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litera[r]t
[heft 7] [oktober 2012] wien - st. wolfgang
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sterbelieder [auszug]
raimund bahr
für dich und mich
und meine letzten stunden
schrieb ich diese verse
kein gottesfürchtiges gebet
kein flehen um gnade
wo kein mitleid zu erbitten ist
für dich und mich
will ich meine verse sprechen
die so leicht sein wollen
wie der wind
der aus dem süden kommt
und das land besteigt
wenn es ihn am dringensten benötigt
für dich und mich
will ich meine verse sprechen
die so ruhig sein wollen
wie das wasser
das aus dem see heraufsteigt
und die herbstbemalten hügel
zum letzten male nährt
bevor der winter einzieht
der mit seiner weißen robe
alles zudeckt
was mich gestern noch
in meinem kalten land verfolgte
für dich und mich
will ich meine verse sprechen
die so einfach gesagt sein wollen
wie die worte
die einem kind entfliehen
das sich in der welt
mit der welt vereint
für dich und mich
will ich meine verse sprechen
an meinem sterbebett
wenn ich mich bereit erkläre
auszureisen
aus meinem dasein
das mir längst nicht nur geliehen
sondern besitz geworden ist
durch den akt
den meine eltern mit bedacht
an mir vollzogen
für dich und mich
will ich meine verse sprechen
die nun klingen
wie fremdländische vokabel
und in diesem ausklag
will ich nicht stammeln
sondern besonnen sprechen
von den schönen tagen
die es immer gab
auch wenn ich wenig
davon sprach
© beim autor
textproben aus dem buch gebete eine atheisten.
raimund bahr wurde 1962 in mödling (nö) geboren. studium der geschichte an der universität wien.
promotion 1992. studium der germanistik an der universität salzburg.
biographische arbeiten zu herbert zand, marie langer, elisabeth freundlich, erika danneberg und günther anders.
publikationen auswahl
einander zwei. erzählung. 2009.
kaltes land. lyrik der gegenwart. band 6. 2010.
kleingeschrieben. journal. 2010.
zwölf mal zwölf. lyrik der gegenwart. band 17. 2012.
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