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Das Kreuz mit der ISBN

In den letzten Wochen und Monaten habe ich mehrere Diskussionen mit Autor*innen um das markpolitische Phänomen der ISBN geführt und sehr rasch waren wie bei Amazon, beim Buchvertrieb und vor allem bei einer zentralen Aussage, die das Selbstverständnis von Autor*innen im Kern betrifft, dass nämlich ein Verlag, der auf eine ISBN-Nummer verzichtet und sich der Verkaufsplattform Amazon oder Auslieferern wie Morawa verweigert, diskreditiert sei, weil ihn niemand mehr ernst nähme.

Eine solche Behauptung negiert ein paar wesentliche Umstände. Die ISBN, die ein Buch eindeutig indentifiziert, ist ja kein Naturgesetz, sie dient lediglich den Interessen seiner Vermarkter*innen. Das einzige, was eine ISBN für Verlage und Autor*innen möglich macht, von Buchhandlungen gefunden zu werden. Die ISBN wird ja nicht umsonst vom Hauptverband des österreichischen Buchhandels vergeben. Sie dient den Profiten der Buchhandlungen. Alle jammern immer über das Sterben der Buchhandlungen, keiner fragt wie es den Klein- und Kleinstverlagen damit geht, dass sie dem Buchhandel bis zu dreißig Prozent oder mehr Rabatt gewähren. Das ist der eigentliche Sinn der ISBN, den Buchhandel zu nähren. Doch mittlerweile sind es nicht mehr kleine, rührige und wichtige Drehscheiben literarischen Lebens und Vermittler*innen von Texten, sondern wir alle nähren damit multinationale Postdienstleister und digitale Verkaufsplattformen.

Die wichtigsten Profiteure der ISBN sind ja mittlerweile die Postdienstleister. Ihr Name hat sich nur verändert, nicht ihre Strategie. Heute heißen sie Logistikunternehmen. Doch wer etwas versenden will, braucht nicht nur eine Menge Geduld, sonder auch Spürsinn. Im Dschungel der Tarife zählt heute ja nicht mehr bloß das Gewicht einer Postsendung, sondern auch ihr Umfang, wie schnell sie am Ziel sein soll. Alles wird berechnet. Und kostet bis zu dreißig Prozent des Verkaufswertes.

Wer mir den Nutzen einer ISBN erklären will, soll mir auch sagen, warum ein Verlag sechzig Prozent des Verkaufswertes eines Buches an Zwischenhändler verschwenden soll. Zumindest den Buchhändler können mündige Leser*innen ausschalten, indem sie direkt auf den Verkaufsseiten der Verlage bestellen oder noch besser, direkt bei den Autor*innen. So bleibt der maximale Profit in Händen der Autor*innen.

Und das Ziel von Verlagen muss doch sein, möglichst viel Profit bei den Autor*innen zu belassen. Wer mir die Werthaltigkeit einer ISBN-Nummer erklären möchte, der hat einige unumstößliche Marktmechanismen nicht verstanden. Die Autor*innen, als kreative Produzent*innen, sind das schwächste Glied in der Verwertungskette, obwohl sie ihre Basis bilden.

Ein Autor*innenverlag hat nicht die Verwertungskette im Blick zu haben, sondern Autor*innen die Möglichkeit zu bieten, eigene Verwertungsketten aufzubauen. Und in diesem Prozess spielt die ISBN-Nummer nur eine untergeordnete Rolle.


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Noch einmal zur Frage der ökonomischen Bedingungen im Verlag-Autor*innen-Verhältnis. Ein Autor hat mir geschrieben, dass ein bewusster Boykott der ISBN-Nummer, oder der Auslieferungsbedingungen von Amazon, moralische Onanie sei. Was für ein schöner Begriff: moralische Onanie. Da fällt mir ein Satz von Woody Allen ein, der sinngemäß gesagt haben soll: Sagen Sie nichts gegen Selbstbefriedigung, das ist ja schließlich Liebe mit sich selbst.

Wenn also eine moralische Handlung, ich bevorzuge ja den Begriff politisch, sei sie auch noch so wenig wirksam, eine Art der Selbstbefriedigung ist, ist doch noch nichts über die Rechtmäßigkeit dieser Widerstandshandlung ausgesagt. Sollen wir denn aufhören Widerstand zu leisten, weil sie uns in den Geruch bringt, moralische Onanist*innen zu sein.

Das würde ja jede Form des politischen Widerstands ad absurdum führen. Es bedeutet nämlich: Je geringer die Erfolgaussicht eines politischen Widerstandes ist, desto eher sollte man ihn unterlassen. Das Prinzip der Solidariät würde sich dann nämlich nach den Erfolgsaussichten der Handlung richten. Solidarität ist aber kein ökonomisches Prinzip, sondern ein soziales.

Bevor ich mich eines derartigen Solidaritätsprinzipes bediene, das seine Grundsätze nach einer möglichst großen medialen Aufmerksamkeit und einer möglichst hohen Relevanz für die Vermarktung von Literatur ausrichtet, bekenne ich mich zur moralischen Onanie und gebe den politischen und befriedigenden Orgasmen, die darauf folgen, den Vorzug. Lieber ein guter politischer Handjob durch die eigene Hand als ein moralischer und unbefriedigender Fick mit dem Literaturmarkt, der nur dazu führt, dass die Autor*innen auf jenen Platz verwiesen werden, der ihnen zukommen soll, am Ende der ökonomischen Nahrungskette.


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Noch eine letzte Anmerkung zur ISBN. Der Wunsch eine ISBN-Nummer auf seinem Buch gedruckt zu sehen, kann mehrere Gründe haben. Vielleicht will man mit den Wölfen heulen, um sich zumindest in dem Glauben zu wähnen, nicht von ihnen mit Haut und Haar gefressen zu werden.

Darüber hinaus will man mit einer ISBN-Nummer den eigenen Texten vielleicht größeres Gewicht verleihen, weil man denkt, dem Anspruch an das eigene Wollen nicht gerecht werden zu können. Man traut den eigenen Fähigkeiten, der eigenen literarischen Kraft nicht ausreichend, um ohne eine Nummer durchs Leben zu gehen. Die ISBN-Nummer simuliert ein Selbstwertgefühl, das man ohne sie in der Welt vielleicht nicht hätte und stärkt so das literarische Selbstbewusstsein. Sie suggeriert eine Sichtbarkeit, die gar nicht existiert. Denn auch mit ISBN-Nummer werden Buchhändler*innen nur dann ein Buch bestellen, wenn Leser*innen durch ihre Tür treten und ihnen einen Auftrag dazu erteilen. Dafür müssen Leser*innen erst mit dem Buch in Kontakt getreten sein, die Autor*innen und die Verlage sie erreicht haben. Mit Werbung. Marketing. Womit wir wieder beim Schmiermittel des Kapitalismus angelangt wären, das im Falle des Literaturmarktes die Kulturkritiker und Medien sind, die wiederrum Kleinst- und Kleinverlage, und ihre Produkte, also letztendlich die Autor*innen, ignorieren.

Aber es kann auch bloß der persönlichen Eitelkeit der Autor*innen schmeicheln, einen Verlag gefunden zu haben, der das Buch druckt, jemanden, der das Buch deartig toll findet, dass er oder sie sich die Mühe macht, es zu publizieren und es mit dem Aufdruck einer ISBN adelt. Das ist der größte Selbstbetrug, zu dem Autor*innen überhaupt fähig sind. Selbst für den kleinsten Kleinverlag ist ein Buch noch ein Gewinn, denn es ermöglicht ihm Umwegrentabilität. In einem Land, in dem Bücher durch den Staat gefördert und Subventionen für Vereine gewährt werden, ist jedes Buch, selbst wenn sich kein einziges Exemplar verkauft, ein Gewinn. Und das hat mit der Qualität des Textes nur bedingt zu tun. So wie kaum ein Autor/eine Autorin ein Stipendium erhält oder einen Preis gewinnt, weil sein/ihr Text brilliant oder außergewöhnlich ist. Es sind bei jeder Preisvergabe und bei jeder Entscheidung, ein Buch zu drucken, Marktmechanismen im Spiel, zu dem die Verlage, Jurys, Subventionsgeber, Preisverleiher*innen, die Literturkritik und die Leitmedien unserer Gesellschaft das ihre beitragen, Autor*innen sichtbar zu machen oder in der Dunkelheit mit ihren Texten verrotten zu lassen.

Vierzig Jahre Erfahrung mit dem Literaturbetrieb haben mich eines gelehrt: Wir tanzen alle um das Feuer der ISBN-Nummer und erkennen nicht, dass es sich dabei um einen Scheiterhaufen handelt, der immer und vor allem für die Autor*innen errichtet wird, kurz bevor die Nacht über sie hereinbricht.

Raimund [Bahr]


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