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litera[r]t
[heft 3] [september 2011] wien - st. wolfgang
Noch einmal
Werner Rohner
Es war lange her, dass sie die Haare nicht einfach zusammengebunden, die Haut mit Parfum statt mit Creme
gepflegt und die Lippen rot geschminkt hatte. Das Zittern ihrer Hände war ihr früher nie aufgefallen, aber
vielleicht war es jetzt nur die Aufregung. Sie musste schauen, dass das Rot auch in die kleinsten Falten
drang und darauf hoffen, dass er aus Eitelkeit seine Brille nicht tragen würde. Als ihr vor ein paar Jahren
das erste Mal, mitten in der Nacht, der Verdacht gekommen war, dass sie sich nie mehr verlieben würde, hatte
sie das beruhigend gefunden.
Als sie aus der Tür trat und den Schirm dahinter ließ, kam sie sich beinahe abenteuerlich vor. Sie hakte
sich an seinem Arm unter und eine ganze Weile schwiegen sie. Im Lokal schauten sie sich oft, aber nur kurz
in die Augen; sie vermied es, über ihre Enkelkinder zu sprechen, er kicherte manchmal ohne Grund. Und als sie
gingen, schälte er für sie eines der Bonbons, die sie mit der Rechnung bekommen hatten, aus seiner Verpackung.
Daran erinnerte sie sich – und wie er noch am selben Abend den Reißverschluss ihres Kleides geöffnet hatte,
an das Geräusch dabei, an ihre Angst. An den darauffolgenden Morgen und den Kuss nach dem Frühstück, der erste,
an den sie sich erinnerte; daran, aber nicht mehr, ob er dabei die Augen geschlossen, oder was für eine Farbe
sie hatten, als sie jetzt wieder vor dem Spiegel stand und die Lippen schminkte; das Zittern hatte aufgehört.
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