[zurück] | blättern | [weiter] |
Das Werden österreichischer Schriftsteller Phase 1: wie wird man in Österreich Schriftsteller, oder auch nicht. Zum Beispiel, weil man nicht weiß, was man sonst machen soll, weil man viel Geld verdienen oder erdienen will, oder ganz im Gegenteil, weil man auf Geld keinen Wert legt. Oder weil es sich um eine Erbkrankheit handelt, keinen Teamgeist hat, weil man das Leben nicht einfach leben kann, daher muss man wenigstens darüber schreiben. Vielleicht ist es auch so, dass man als Maler, Bildhauer, Komponist, Schauspieler nicht genug zu bieten hat, oder auch noch nicht genug hat. Phase 2: Methoden. Man schreibt mit der Hand, weil man nur so das Gefühl handwerklicher Formung hat, oder man schreibt mit der Maschine, weil nur da etwas, also buchstäblich, einfällt. Zur Wahl stehen für die atavistische Schreibmethode Federkiel, Bleistift, Füllfeder, Kugelschreiber. Für die moderne Schreibmethode stehen zur Wahl Computer, Laptop, Diktafon plus Sekretärin (bodywriting), Laufschrift. Es wird geschrieben mit Graphit, Tinte, aber auch mit Feuer und Waffen. Phase 3: Themen. Man schreibt über sich, weil man sonst niemand kennt, über andere, die man ebenso wenig kennt, oder über alle zusammen: die Gesellschaft. Geschrieben wird kritisch, ironisch, ernsthaft, hinterlistig, vordergründig, anfallsweise, konservativ, progressiv, avantgardistisch, rückschrittlich. Es wird geschrieben über: Der Abstand des Daumens zum Zeigefinger, Der falsche Weg zum langen Abschied, Die inneren Tage, Nacht und Norm, Orchideen statt Ideen, usw. Bei der Titel – Themen und Textwahl kommt es manchmal zu sogenannten literarischen Kollateralschäden., nämlich zur Schriftstehlerei. Auch deswegen ist Schreiben eine Mischung aus Euphorie und Verzweiflung, es fallen die ersten Schriftstellerkandidaten aus, Quote 50%. Phase 4: die Chancen für eine Verlagsanstalt. Die Überlebenden der Phase 3 fragen sich, was sie mit dem fertigen Manuskript machen sollen, da sie vergessen haben, dass es in Österreich keine literarischen Verlage gibt. Sie schreiben diese aber trotzdem an und erhalten wenige Jahre später einen im Papier - Fachhandel erhältlichen Vordruck, der in den zutreffenden Rubriken angekreuzt ist. Sehr geehrte AutorInnen! Ihr geschätztes Manuskript ist: zu lang, zu breit, zu hoch, zu nieder, zu dick, zu dünn. Es ist weiters zu zäh, fett oder klebrig, hat sich in unserem Lektorat verlaufen. Sie sind zu alt, zu jung, zu mittel, zu schön, zu hässlich, zu dumm oder zu intelligent. Unsere Leser haben bestimmte Kommerz – Erwartungen und wir auch. Nota bene: unsere Lektoren sind infolge Überlastung durch lastwagenweise angefallene Manuskripte seit Jahren entweder an Erschöpfung gestorben, oder seit Monaten auf Urlaub oder im Krankenstand, durch mangelnde oder zu große Qualität sozusagen in eine andere Verlags – oder Nur – Anstalt übergetreten oder eingeliefert worden. Wir sehen uns daher außerstande aus einem unbekannten einen bekannten Autor zu machen, umgekehrt schon eher. Da Schreiben eine Mischung aus Euphorie und Verzweiflung ist, ereignet sich ein weiterer Ausfall der Schriftstellerkandidaten, mit einer Quote von 40%. Gerechnet auf die 100% der grundsätzlich angetretenen Kandidaten überleben nur noch 10%. Phase 5: nur Quantität setzt sich durch. Das heißt: die überlebenden 10% setzen sich zusammen aus: Freunden, Bekannten, Empfohlenen, Geliebten von: Verlagsdirektoren, Kritikern, Politikern, bereits bekannten Schriftstellern, sowie Freunden, Bekannten, Empfohlenen, Geliebten dieser Freunde, sowie Bekannten, Empfohlenen, Geliebten dieser … und so weiter, das macht dann 9%, plus 1% Glückspilze und Zufallstreffer. Unter den Letzteren finden sich auch die wenigen guten Manuskripte. Phase 6: Bearbeitung durch die Direktion, Lektorat, Sekretariat, Werbeabteilung, Setzer- und Druckerei sowie die vorgenannten Freunde, Bekannten, Empfohlenen, Geliebten der Kritiker, Politiker, der bereits bekannten Schriftsteller sowie der Freunde, Bekannten….Freunde der Freunde und Bekannten der Bekannten, von der Kenntlichkeit des Manuskripts bis zu dessen Unkenntlichkeit. Oder es erfolgt keine Bearbeitung und das Manuskript ist trotzdem schlecht. Phase 7: Aufprall auf dem Boden der Wirklichkeit: Entsprechend der Bearbeitung oder Einflussnahme der oben Genannten gibt es gute, schlechte, lange, kurze, nebensächliche, potente, impotente sowie vernichtende Rezensionen. Die 1% Glückspilze und Zufallstreffer sind hingegen, da ja ohne Protektion auf weitere Zufälle bei den Rezensenten angewiesen. Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass eine schlechte, ja sogar vernichtende Rezension immer noch besser ist als gar keine, da sonst das Werk trotz nachweisbar materieller Existenz nicht existent ist. Von den zuletzt vorhandenen 10% fällt durch niederschmetternde, vernichtende oder nicht vorhandene Rezensionen abermals die Hälfte der Schriftstelleranwärter aus, sodass nur mehr 5% der einmal in diesem Kampf Angetretenen übrig bleiben. Phase 8: es gilt: unbekannte Autoren haben grundsätzlich weniger Qualität als bekannte Autoren, sonst wären sie nicht unbekannt. Schreibt ein unbekannter Autor einen Mist, dann ist es auch einer, außer die Freunde, Bekannten, Empfehlenden, Geliebten sind übermächtig. Schreibt aber ein bekannter Autor einen Mist, ist es meist keiner, sondern das Werk wird als sonderbar, eigenartig, experimentell, schwer durchschaubar und daher interessant eingestuft. Denn die Rezensenten möchten nicht das Risiko eingehen durch einen fatalen Irrtum ebenso bekannt zu werden wie der bekannte Autor. Phase 9: der Buchhandel ist auch nur ein Handel. Je nach Medienecho wird reagiert oder ignoriert. Aber selbst wenn die Medienresonanz gut ist, gibt es Ausnahmen. Auch bei einer guten Resonanz wird das Werk eliminiert: wenn der Verlag schlechte Konditionen macht, seine Vertreter Mundgeruch haben, dem Buchhändler der Titel, der Einband, die Autorin oder der Autor unsympathisch ist, das Buch zu viel, zu wenig Sex beinhaltet, den Kommunismus verteidigt, verflucht, oder wie auch immer uninteressant ist. Resultat: weiterer Ausfall der Hälfte der verbliebenen Schriftstelleranwärter, sodass nur mehr 2,5% im Rennen sind. 2,5 von 100% überleben also. Wie ist das möglich? Ein halber Schriftsteller ist doch kein ganzer Autor. Oder doch? In der Literatur ist alles möglich, nichts ist unmöglich. Aber es stellt sich ohnehin die Frage, wie lange diese 2,5% Schriftsteller überleben. Denn sie kommen unter Produktionszwang. Jedes Jahr ein neues Buch, sonst sind wir weg vom Fenster, sagt der Verlagsdirektor, der Lektor, der Kritiker, der Buchhändler. Der Leser? Jedenfalls ergibt das weitere Ausfälle und Qualitätsverluste. Oder: plötzlich sind nur mehr junge oder steinalte Autoren modern. Plötzlich ist das Thema Neue Seligkeit, Alte Mystik, Erotik, Familie oder Historie passé. Plötzlich schleudert die Avantgarde ein neues Stilmittel aus sich heraus und auf den Markt. Und plötzlich ist die nächste 2,5% Überlebenswelle da. Nun passiert folgendes: die anscheinend noch verbliebenen 2,5% Schriftsteller verlieren den Verstand, die Geduld, die Freunde, Bekannten, Empfehlenden, Geliebten und deren….. und so weiter. Sie gehen in Frührente, in ein Kloster, in den Journalismus, in die Werbung, in ein Lektorat, werden Kritiker, Rezensenten, Verleger, Buchhändler, Politiker. Sie werden krank, kriminell, gleichgültig, Kommunisten, Faschisten oder Terroristen. Oder sie verhungern, bringen sich und andere um. Oder es holt sie einfach der Teufel. Möglich ist aber auch, dass der Verlag, die Buchhändler, die Medien, die Freunde, die Konjunktur eingehen. Dann gehen sie mit. Das Resultat: auch die restlichen 2,5% geben auf. Dass trotzdem in Österreich gute Bücher geschrieben werden ist kein Widerspruch, sondern wie vieles andere in diesem Land, gelebte Paradoxie. |
Herbert [Fleck] |
[zurück]
| blättern |
[weiter]
startseite | litera[r]t | autor*innen | archiv | impressum |