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Suite poétologique | Rezension 2
Essays sind Texte, die ähnlich Brücken unter großer Spannung stehen müssen, um die Traglast unauffällig zu bewältigen. Die beiden Brückenköpfe sind in diesem Vergleich das schreibende Subjekt und der scheinbar objektive Tatbestand eines Themas. Je nach Verfassung des Subjekts und Notwendigkeit des Objekts kann dabei die Sichtweise regellos zwischen beiden Polen verschoben werden, der Essay lebt von dieser Regellosigkeit. Peter Simon Altmann schiebt den Essay-Regler in seiner "Suite poétologique" vollends in die Richtung des schreibenden Subjekts, denn das ist ja das Thema seiner zwölf Überlegungen. In der losen Abfolge einer Suite greifen die Gedanken über die allmähliche Verfestigung eines lesenden Menschen hin zu einem Schriftsteller zuerst in einander über, ehe sie sich unterhaken und ein deutliches Bild ergeben.
"Warum ich so schreibe, wie ich heute schreibe" (7) lautet die Grundfrage, die sich jemand stellen muss, solange er schreibt. Vorlage für das künstlerische Tun sind oft wenige Solitäre der Literatur, die freilich in die empfindsame Leseseele einschlagen wie Meteoriten. Im konkreten Fall gilt das vor allem für Thomas Mann und Peter Handke. Der Tod in Venedig bricht durch seine Verfilmung ungehemmt mit Mahlers Musik in die Psyche des damals Fünfzehnjährigen ein und macht ihn empfindlich für große Magie, die im Sterben in einer sterbenden Stadt ihren Höhepunkt findet. Zu diesem morbiden Gefühl trägt auch Peter Handke bei, der zur damaligen Zeit in Salzburg lebt und vom Mönchsberg aus Notizen aus dem Vormittag eines Schriftstellers über die Stadt streut.
Aus dieser Konstellation ergibt sich ein intensiver Kontakt zum Theater, wo der Autor lange als Komparse sein Leben zu gestalten gedenkt, ehe er dann doch dem Schreiben nachgeht. Die Erzählung "Das Ekzem" entpuppt sich als seine Initiationsgeschichte, worin der sensible Held aus der Fassung gebracht wird, weil die Wucherung an einer intimen Stelle aufbricht. Tabu, Verstörung und Verdrängung legen sich um das Ekzem wie um einen Text, der das Intimste freilegt.
Die zwölf Essay-Abschnitte sind mit didaktischen Überschriften ausgestattet, die beim Autor Erkenntnis und beim Leser Neugierde auslösen. "Die gestrichenen Stellen" verweisen auf eine Facette beim Schreiben, wonach man Stellen letztlich nie mehr los wird, auch wenn man sie streicht. Zumindest im Unterbewusstsein fuhrwerken sie weiter. Hier ist dann auch die hohe Kunst des Lektorats gefragt, das die Stellen für den Autor bereinigen muss, nicht für den Leser, der ja nichts davon weiß.
Eine Schlüsselrolle spielen die Namen der Helden, die oft aus der eigenen Verwandtschaft zusammengesucht sind, obwohl sie in der literarischen Welt nichts mit dem Schicksal des Namensspenders zu tun haben. Auch hier ist es dem Leser egal, wie jemand heißt, aber für den Autor kann ein falscher Name sofort eine Schreibblockade auslösen.
Aus dieser Familienaufstellung um echte Personen, die ins Fiktionale wechseln, ergeben sich Fragen nach Tradition und Invention, oder Erfindung und Schöpfung. Beide Begriffspaare verweisen auf diese seltsame Grauzone, die sich um die Texte legt, sobald sie Satz für Satz in ihre eigene Welt vorrücken wie bei einer Expedition.
Das Theater beeindruckt den Autor durch dieses Geheimnis der Regie, wonach zuerst die Rollen und Melodien noch in einzelnen Partituren herumliegen, ehe sie dann bei der Probe zusammengeführt werden zum Erlebnis: Jetzt ist es da! "Das Fleisch muss Buchstabe werden" (50) ist letztlich die Umkehrung des Theatervorganges für das Schreiben. Aus dem Knall des Ereignisses heraus löst sich der Rauch auf und die Schrift ist da, und macht den Knall unsterblich über Jahrhunderte.
Dann poppt wieder dieses permanente Bekenntnis auf: "Warum ich schreibe?" (73) Zu dieser rhetorischen Überlegung gibt es jeden Tag eine andere Antwort. Da die Antwort meist kleiner als die Frage ist, muss sie stets neu gestellt werden. Eine Erklärungsdosis für einen Tag lautet etwa: "Weil ich Ordnung ins Chaos schreiben will." Diese Überlegungen führen zwangsläufig zum Literaturbetrieb, in dem es nicht leicht ist, Halt zu finden. Vielleicht geht es im vom Markt gesteuerten Geschehen ähnlich archaisch zu wie beim Stierkampf, die verpönten Gesten schlagen als Tradition durch. Das Glück wäre dann, das Horn eines Stiers zu fassen, ohne dass es vom Stier abbricht und zur Trophäe wird.
In die Suite sind Pläne, Strategien und Stoffe eingearbeitet, die das Werk in einem permanenten Zustand der Unvollkommenheit zeigen. Eine größere Erzählung "Das Eigene" unterstützt die Gedankensuite als handfester Textstoff.
Als Leser erschrickt man über das eigene Leseverhalten, das dem Autor oft nicht gerecht wird, weil das pragmatisch geschulte Auge im Scannbetrieb die Nuancen der Entstehung leicht beiseite lässt. Vieles, was den Autor quält und jahrelang grübeln lässt, findet man als Leser nicht der Rede wert, weil man es andernorts schon gelesen und für sich bearbeitet hat. Die Konnotationen des Schreibers passen selten mit jenen des Lesers zusammen. Aber diesen Vorgang kann man ja auch als geduldiges Tauschgeschäft auffassen. Ich achte nicht auf deine Absichten beim Schreiben, dafür brauchst du nicht auf meine Zusatzerlebnisse beim Lesen achten. Der Text verbindet uns als schmaler Steg, während sich links und rechts individuell gestaltete Schluchten auftun.
Peter Simon Altmanns subjektiv eingespielter Essay transportiert erstaunlich viele objektive Thesen. Dafür, dass er phasenweise autobiographisch angelegt ist, vermittelt er eine starke, öffentlich darstellbare Theorie.
Helmuth [Schönauer] |
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