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[heft 6] [dezember 2011] wien - st. wolfgang



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Der Tod in Salzburg
Peter Simon Altmann

Ich möchte sterben. Nichts schenkt mir Freude. Aufstehen, Frühstücken, Zähneputzen, Spazierengehen, alles bedarf einer unglaublichen Anstrengung. Wie jeder einmal im Laufe seines Lebens über die Liebe nachsinnt, gibt es auch Zeiten, in denen an Selbstmord gedacht wird, und manchmal fällt beides zusammen. Die meisten Menschen bringen sich nach wie vor aus verschmähter Liebe um. Der psychische Schmerz, die auf Grund der Zurückweisung entstandenen Verletzungen, sind einfach zu groß. Lieber nichts mehr spüren als weiterzuleben. Das Herz sticht zu sehr.

Spätestens wenn man anfängt darüber nachzudenken, wie man seinem Leben ein Ende setzt, sollte man Hilfe in Anspruch nehmen, verraten uns die Fachleute. Als Jean Améry im Oktober 1978 nach Salzburg gekommen ist, hatte er seinen Selbstmord schon genau geplant, da er eigens deswegen die Reise in die Mozartstadt auf sich genommen hat. Er fand, daß Salzburg der richtige Ort für seinen letzten Gang ist. Ich würde gegenteilig aus der Stadt fliehen, um eben irgendwie dem Freitod noch zu entkommen.
Natürlich sollte man sich nicht wegen der Zurückweisung eines anderen Menschen umbringen, kein Mensch sollte so eine Macht über einen anderen haben, und es erstaunt, daß man nicht von sich aus so viel Eigenliebe und Selbstwertgefühl entwickelt hat. Trotzdem kann der Suizid aus Liebeskummer verstanden werden, daß dem Leben in diesem Gefühlstaumel der Garaus gemacht wird.

Bei Jean Améry ist die Selbsttötung aber zunächst nicht auf Grund einer seelischen Verstörung zu erklären, sondern ein besonnener Akt, eine wohldurchdachte Angelegenheit, eine Idee, die von einem Besitz ergriffen hat. Der österreichische Schriftsteller Peter Hodina stößt sich anläßlich des Selbstmordes eines Freundes gerade an der Umsetzung dieser Idee beziehungsweise der Umsetzung jedweder Idee überhaupt. In dem ersten Band seiner Trilogie »Steine und Bausteine« schreibt er in diesem Zusammenhang: »’Eine Idee umsetzen’, tja, so hieß es im Gymnasium oft, eine Idee müsse, müsste umgesetzt werden, bevor sie eine richtige Idee genannt werden könne... Später dann also: ’Die Freiwirtschaft umsetzen’, ’Die Weltfriedensidee umsetzen’, ’Den Kommunismus umsetzen’ usw.« Und Hodina bietet in dem Kapitel »Wegen Jean Améry sich umbringen?« auch die Lösung an, wie man diesem Firlefanz entkommt: »Nein, der Gedanke hat für mich keine zwingende Kraft, zu sehr stecke ich in den Sinnen und will da gar nicht heraus. Wenn Sie wollen, ein Tier... zum ’Vollzug’ eines Gedankens komme ich nicht, dieser Vollzugs- und Vollstreckungsgedanke ist mir urfremd. Aus einem Gedanken folgt für mich keine Konsequenz...«

gasthof ganshof Mich fasziniert es trotzdem weiterhin, wie jemand sich, vielleicht schon Wochen zuvor, so konsequent fürs Ende entschließt, wie zum Beispiel in dem Film »Le feu follet« (Das Irrlicht, 1963) von Louis Malle, eine freie Adaption des gleichnamigen Romans von Drieu la Rochelle und einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald. Da schreibt die von Maurice Ronet gespielte Hauptfigur das genaue Datum jenes Tages, an dem er beschlossen hat, aus der Welt zu scheiden, auf dem Spiegel. Diese Art von Entschlossenheit entbehrt nicht eines gewissen Heroismus und erinnert mich fern an Seppuku, auch Harakiri genannt. Den Bauch aufschlitzen kann sich nur jemand der über äußerste Willenskraft verfügt. Selbstmord allein aus Verzweiflung oder Liebeskummer wäre in diesem Fall sicherlich unmöglich.

»Ich möchte auf meine alten Tage heimkehren... Ich gehöre in unser Hügelland.« Salzburg ist ein schöner Ort, um zu sterben: Die zwei sanften Hügel der Stadtberge, die einzigartige Anordnung von Kirchen und Häusern, die Salzach – der Fluß, der die Stadt in der Mitte durchtrennt... Jean Améry nahm für seinen letzten Schritt Logis im Hotel »Österreichischer Hof«, das seit geraumer Zeit nun auch, als Pendant zum Stammhaus in Wien, »Hotel Sacher« genannt wird. Jedenfalls läßt sich die berühmte Torte seit ein paar Jahren jetzt auch in Salzburg als Mitbringsel dort an der linken Ecke des Gebäudes erwerben.

Améry verfaßt Abschiedsbriefe, an die Polizei, um zu erklären, »daß ich mir freiwillig, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, den Tod gebe«, an die Hotelleitung, um sich für die Umstände zu entschuldigen, an seinen Lektor und an seine Frau. Außerdem legt er eine beträchtliche Summe Geld für die etwaigen Ausgaben bei. »Minizös bereitet er alles vor, nichts wird dem Zufall überlassen«, schreibt seine Biographin Irene Heidelberger-Leonard.

Wenn das Leben zur Qual wird... Ich betrete den »Österreichischen Hof« an einem milden Herbstabend, als es draußen noch etwas hell ist. Links in der Hotelhalle und im beigeschlossenen Café hängen zahlreiche Fotos von berühmten Leuten, die hier residiert oder zumindest einen Kaffee getrunken haben. Musiker vor allem, Dirigenten, Sänger, Pianisten, Künstler aller Art, viele weltbekannte Schauspieler, aber auch Politiker aus dem In- und Ausland. Von mancher Persönlichkeit sind sogar zwei Porträtaufnahmen zu entdecken. Das Bild des österreichischen Schriftstellers Hans Maier alias Jean Améry wird man aber hier wohl vergeblich suchen, und das Hotelpersonal wird auch sicher nicht erfreut sein, wenn ich nach der damaligen Zimmernummer frage. In einem Radiobericht habe ich einmal gehört, daß die Leiche damals heimlich, in einen Teppich eingerollt, hinausgetragen wurde, um die anderen Hotelgäste beim Abtransport nicht zu erschrecken.

Ich setze mich auf einem versteckten Platz im Café und bestelle eine Sachertorte und heiße Schokolade. Mein Körper ist schwach. In den letzten Tagen, Wochen, hatte ich keinen Appetit und dementsprechend wenig gegessen. Ob Jean Améry vor seiner letzten Tat auch noch hier gewesen war? – Es ist wohl anzunehmen, daß er bei seinem Aufenthalt zumindest einmal im Café, auf Tee und Kuchen vielleicht, vorbeigeschaut hat.

Wo ist mein Lachen?... Acht Uhr. In der Zwischenzeit ist es draußen finster geworden. Für Oktober herrscht eine ungewöhnlich warme Luft. Ich flaniere die Salzach der Flußrichtung nach hinunter. Das Licht der Straßenlaternen spiegelt sich im rasch, aber doch ruhig fließendem Wasser. Die Sterne am dunklen Nachthimmel funkeln.

Nachdem ich kurz auf einer Bank Platz genommen habe, steige ich in Mülln den Mönchsberg hinauf, um gänzlich allein zu sein. Der Mensch, mit dem ich auf Dauer am liebsten meine Zeit verbracht habe und weiterhin verbringen würde, hat sich von mir getrennt. Die Zurückweisung verletzt mich beinahe tödlich. Was bleibt, ist das Schreiben. Solange ich die Tragödie irgendwie ausdrücken kann, wird sie mich nicht umbringen. Ich habe noch einige Geschichten zu erzählen. Einfacher wäre es freilich, zu springen.



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