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Rote Linien : Zwei
Wir denken (nicht)!
I.
Selbst die kleinste Handlung, scheinbar einfach
Betrachtet mit Misstrauen! Untersucht, ob es nötig ist.
Besonders das Übliche!
Es ist als wären die ehemals aufgeklärten Bürger aller Vereinten Nationen in einen Abgrund bodenlosen Denkens gefallen, in eine Leere, aus der es kein Entkommen gäbe.
Es ist als hätte es Immanuel Kants Gedanken und Geist der Aufklärung als Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit niemals zuvor gegeben und der Mensch sei eben nur ein Stück aus krummen Holz..
Es ist als gäbe es heute überhaupt nichts Anderes und Wichtigeres denn die Frage nach teilender Moral (Selektion und Gewalt) und nicht die nach vermittelnder Vernunft (Diskurs und Teilhabe).
Das vermeintlich aufgeklärt Bürgerliche (in uns) ist grausam kollabiert, die Untoten Europas sind auferstanden und werden von neoliberal-neokonservativen sowie reaktionär-faschistischen Bewegungen allseits und aller Ortens bestärkt und gestärkt – Nationalismus-Militarismus, Machismus-Autoritarismus sowie Rassismus-Antisemitismus greifen um sich als wären sie (wie eh und je) das Natürlichste der Welt.
Wir bitten euch ausdrücklich, findet
Das immerfort Vorkommende nicht natürlich!
Denn nichts werde natürlich genannt
In solcher Zeit blutiger Verwirrung
Es ist als ob der Geist der Vormoderne zurückgekommen ist und sich hin zum sogenannten Mainstream entwickelt hat – als wäre dies das Selbstverständlichste der Welt.
Es ist als ob unser Handeln gleichsam alleine vom Primat der Natur gesteuert wird – und es nichts anderes geben kann und soll.
Es ist als ob unsere Kultur in eine (atavistische) Zeit zurückgefallen ist, in welcher die Natur unser umfassendster Feind war und wir nichts anderes taten als sie mit allen Mitteln zu unterwerfen und um jeden Preis zu beherrschen – koste es, was es wolle.
Nicht die Natur aber ist aus dem Gleichgewicht geraten, wie man uns allenthalben weis machen will, sondern alleine unser kritisch-aufgeklärter Blick für das, was man früher Gerechtigkeit nannte, hat sich gesamtgesellschaftlich mehr als eingetrübt und wird von vielen kapitalen, neokonservativen wie reaktionären Kräften weltweit unter heftigsten Beschuss genommen.
Verordneter Unordnung, planmäßiger Willkür
Entmenschter Menschheit, damit nichts
Unveränderlich gelte.
Bertolt Brecht.
II.
Der Mensch ist frei geboren, und liegt doch überall in Ketten.
Jean-Jacques Rousseau
Das, was man früher Wohlfahrt (für alle!) nannte – was mit den revolutionären Worten Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit! Weltgeschichte machte – und was einherging mit der Ausrufung universaler Menschenrechte, ist vollkommen aus dem emanzipatorischen Blick geraten, selbst in den sogenannt demokratischen und freien Staaten.
Das Gespenst, das vor knapp zweihundert Jahren in Europa umging, war keines, das vom Weltuntergang kündete, sondern eines, das selbstbewusst und wie (selbst)verständlich menschheitliche Forderungen erhob – und zwar im Namen derer, die nichts als ihre Ketten zu verlieren hatten.
In unseren heutigen Tagen der Unruhe(n), der Unsicherheit und des Unbehagens aber wählen und unterstützen eben auch diese Verlorenen jene kapital-reaktionären Kräfte, die ihre Ketten fest und fester schmieden als jemals zuvor – als ob die Vision einer gerechten Welt, in der alle Menschen in Frieden und Wohlfahrt leben, alle geschichtliche Kraft verloren hat und wir weder die Zeit noch die Muße haben, inne zu halten, um einfach nach zu denken.
Und jetzt die Corona Krise!?
Wir denken
Die Corona-Krise gibt den Mächtigen ein Herrschafts-Bett, in dem sie es sich offensichtlich mehr als gemütlich machen mit ihrer selbstgegebenen Notstands-Macht. Ein allzu bequemes Bett, von dem aus die Verantwortlichen die vielfach rechtsstaatlich erforderlichen Prozesse und die vielfach verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen und Abläufe kaum beachten, ja verantwortungslos missachten.
Jegliche Opposition scheint ebenso unerwünscht wie besonderes Denken und allgemeine Vernunft. Kritiker werden als Verharmloser diffamiert, Widerständige zu öffentlichen Gefährdern ausgerufen, als ob sie von terroristischer Gesinnung wären, die deswegen mit allen Mitteln zu bekämpfen seien, koste es, was es wolle.
Immer schon erwuchs aus der Krise die billige Toleranz, das "Notwendige" vor das rechtlich Erlaubte stellen zu lassen; immer schon wirkte die Rede von der "normativen Kraft des Faktischen" als eine Art allgemeiner Problemlöser. (…) Es ist ein Kennzeichen aller staatlichen Krisenzustände, mögen sie real oder auch nur herbeigeredet werden, dass immer rasch das rechtsstaatliche Gepäck in den Gully geschmissen wird. (…) Gerade in Zeiten der Krise sollten wir auf die überpeinliche Einhaltung unserer rechtsstaatlichen Handlungsschranken achten. (…) Was sich in Krisenzeiten an Rechtsverletzungen auftürmt, das neigt dazu, auch in postkritischen Zeiten Bestand zu behalten. Oder anders gesagt: Nur wer in der Krise auf die peinliche Einhaltung des Rechtsstaates achtet, kann aus der Krise mit der Zuversicht hervorgehen, diesen Rechtsstaat auch nach der Krise noch zu haben. Wir dürfen gerade in Zeiten der Seuche dem Siechen der Grundrechte nicht teilnahmslos zuschauen.
Alfred J. Noll
Die Regierungen und ebenso die Parlamentarier – sowieso schon längst be- und gefangen von der Normkraft des Faktischen und überfordert mit der Übermacht an vermeintlichen Notwendigkeiten – pendeln in ihrem Verhalten und Handeln, mit ihrem übereifrigen Aus- und Unmaß an Verordnungen und Erlässen, an Geboten und Verboten zwischen ersichtlich hilfloser Improvisation, lächerlichem Dilettantismus und nicht mehr erträglichem, autokratischem Gehabe. Ganz zu schweigen vom unangebracht autoritären Verhalten des Polizeiapparats, der allzu bereit ist mit harter Hand sowie mit unangemessen hohen Strafandrohungen bzw. dementsprechend hoher Anzahl an Anzeigen die Bevölkerung zum folgsamen Volk von Untertanen zu disziplinieren und zu degradieren.
Der bürgerliche Rechtsstaat, die heilige Kuh aller demokratisch Herrschenden, welche bisher noch ein jedes Mal propagandistisch in Stellung gebracht wurde, wenn es um die politische Forderung nach einer fundamentalen Änderung des herrschenden, kapitalistischen Systems ging, wird nun gleichsam anstandslos geschlachtet – so als ob der Rechtsstaat keinerlei gesellschaftlich verbindliche Bedeutung mehr hätte.
Die Regierung wird ermächtigt, während der Dauer der durch Covid-19 hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse durch Verordnung die notwendigen Verfügungen zur Förderung und Wiederaufrichtung der gesundheitlichen Versorgung, zur Abwehr wirtschaftlicher Schädigungen und zur Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen und Bedarfsgegenständen zu treffen. In den zu erlassenden Verordnungen können Geldstrafen … festgesetzt werden.‘
Das kommt uns doch bekannt vor?
Das ist doch die Basis der derzeitigen Maßnahmen der Bundesregierung? Mitnichten
Das ist der Text des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917, nur das Wort Krieg wurde durch Covid-19 und wirtschaftlich durch gesundheitlich ersetzt. Jener Gesetzestext also, mit dem 1933 der Rechtsstaat ausgehebelt, die Demokratie zerschlagen wurde und der Austrofaschismus die Macht ergriff. Die auffällige Parallele sollte zu denken geben.
Manfred Matzka
Wir denken
Die Corona-Krise ist kein Stresstest, keine Bewährungsprobe und auch kein Großexperiment, wie immer auch die Journaille unserer Tage diese außerordentlichen Verhältnisse und Vorgänge zu benennen versuchen, ohne dabei je einmal konkret zu benennen bzw. zu erkennen bzw. erkennen zu wollen, worum es denn wirklich geht.
Die Corona-Krise ist nicht anderes denn eine Demaskierung der Regierenden, den eigentlich demokratisch gewählten Repräsentanten, die sich nunmehr vor allem als Herrschende zeigen, die von ihren Untertanen vor allem und nur eines, nämlich Gehorsam erwarten und unter steter Androhung von harten juristischen Strafen sowie polizeilicher Gewalt alltäglich gesamtgesellschaftlich einfordern.
Die in den sogen. Normalzeiten der Demokratie so hoch gehaltene offene Gesellschaft, welche in ihrem Ideal allzeit von öffentlicher Debatte und streitbaren Diskursen bereichert und mitgestaltet wird, ist auf einmal eine genauso geschlossene wie unsere nunmehr wiedererrichteten nationalen Grenzen, inzwischen wohl die letzten offensichtlichen allgemein gültigen Roten Linien.
Eine Architektur der Unterdrückung (…) Sie wissen, was du im Netz machst. Sie wissen, ob sich dein Handy bewegt. Sie wissen bald vielleicht, wie unser Herzschlag und Puls ist. Was passiert, wenn sie diese Informationen mischen und auch noch künstliche Intelligenz nutzen? (…) Autoritarismus verbreitet sich zurzeit rasant durch Notgesetze. Gleichzeitig geben wir unsere Rechte ab und rutschen in eine wenig freie und wenig liberale Welt ab. Denkt ihr wirklich, dass all diese Möglichkeiten selbst nach dem Ende des Virus vergessen sind!
Eduard Snowden
Es wirkt, als ob sich niemand mehr darum kümmert oder sorgt, was alles – gewissermaßen von einem Tag auf den anderen – möglich (geworden) ist.
Es wirkt, als ob wir einfach so zur Kenntnis nehmen (müssen), was alles von einem Tag auf den anderen zu alltäglicher und herrschaftlicher Wirklichkeit (geworden) ist – alles das, was gestern noch in einem demokratischen Verfassungsstaat sowohl als vollkommen undenkbar als auch als in keinster Weise durchsetzbar galt.
Es wirkt, als ob der verfassungsgemäße Grundsatz eines demokratischen Rechtsstattes, das nämlich ein jeder Mensch als prinzipiell unschuldig zu gelten hat, bis er von einem ordentlichen Gericht verurteilt wurde, einfach so gesamtgesellschaftlich außer Kraft gesetzt wurde und wird.
Man steht jetzt ständig unter Verdacht (…) Es traut einem offenbar niemand mehr zu, unbevormundet ein verantwortungsbewusstes Leben zu führen (…) Ununterbrochen wird man bemahnt und gemaßregelt als seien alle (…) depperte Windelkinder.
Doris Knecht
Wir denken
Die Corona-Krise macht uns gleichzeitig – und einmal mehr – blind und taub und stumm ob der tatsächlichen Verhältnisse in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, denn die wirklichen Gefährder der Menschen, die wahren Feinde der Menschheit sitzen auch heute noch dort, wo sie schon vor hundert Jahren (oben) saßen, herrschten und herrschen: In den zynischen Unternehmensführungen großer (globaler, multinationaler) Unternehmen, in den global-asozialen Medienunternehmen sowie in den gläsernen Türmen der mörderischen Finanz- und Versicherungsindustrie, den abgeschotteten Banken- und Börsenvierteln, den sogenannten "safe spaces" des (neoliberalen) Gewalt-Kapitalismus.
III.
Es ist Wahnsinn und es hat doch Methode!
Wenn diese Corona-Krise als Weltenkrise das Zeitliche gesegnet hat, werden ebenso unaufhaltbare wie nicht vorhersagbar neue Krisen auf uns alle zu kommen.
Es ist also hoch an der Zeit, jenen Krisen, welche vorhersagbar und also aufhaltbar sind, nämlich den systemischen Krisen des neoliberalen Kapitalismus, ein nächstmögliches Ende zu bereiten, ein für allemal, denn:
Entweder wir bereiten diesem System der ebenso wachstumswahnhaften wie globalgierigen Ausbeutung von Natur und Mensch ein Ende oder die Menschheit als solche wird enden, denn die nächsten Naturkatastrophen werden kommen – und eines Tages werden wir mit allem, auch mit allem wundertechnisch-digitalem Latein unserer Zivilisation am bitteren Ende sein.
Entweder wir bereiten diesem System der ebenso wahnsinnigen wie weltweiten Zerstörung menschlicher und naturaler Ressourcen ein Ende oder unser aller Alltag wird einer der unheilbaren Krankheitsepidemien und des allgemeinen unaufhaltsamen Erden-Sterbens werden.
Entweder wir bereiten diesem System der alltäglichen Gewalt in den entsetzlichen Formen von Verarmung und Verelendung und Verrohung ein Ende oder wir als Menschheit sind bei der nächsten Krise schon lange am Ende, bevor sie auch nur anfängt.
Unsere ganze europäische Kultur bewegt sich seit langem schon mit einer Tortur der Spannung, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wächst, wie auf eine Katastrophe los: unruhig, gewaltsam, überstürzt: einem Strom ähnlich, der ans Ende will, der sich nicht mehr besinnt, der Furcht davor hat, sich zu besinnen.
Friedrich Nietzsche
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