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[heft 4] [dezember 2011] wien - st. wolfgang



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Triangulation? | Die Trinität als Zerrbild
Peter Hodina

Wie schnell schichten sich Zerrbilder auf und decken uns zu, ja VERWÜSTEN uns. So auch vor allem die Glaubensinhalte, sofern sie mechanisch andressiert werden. Die Kinderstube ist die Ursache des späteren Unglücks; die für Kinder zugerichtete Religion muss später geläutert, geklärt werden, es sei denn, man würde aus dieser Kinderperspektive heraus noch leben können. Aber wer könnte das? Welcher einigermaßen bewusste Mensch könnte das? Jene mechanisch eingelernten Gebete von damals, das Vater unser, das Credo, der Rosenkranz, gedankenlos "heruntergerasselt", diese Trostlosigkeit des Lebensverzichts, diese Finsternis und Dumpfheit, die wir in manchen Pfarren antreffen, lassen uns an die Bemerkung des Pastorensohns Nietzsche denken, welcher sagte, die Christen sähen so "unerlöst" aus. Und schon ein Wort wie "Erlösung"! Wie kann man es noch in den Mund nehmen, wenn in unserem allernächsten Umkreis Leute sagen, der Kranke, der gestorben ist, sei nun "endlich erlöst" – obwohl der einzige Mensch, der an seinem Kranken- und Sterbebett saß, uns vergeblich berichtet, welch einen Todeskampf er gekämpft habe, eben keineswegs getröstet, sondern sich aufbäumend gegen den Tod, die Fäuste dagegen ballend. Bis zuletzt. Dann ist es Lüge, wenn die abwesend Gebliebenen sich der PHRASE bedienen, der Todkranke sei nun "erlöst". Und die Wüste, die Verwüstetheit breitet sich vollends aus, wird zur Pestilenz, wenn gesagt wird, das sogenannte "Euthanasie"-Programm der Nazis wäre eine "Erlösung" für die in Wirklichkeit ermordeten Behinderten gewesen. Der Begriff "Erlösung" wird auf solche Weise korrumpiert. Wird ungenießbar. Es kann die Folge davon sein, dass man ein Wort wie "Erlösung" aus seinem Wortschatz streicht. Und auf solche Weise kann es immer weitere Worte des religiösen Thesaurus erfassen: sehr schmerzend kann etwa vor allem auch der Begriff "Opfer" werden, wenn er mit Soldatentod, ja Massenmord verquickt wird, und wenn man unachtsam oder, was noch schlimmer ist, in manipulatorischer Absicht das Adjektiv "notwendig" davorsetzt: ein "notwendiges Opfer" sei zu erbringen… Solange es um verhältnismäßig kleine Opfer geht, um irgendwelche Steuererhöhungen etwa, ist solche Redensart ja noch zu verschmerzen. Wenn es aber um Tatsachen des Völkermords geht, sträubt sich in uns alles: das Empfinden, das Gewissen. Sofern wir uns Wörter wie "Empfinden" und "Gewissen" noch erlauben, denn auch diese Wörter sind durch unachtsamen, geläufigen Gebrauch arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Sie brauchen nur ein bisschen missbräuchlich verwendet werden und schon entwickelt sich eine hartnäckige Allergie dagegen. War man vielleicht in seiner Jugend einmal jemand, dem "Innerlichkeit" eine anzustrebende Haltung schien, kann einem später dieses Wort ganz und gar ungenießbar werden, wenn man mit der süßlichen Jesulein-Verehrung eines Grafen Zinzendorf in Berührung gekommen ist oder die politisch fatale Haltung "machtgeschützter Innerlichkeit" kritisch ins Visier nimmt. So tappen wir also von einer Fatalität in die nächste. Beinahe der gesamte Bestand des religiösen, des theologischen Thesaurus ist gewissermaßen "virenverseucht", die "Würmer" und "Trojaner" gehen darin munter um oder haben sich behäbig-pharisäisch darin eingerollt und winterfest gemacht.

"Schluss mit aller Metaphysik!" – Dies war eine der philosophischen Reaktionen. Doch was sich dann alles als Metaphysik entpuppte, sogar noch die Grammatik… Wir können uns ja andererseits nicht sämtliche Wörter verbieten, weil sie schal geworden sind – und gleichwohl in ihrer Schalheit verletzend, durch Selbstgerechtigkeit und Gedankenlosigkeit verletzend, weil jeglichen Dialog, jegliches "dialégomai" unterbindend. Tote Splitter treiben in diesem schalen, vergifteten Meer – daselbst, wo Atlantis versank, ist das Meer fortan nicht mehr schiffbar.

So ist es auch mit der TRINITÄT. Wie sehr habe ich dieses Gebilde oder Ungebilde jahrelang gehasst! Ich nannte sie kürzlich erst die Strukturformel des Panzerpatriarchats. Mit Gilles Deleuze und Félix Guattari ("Anti-Ödipus") schien mir diese angeblich geheimnisvolle Trias aus Vater – Sohn – Heiliger Geist kaum mehr etwas anderes zu besagen als eine "Triangulation", wobei dieses Wort nicht zufällig eine Assonanz zu "Strangulation" evoziert. Der Zufall wollte es, dass eine der Geburtsstätten des Baader-Meinhof-Terrorismus die Ortschaft TRIANGEL war, wo der Nazidichter Will Vesper seinen Sohn Bernward Vesper drangsalierte, mit einem giftigen metaphysischen Gemisch, und ihn in einen Nihilismus der Verzweiflung hineintrieb, wie aus dem seinerzeitigen Kultbuch 'Die Reise', das dieser Sohn vor seinem Suizid verfasste, hervorgeht. Auf dem Schutzumschlag dieses viele hundert Seiten umfassenden, Fragment gebliebenen Verzweiflungs-Dokuments ist die Eisenbahn-Haltestelle des Heimatortes abgebildet mit jenem Schild: TRIANGEL. Also auch hier die "Triangulation" als Endstation und zugleich Ausgang des Lebensübels, als "Ursache" im Sinne Thomas Bernhards, der in Bezug auf das Salzburg seiner Heranwachsensjahre als von einem "katholisch-nationalsozialistischen Todesboden" sprach.

In einem Vater, mit dem man sich nicht identifizieren kann, heillos gefangen sein… "Den Willen des Vaters tun" – wie so eine Formel lautet. Eine unsägliche Formel: denn "einen Willen tun", das ist schon als Formulierung irgendwie infantil, kümmerlich, erinnert an die Eindeutschung des grammatischen Begriffs "Verbum" als sogenanntes "Tunwort" für ABC-Schützen. Habe/hätte der Sohn keinen eigenen Willen? Wäre also der Eigenwille des Sohnes das Übel? Solle der Sohn GLEICHGESCHALTET sein mit dem Vater und dessen Willen? Was, wenn der Wille des Vaters selber widerspruchsvoll ist? Was ist überhaupt der Wille? "Geist – wer ist denn dieser Bursche?", so fragte einmal, gegen die deutschen Idealisten gerichtet, Arthur Schopenhauer. Doch "Wille" – wer ist nun dieser Bursche? Und also auch nun einen – wie gesagt, vorausgesetzt, es wäre einer, ein klar artikulierter, nicht selber ein in sich zwiespältiger – Willen, einen FREMDWILLEN tun… Vom Infantilen der Formulierung einmal abgesehen.

Ich kannte jemanden, der ursprünglich Priester werden wollte und sich mitten im ersten Abschnitt des Theologiestudiums befand. Aus Sparsamkeits-, doch auch Bequemlichkeitsgründen war er im Unterschied zu seinen beiden älteren Geschwistern im Elternhaus verblieben. Die Eltern, Vater wie Mutter, waren im Lehrerberuf tätig und in Ruhestand gegangen; nun saßen sie in der Küche ihres Einfamilienhauses beisammen, die sie mit Holz austäfeln ließen, um sie fortan als Wohnküche sich heimelig zu machen, und wussten auf einmal mit der vielen freien Zeit nichts anzufangen. Um Heizkosten zu sparen, war die auf drei Personen geschrumpfte Familie in dem an sich großen Haus zusammengerückt. Das Wohnzimmer – es war ein richtiger Salon, vollgestellt mit zum Teil ziemlich wertvollen Antiquitäten – glich einem Museum, das man nicht bewohnte. Das Antiquitätensammeln war die große Passion des Vaters, der sich und seiner Familie diese Schätze förmlich vom Mund absparte. An allem wurde gespart, um sich den einen oder anderen Schatz mehr erwerben zu können – es waren auch ehemals sakrale Gegenstände darunter, beispielsweise zwei Monstranzen, die eine mit einer Hostie, die andere mit einem Kreuzpartikel.

Die Küche war, bevor sie gemütlich gemacht wurde, gemütlicher. Ein altes, bäuerliches Kruzifix hing im sogenannten Herrgottswinkel, das niemanden bislang gestört hatte. Es war in der Familie meines Bekannten damals noch Brauch, zu Mittag ein Tischgebet zu sprechen – er hatte es auch immer mit den Eltern anstandslos mitgesprochen, bis zu einem bestimmten Tag…

Der Antiquitäten sammelnde Vater hatte auf einmal einige Umstellungen in der ganz frisch nach dem Holz duftenden Küche vorgenommen: Das Kruzifix war aus dem Herrgottswinkel herausgenommen und hinter dem Sitzplatz des Sohnes mit der Bohrmaschine befestigt worden… Es ist traurig, wissen Sie was nun kommt? Erraten Sie es vielleicht? – Es ist möglicherweise auch einfach nur skurril, obzwar einem Dostojewski diese Situation, diese SZENE nicht entgangen wäre. Der Vater hatte über seinem eigenen Sitzplatz – die Sitzordnung in dieser Familie stand immer fest – einen alten, grauen gotischen Herrgott, der segnend die Arme ausbreitete, auf dem neuen Küchenkasten montiert, auf den er nun überhaupt gar nicht passte. Er nahm sich aus wie eine Jagdtrophäe oder eine ausgestopfte Fledermaus. Zum Sitzplatz der Mutter hin blickte nun ein kleines barockes Madonnenbild, eine Madonna, deren Herz blutete… Das heißt, nicht das Madonnenbild blutete (es war kein sogenanntes "wundertätiges", denn sonst hätte dieses Einfamilienhaus sogleich in einen Wallfahrtsort verwandelt werden können), sondern das blutende Herz war lediglich ein gemaltes. Während an einem Vormittag sich der Sohn an der theologischen Fakultät aufhielt, dort aber seit einiger Zeit hartnäckig gegen Anwandlungen einzuschlafen kämpfen musste (bis weit in die Nacht pflegte er zu lesen, etwa, ich erinnere mich, Hans Urs von Balthasars dreibändige 'Apokalypse der deutschen Seele' oder auch ein ebenfalls dickes Buch mit dem Titel 'Vom Mythos zum Christos' eines ehemaligen Salzburger Religionsphilosophen, Vater dreier erwachsener Kinder, den es im akademischen Lehramt nicht mehr hielt und der, mit dem Aussehen eines Wüstenanachoreten oder vielleicht Lew Tolstois, sich zu Fuß nach Indien aufmachte, auf den Spuren des Apostels Thomas, einer unsicheren Legende zufolge), er, der Theologie studierende Sohn, hatte sich allmählich die Haare länger wachsen lassen und – man hätte vielleicht so sagen können – verweiblichte ein wenig. Er unterschied sich stark vom Großteil der die Hörsäle Bevölkernden: er glich mehr einem Germanistik- oder Philosophiestudenten, der abends durch die Kneipen zieht. Er hatte auf einmal den Eindruck, dass er ein wenig noch jugendlich sein solle…

In jenem Einfamilienhaus brach indessen eine Zusammenlebenshölle aus. Der Sohn bestand darauf, die Sitzordnung am Mittagstisch zu ändern: er setzte sich unter den gotischen Herrgott und wies dem Vater den Platz unterm Kruzifix an. Der Vater war nicht spaßig, nicht flexibel genug, es sich gefallen zu lassen. Er wollte mit Gewalt den Sohn von seinem neuen Platz wegzerren. Der Sohn behauptete, der Vater habe absichtlich sich Gottes Platz angemaßt, den Sohn zur Kreuzigung, zum Verzicht bestimmt, die Mutter indessen zum Bluten… Szenen spielten sich nun ab! Für jeden Theatermenschen eine Freude, ein "gefundenes Fressen". Das Thema war die TRINITÄT. – Noch lange danach würde der Sohn davon träumen, seinem Vater zu sagen, dass er durch ihn die Religion verloren hätte… Und irgendeine Art SCHAUM würde sich in seinem Mund bilden, der ihn hinderte, diese Worte, die gleichwohl sich in ihm ganz klar ausartikuliert hatten, auszusprechen. Wieder und wieder sähe sich der Sohn in eine Behinderten- oder genauer: Entmündigten-Rolle versetzt.

Nach einer so überaus langen Zeit nahm der Sohn die alten Bücher von damals zur Hand, die er meist auf eigene Faust, außerhalb des Curriculums, las. Allmählich gewann er einen anderen, provisorischeren Zugang zum Glaubensgeheimnis der Trinität. Er lernte ganz von selbst die verschiedenen Trinitäts-Deutungen kennen, aus allen möglichen Büchern spielten sich ihm diese Denkanstöße zu. Was war der Heilige Geist? War er wirklich das, was sein Vater behauptete: die Einheit des Sohnes mit dem Vater im absoluten Gehorsam? War der Sohn ausschließlich ein Stellvertreter und Erfüller des väterlichen Willens? Für den Vater des ehemaligen Theologiestudenten war der Heilige Geist jenes Wohlgefallen, das sich väterlicherseits einstellte, wenn der Sohn auf jeden Eigenwillen, auf die SELBSTVERWIRKLICHUNG verzichte, die Verschraubung von Vater und Sohn. Die Einwilligung des Sohnes ins Geopfertwerden.

"Auch im Krieg? Im verdammten Scheiß-Krieg? Im gottverdammten Scheiß-Hitler-Wehrmachtskrieg?" – So ging das dahin, in jenem Einfamilienhaus, es war zufällig genau zu der Zeit, als Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt worden war (1986). Es hätte eines kundigen Familientherapeuten oder eines wahrhaften SEEL-SORGERS bedurft, um diesem unwürdigen Disputieren, diesen Dramoletten ein Ende zu setzen und den Herrgott im Himmel zu lassen und das alte Kruzifix in den angestammten Herrgottswinkel zurückzuhängen. Das Herz eines Liturgen insbesondere würde geblutet haben. Auch wenn er diese vielen sakralen Antiquitäten – einst waren sie ja geweihte Gegenstände! (oder waren sie es noch immer?) – ihrem Sinn und Zweck entfremdet, im wahren Sinn des Wortes deplatziert gesehen hätte. Den hilflos segnenden, wurmstichigen Herrgott in seinem grauen Faltengewand, der aussah, als wäre er lange im Wasser geschwommen und dann schließlich einmal an Land gespült worden, der wie eine erbärmliche Jagdtrophäe auf einen neuen Küchenschrank gebohrt worden war. Der hilflos-ohnmächtig seine Arme ausstreckte, um diese drei jammervollen und gegeneinander leider hasserfüllten Leutchen zu segnen, die sich in etwas verfangen hatten, was sie "in ihrer Verwirrung und Sünde" unheiligen Geistes nicht verstanden.





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