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[heft 2] märz 2011] wien - st. wolfgang



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Verleger – Autor – Literaturwissenschafter
Franz Rhab im Gespräch mit Raimund Bahr


Franz Rhab
Warum hast du die Edition gegründet?


Raimund Bahr
Das hatte mit Unzufriedenheit zu tun. 1996 hatten wir in einer Gegenreaktion zur IG Autorinnen Autoren auf Grund unserer Erfahrungen dort (ich war für eine Periode Vorstandsmitglied) die AG Literatur gegründet. Eine Produktionsgemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren. Damals war uns klar, daß wir zwar eine starke Berufsvertretung schätzen, aber sie uns nichts nützt, wenn wir real unseren Beruf gar nicht ausüben können, weil uns die nötigen Produktionsmechanismen fehlen. Auf Grund des starr und kleinteilig organisierten Literaturbetriebes (jeder ist sich selbst der Nächste) mußten wir, wollten wir nicht gänzlich unpubliziert bleiben, handeln.

Wichtig war uns von Anfang an das Prinzip der Solidarität, das zwischen Autorinnen und Autoren oft so unterentwickelt ist. Wir sind gewohnt alleine zu schreiben und leiten daraus ab, daß wir auch alleine handeln und uns durchsetzen müssen. Wir betrachten die anderen oft als Konkurrenten und suchen für uns das Beste rauszuholen. Und uns (wenn ich von uns spreche ist Armin Anders mitgemeint) war auch klar, daß Politik, Wissenschaft und Kunst in einem gedacht werden müssen können. Daher war die logische Konsequenz unseren Verlag Edition Art Science zu nennen.

Wir orientieren uns am fin de siecle, jener kreativen Werkstatt, in der es noch keine getrennten Sphären von Wissenschaft, Politik und Kunst gab. Ich halte diese Trennung nicht nur für willkürlich, sondern für unpraktikabel. Wie schon Brecht gesagt hat, es ist doch eine feine Sache, die wissenschftlichen Erkenntnisse für die eigene Arbeit zu nutzen. Und Kunst zu betreiben ohne den Impuls einer politischen Vision, nämlich eine andere Form des miteinander Lebens zu entwickeln, scheint mir ohenhin undenkbar.

Also habe ich mich mit Armin Anders hingesetzt und aus Protest und Empörung, gegen das, was wir in Wien an Literaturszene vorgefunden haben, unsere Edition als Verlag der Autorinnen und Autoren gegründet. Es gibt uns jetzt seit 1998 und ich denke, was wir mit Hilfe von vielen anderen hervorgebracht haben (Erika Kronabitter, Petra Öllinger, Alexander Peer, Sigrid Kohl) ist doch sehr beachtlich und kann sich sehen lassen. Mit einer Produktuion von siebzehn Büchern im Jahr 2011 und einer klaren Produktionslinie haben wir, glaube ich, bewiesen, daß Literatur mehr ist als nur künstlerische Produktion, sondern auch etwas mit Utopie und der Möglichkeit sie zu verwirklichen zu tun hat. Denn zu Beginn war, was wir hatten, ein paar hundert Euro und eine Idee. Daraus sind vielfältige Netzwerke, einige gute Projekte, wie z.B. die Strobler Literaturtage und tolle Freundschaften mit eben so tollen Kooperationen gewachsen.

In welcher Weise nutzt ihr die neuen Möglichkeiten der preisgünstigen Druckverfahren?
Dazu kann ich nur sagen: der entscheidende Wandel innerhalb der Kleinverlagsszene ist ja nicht die neue Drucktechnik in Hinsicht auf die Kosten, sondern vor allem der Mangel an gegenseitiger Wahrnehmung. Was wissen wir denn schon über die Produktion des jeweils anderen, und da nehme ich mich gar nicht aus. Nichts oder nur wenig. Die Literaturkritik und der Austausch über unsere Produktionsweisen, die von den Autorinnen selbst kommt, ist durch die neuen und billigen Druckverfahren zerstört worden.

Unsere Edition ist ja nicht einfach nur ein Verlag zur Reproduktion von Büchern. Wir verfolgen ein Konzept, in dem es vor allem um Dialog zwischen Autorinnen und Autoren geht, zur Weiterentwicklung ihres Denkens und Schreibens. Vor allem das Denken, das dem Schreiben vorausgeht, ist das, was mir in literarischen Runden immer zu kurz gekommen ist. Der Verlag ist ja nur das Ende einer langen Kette von gemeinsamen Projekten. Wir waren von Anfang an am Austausch interessiert. Ich habe bei Theaterprojekten von Armin mitgemacht, bei der Lauter Gesindel Aktion der Kultur-IG’s, Armin hat bei der AG Literatur mitgemacht. Dann habe ich aus einer zufälligen Eingebung heraus, die Strobler Literaturtage in St. Wolfgang gegündet, ein Treffen von Autorinnen und Autoren aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Zu unseren besten Zeiten waren dreißig Leute beisammen und haben sieben Tage über Literatur und über ihre Lebens- und Arbeitssituationen diskutiert.

Was von all dem bleiben wird, ist nicht der Verlag und seine Bücher. Es ist nicht die Ökonomie, die wir damit für unser Überleben generieren. Es ist auch nicht die Unabhängigkeit, die wir uns damit bewahren können, in einem Betrieb, der alles dem Profit und der politischen Ignoranz und Feigheit opfert. Es sind die Freundschaften und der intellektuelle Austausch mit Gleichgesinnten, die mir und vielleicht vielen anderen in Erinnerung bleiben werden, wenn es einmal darum geht zurückzuschauen, so wie ich es hier gerade mache.

Die positiven Errungenschaften der Drucktechniken sind ja, wie mich Günther Anders gelehrt hat nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, daß dieselbe Technik, die die Literaturproduktion demokratisierte, sie natürlich auch in ihrem Kern, in ihrem politischen Verhältnis zur Welt tendentiell zerstörte. Das wäre an einer anderen Stelle genauer auszuführen. Eines sei nochmal kurz angemerkt: Technische Verfahren können keine literarischen und politischen Utopien ersetzen, selbst wenn sie selbst technische Utopien darstellen.

Wie hat sich denn euer Verlagsprogramm entwickelt und welche Autorinnen und Autoren publiziert ihr?
Das Verlagsprogramm hat sich aus einer dreizehnjährigen Praxis entwickelt. Wir haben zweimal das Layout geändert und alles ist bei uns im Fluß. Doch eines war und ist uns klar. Nur wenn wir flexibel und rasch auf die Bedürfnisse von Autorinnen und Autoren reagieren können, werden wir langfristig erfolgreich sein. Wir haben uns 2007 entschieden aus der bis dahin als Gelegenheitsverlag existierenden Edition, die Bücher dann publiziert, wenn sie uns begegneten, einen professionellen Betrieb zu organisieren, der sich um eine Verlagslinie und einen Vertrieb kümmert.

Herausgekommen ist in den letzten vier Jahren ein Verlag, de seinem Namen gerecht wird. Ein Verlag, der im besten Sinne des Wortes Wissenschaft und Kunst miteinander verbindet. Wir haben uns für eine Reihenstruktur entschieden. Jedes Buch sollte zumindest ansatzweise diese Reihenkriterien erfüllen. Diese kann jeder auf unserer Homepage einsehen. Wichtig ist für uns auch diesem Nachwuchswahn nicht zu erliegen. Wir tun ja fast so als würden die Impulse immer nur von den Jungen kommen. Der heurige Bachmannpreis hat uns eines anderen belehrt. Wir setzen auf die Alten, weil wir selbst alt geworden sind, während wir uns als Junge damit beschäftigt haben, Literatur zu produzieren, die vor den Leserinnen und Lesern stand hält, der Welt, die uns umgibt gerecht wird.

Wir haben einmal nachgezählt wieviele Autorinnen und Autoren bei uns bereits in Anthologien oder selbstständigen Publikationen, in unseren Veranstaltungen und diversen Zeitungsprojekten seit 1996 mitgemacht haben: bei 200 haben wir aufgehört zu zählen. Wir werden diese Liste nach und nach im Internet zur Verfügung stellen.

Zu unseren wichtigsten Projekten seit diesem Jahr gehört das Projekt Bruchstücke, wo wir all diese Informationen und alle Materialien, die wir in den letzten Jahren angesammelt haben, für unsere Leserinnen und Leser, unsere Freunde und Freundinnen zur Verfügung stellen werden, um einmal den Umfang unserer Tätigkeit bei minimaler ökonomischer Unterstützung dokumentieren zu können. Wir sind ja mittlerweile auch im Besitz dreier Nachlässe, die wir aufarbeiten wollen. Wie du siehst gehen uns die Ideen nicht aus.

Welche künstlerischen Anknüpfungspunkte gibt es in deiner Familie?
Mein Vater ist Kunstmaler. Auf Grund seines Lebensweges konnte er sich aber niemals damit unabhängig machen und als freier Künstler leben. Vielleicht hat er das früher einmal gewollt, aber Familie und die Situation als Arbeiter in den fünfziger Jahren haben das unmöglich gemacht. Er hat aber bis heute nicht aufgehört seine Kunst auszuüben und ich halte ihn für einen wirklich tollen Aquarellisten. Mein Großvater mütterlicherseits hat Geige gespielt. Damit erschöpfen sich meine Kenntnisse über besondere musische Affinitäten in der Familie aber auch schon. Ob noch andere Familienmitglieder verborgene Talente hatten, weiß ich nicht. Eines ist ganz sicher: Politik hatte immer einen wesentlich höheren Stellenwert als Kunst in meiner Familie.

Eigentlich bist du ja ausgebildeter Historiker?
Ja das stimmt. Doch das ist nur eine Sicht meiner beruflichen Identität. Ich habe Geschichte studiert. Derzeit studiere ich Germanistik und ich fasse auch noch ein Philosophiestudium ins Auge. Historiker bin ich aus meiner schulischen Entwicklung heraus geworden. Doch dieser Titel bedeutet mir gar nichts. Ich bin von meiner Identität her Schriftsteller. Ich schreibe seit meinem siebzehnten Lebensjahr. Jeden Tag. Es gibt kaum einen Tag, an dem ich nicht an Etwas geschrieben habe. Meine Produktion kann zum Teil schon als manisch bezeichnet werden, auch wenn das, was letztlich als Qualität übrigbleibt mit der Anzhal meiner Texte nicht Schritt hält. Doch wie hat Brecht angeblich mal gesagt: damit ein Goldener Hahn krähen kann, muß zuerst einmal ein Haufen Scheiße produziert werden, auf dem er stehen kann. Also kurz gesagt: Ich bin von der Ausbildung her Historiker, weil mich Zeit und Vergangenheit immer schon interessiert haben. Ich lebe von Kultur- und Wissenschaftsmanagement, wenn ich nicht gerade arbeitslos bin. Aber von meiner Identität her bin ich Schriftsteller und das bin ich seit dreißig Jahren. Das habe ich auch vor zu bleiben, solange ich denken und einen Stift halten kann.

Gibt es bestimmte Arbeitszeiten, die du bevorzugst?
Nachmittags und Nachts. Das geht zwar im Moment nicht, weil meine Kinder es erfordern, daß ich früh aufstehe, aber von meinem Biorhythmus her bin ich ein Nachtmensch. Nun gut, ich habe mich auch auf den Tag umstellen können. Das mit der Biologie wird überschätzt. Vor allem in der Stille bin ich am kreativsten und wenn ich unterwegs bin, im Zug oder Bus.

Du bist ja auch politisch aktiv. Bist du Mitglied in Literaturvereinigungen?
Ich habe mich dieses Jahr um die Mitgliedschaft bei der Grazer Autorenversammlung beworben. Im Grunde mißtraue ich Institutionen, die so lange existieren, daß sie ihren eigenen Gründungszweck überlebt haben. Mein kulturpolitisches Engangement ist vielseitig und strategisch und vor allem von meinem gesellschaftspolitischen Handeln nicht zu trennen. Alle meine politische Tätigkeiten sind auch kulturpolitische Tätigkeiten. Ich denke nur eine Veränderung der Gesellschaft als gesamtes wird langfristig eine andere Kulturpolitik hervorbringen. Kein gesellschaftlicher Bereich kann dauerhaft zum positiven verbessert werden, ohne die anderen mitzudenken und mitzuverändern.

Ich weiß, daß du nicht gerne Lesungen machst. Kannst du sagen warum?
Lesungen mag ich nicht sehr. Ich lese auch selbst nur alle heiligen Zeiten. Ich meine es ist eine angenehme Sache mit dem Publikum in Kontakt zu treten, aber die Lesung ist eine ungeeignete Form dafür. Eine Lesung sollte auch nie länger als zwanzig Minuten dauern und dann sollte man miteinander sprechen. Mehr liegen mir Vorträge und Gespräche. Inszenierungen von Streitgesprächen. Ein setting, in dem wir was voneinander lernen können. Das Schreiben, der Prozeß sollte bei solchen Gelegenheiten im Mittelpunkt stehen, nicht das Produkt. Das ist ja das, was ich am Theater immer so genossen habe, den Prozeß. Das Produkt hat mich letztlich gar nicht interessiert. So geht es mir im übrigen auch in der Politik, oder in der Wissenschaft. Die Arbeit, allein oder mit anderen, an einem Projekt ist das, was eigentlich Kunst ausmacht, alles andere ist nur noch der Versuch mit den Produkten sein Überleben zu sichern.

Ich weiß, daß ohne Lesungen kaum ein literarisches Auskommen zu findee ist. Doch das ist eigentlich die Verkehrung des künstlerischen Prozesses im Dienste der kapitalistischen Ökonomie. Viel wichtiger erachte ich, daß wir über die Art wie Literatur gefördert und Schriftsteller in ihren Lebensbedingungen abgesichert werden diskutiert wird. Literaturförderung ist ja schön und gut, aber ohne eine bedingungslose Existenzsicherung ist jede Kulturpolitik schon im Ansatz nichts weiter als Überlebenskosmetik für eine handvoll Menschen, die es geschafft haben, sich in der Nische einer angeblich öko-sozialen Marktwirtschaft einzunisten, in der die kapitalistischen Marktmechanismen nicht voll wirksam sind.

Kannst du ein paar Worte über deine Arbeitstechnik sagen?
Womit immer es sich ergibt. Aber im Grunde bin ich noch immer ein Handschriftler. Erika Danneberg hat mir einmal einen schönen Satz gesagt: Vom Kopf in die Hand aufs Papier. Selten schreibe ich direkt am Computer, auch wenn es die Zeitökonomie oft nahelegt. Vor allem meine Blogeinträge habe ich oft am Computer geschrieben. Doch das Denken verheddert sich leicht, wenn ich mich zu schnell verschriftliche. Mit den Jahren habe ich meine Produktionsweise so perfektioniert, daß mir auch direkt am Computer einigermaßen pasable Texte gelingen. Doch präziser bin ich mit Stift und Papier. Wobei ganz gleichgültig ist, ob es sich dabei um ein einzelnes Blatt oder ein Notizbuch handelt. Es wird bekritzelt was zur Hand ist. Da muß dann schon mal eine Essensrechnung oder ein Einkaufszettel für einen schriftstellerischen Mißbrauch herhalten.

Hast du ein spezielles Erlebnis über das du mir erzählen möchtest?
Ich weiß nicht, ob ich der Richtige bin, um Anekdoten zu erzählen, vor allem keine literarischen. Ich habe vor allem politische Anbekdoten zum Besten zu geben. Literarisch habe ich nur Begegnungen beizutragen. Die Anekdote ist auf den flüchtigen Moment gerichtet. Schreiben hat für mich was mit Aufhebung der Vergänglichkeit zu tun, ist immer ein Prozeß, der nicht endet, außer durch den Tod. Es gibt kaum vollendete Texte von mir. Das sind alles nur Vorarbeiten zu den nächsten Texten. Ähnlich geht es mir mit Menschen, die mir begegnet sind. Diese Begegnungen enden nie, sondern werden immer wider neu durchdacht und durchlebt, auch wenn der Mensch längst aus meinem Leben ausgeschieden ist. Insoferne fällt es mir schwer schriftstellrische Anekdoten beizutragen.



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