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litera[r]t
[heft 6] [juni 2012] wien - st. wolfgang
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Plastiniertes Gelände
Tobias Falberg
Lila Planet
Bei Sonnenaufgang
steigen die Thermometer,
wir entrollen unsere Rücken
auf intravenösen Liegen.
So gewohnt das keusche Lila,
die Luft in ihrer Zusammensetzung
aus Gebläse und Kiemenchemie:
ein Planet und seine gasförmige Hülle.
Kühlschränke wehen herüber,
Halden, die sich Botaniker
zu beleben bemühen. Elastische Biomasse
über rissrostigen Betonbeeten und Bergen
entsorgter Technik. Bis Sonnenaufgang
diese Trupps, unscheinbar im Lila,
bringen Ableger aus, feinste Zweige
geblisterter Flora.
Wir lächeln bei dem Gedanken,
schlafen ein.
Uferstück
Der Abend pflanzt uns Hände ins Haar.
Wir liegen am Ufer, zwischen Häusern
teilt sich der Strom, fließt
wieder zusammen.
Aus Händen wachsen Arme, Schultern,
dein Hals. Er macht dich sichtbar
unter Zweigen deine Erscheinung
aus Blattrippen, Haut.
Die Nacht greift uns auf, die Nacht,
mit silbrigen Zecken im Fell.
Wir balgen vorm Wald aus Balkonen,
dein Gesicht, das Gras, dein Gewicht,
ein Muskel gewordener Hunger.
Wir hören es rauschen.
Voll und rund
fallen die Sterne.
Schneewehen
Siebzig Stunden Sturm, das Licht, über Tage
kaum sichtbar, kehrt reinweiß zurück
auf Hiddensee.
Bleiben ist unvermeidbar. Kälte
wächst in den Gelenken der Landschaft,
die versucht, sich schmerzfrei zu lagern.
Ohne Strom
fällt Fortschritt aus, die Melkmaschine
ersetzen Hände: Hektik
und Geduld. Langsam
stapelt das Meer Packeis.
Helikopter fliegen Schwangere aus.
Ihre Wehen schrauben sich
am Rotor hinauf. Unten reinweißes Laken,
Kaiserschnitt. Über dem Schneerand
geben Baggerarme Zeichen.
© beim autor | textproben aus dem buch plastiniertes gelände
tobias falberg, geboren 1976 in lutherstadt wittenberg, studierte wirtschaftswissenschaften in magdeburg und lebt heute in nürnberg.
er schreibt gedichte und prosa.
seine texte wurden in zahlreichen literaturmagazinen, tageszeitungen sowie in den jahrbüchern der lyrik und anderen
anthologien veröffentlicht.
2007 erschien der kurzgeschichtenband "landschaft mit Ufo".
seit 2010 entstehen in zusammenarbeit mit dem bildenden künstler hans-peter stark bild-text-gedichte.
die erste ausstellung dieser form der poesie eröffnete in zusammenarbeit mit der zeitschrift wespennest im mai 2011 in wien unter dem titel
"hundertvierzig quintillionen grad".
für seine gedichte wurde falberg mehrfach ausgezeichnet. er erhielt zuletzt den lyrikpreis der nürnberger
kulturläden, ein aufenthaltsstipendium im künstlerhaus lukas in ahrenshoop und im november 2011 den feldkircher lyrikpreis.
"plastiniertes gelände" ist sein erster gedichtband.
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