Kleine Liebe zu Amerika. 1931
Abel mit der Mundharmonika. 1932•
Ontje Arps. Erzählung 1934
Mond hinter Wolken. Erzählung 1935
Die Begegnung. Vor der Weser. Erzählungen, 1936
Abschied von der Jugend. 1937 (später unter dem Titel "Abschied vom Traum der Jugend")
Demeter. 1937
Jahre des Lebens. 1938
Einer muß wachen. 1940
Geheimnis einer Landschaft. Worpswede 1940
Das Worpsweder Hirtenspiel. 1946
Die Gedichte. 1949
Martin. 1949
Einer muß wachen. Betrachtungen. Briefe. Gedanken. Reden. 1950
Liebe, Tod und Vollmondnächte. Japanische Gedichte. 1951
Der dunkle Reigen. Ein Mysterienspiel, 1951
Der Überfall. Gesammelte Erzählungen, 1952
Isabel. 1953
Liebende leben von der Vergebung. 1953
Hafenbar. Komödie, 1954
Hinter dem Perlenvorhang. Gedichte nach dem Chinesischen. 1954
Der Fischbecker Wandteppich. Ein Legendenspiel, 1955
Andreas. 1957
Die Zauberin von Buxtehude. Ein Schauspiel, 1959
Kleiner Stern im dunklen Strom. Ein Roman, 1963
Gelöstes Haar. Japanische Gedichte von Toyotama Tsuno. 1964
Und wie Musik in der Nacht. 1965
Kreise um eine Mitte. 1968
Wort vom Wort. Acht Predigten, 1968
Gottes Ja. Neun Predigten, 1969
Der golddurchwirkte Schleier. Gedichte um Aphrodite, 1969
Einer muß wachen. Essays, 1971
Das abgründige Geheimnis. Fünfzehn Predigten, 1972
Kleine Begegnungen mit großen Leuten. Ein Dank, 1973
Der Mensch vor Gottes Angesicht. Rembrandt-Bilder-Deutungsversuche, 1976
Nüchternheit. Predigten, 1975
Bis nördlich von Jan Mayen. Geschichten zwischen Kopenhagen und dem Packeis, 1978
Andreas, Viola und der neue Stern. (3. Aufl.), 1985
Das Unerwartete. Städte und Landschaften. 1988
Manfred [Chobot]
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