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litera[r]t
[heft 9] [oktober 2013] wien - st. wolfgang



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Der Himmel ist kein Geschenk
Karin Posth

auszug aus dem gleichnamigen gedichtband: der himmel ist kein geschenk


sintflut

der himmel legt brennholz nach.
wir kriechen auf allen vieren
durchs haus und sehnen uns
nach der morgenfrühe zurück.
noch während wir den tau auf den
wiesen spüren, wird der tag schwarz.
wolken halten eine versammlung ab.
seite an seite türmen sie sich auf,
schrauben den deckel über uns
enger. der mond kommt früher
zur schicht. er spricht mit den
sternen und beklagt sich über die
finsternis. dann brechen die dämme
der wolkenmauer. flüsse und
meere steigen und füllen die
landschaft bis zum rand mit
schlammigen seen. außer
reichweite rettende inseln. niemand
hat uns gewarnt vor der sintflut.



geduldig wartet die erde

am morgen. die vier elemente
sitzen am tisch und spielen
versessen ein spiel nach
dem anderen. der einsatz ist
hoch. sie versetzen dünen,
falten gebirge, schnippeln kontinente
auseinander oder stecken sie
zusammen. türmen wellen
auf und versenken schiffe,
werfen häuser und bäume
aus dem spiel. zug um zug,
wie es im buch der erde
geschrieben steht. der himmel
über der erde schläft
einträchtig wie ein bruder. uns
reißen sie gewaltsam aus dem
schlaf und lassen uns vor
angst erstarren.

hört endlich auf, schreien wir.
spielverderber, antworten sie.



der hafen, zerstört von haushohen wellen.
die fischer sahen sie kommen auf offenem
meer, flach, langgestreckt wie ein schlafender
hund. heulend stellte er seine hinteren pfoten
auf das sandige land, bäumte sich auf, barst
blutrünstig in ein rudel von wölfen, alles
verschlingend, begrabend.

die erde schaut ratlos zu. ihre ausbrüche
kommen und gehen. sie will es nicht und
will es doch. ungebärdig wie ein kind.
an diesem ort ist niemand mehr sicher, spricht
ein toter baumstamm aus blauschwarzer
tiefe. was macht menschen so blind zu
glauben, ihnen könnten flügel wachsen?



wenn die erinnerungen

blasser werden, hört die welt auf
hinter dem haus. jenseits der mauern
vergessenes land. an den
fensterläden hat das wetter seine
launen ausgelassen. hinter den
gardinen ihr gesicht. das alter hat die
sprache eingeholt. die worte
verstecken sich vor ihr. auch beim
lesen fallen die buchstaben aus der seite,
bevor die augen sie erraten haben. ein lkw
hält vor der tür. drei männer treten
unbemerkt durchs gartentor. sie tragen
zimmer für zimmer ab: geschichten,
gesichter, gedanken, gefühle, bis das
gedächtnis kein zuhause mehr hat.



© bei der autorin

karin posth, geboren 1945 in marienbad. lebt in köln. übersetzerin und versicherungsfachwirtin (fh köln). seit 2009 lyrikerin und malerin. 2010 - 2011 fernstudium „das lyrische schreiben“.
seit 2013 mitglied bei artoffer
2011
gewinnerin der spezialaufgabe beim literaturpodium zum thema berühmte persönlichkeiten; 5. preis beim lyrikwettbewerb des literaturpodiums; 3. preis beim österreichischen haiku-wettbewerb lotosblüte
2012
preisträgerin beim lyrikwettbewerb der bibliothek deutschsprachiger gedichte; platz 6 des user-votings beim hildesheimer lyrikwettbewerb; preisträgerin der spezialaufgabe beim literaturpodium zum thema wüsten; aufnahme in die anthologie zum feldkircher lyrikpreis
2013
aufnahme in die dokumentation der katholischen erwachsenenbildung diözese rottenburg-stuttgart e.v. (keb literaturwettbewerb mensch. werden. lernen); 7. preis beim dorstener lyrikpreis

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