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[heft 16] [september 2018] wien - st. wolfgang



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"Wir Rückwärtsbauern" | Ein Traum

Peter Hodina


Trüber, regenwolkenverhangener Sommernachmittag. Mit alten Freunden – nicht in einer Kneipe, sondern in einem alten, leerstehenden Universitätsgebäude, Plattenbau der Siebziger, herumhängend, das vor der Demolierung stand.

Wir saßen auch nicht, sondern lagerten – wie bei einem antiken Gastmahl. Doch konsumierten nur scharfe Getränke.

Öfters schienen wir uns dort schon getroffen zu haben. Unsere Meetings folgten einem bestimmten Ritual – beginnend mit einem Kartenspiel.

Diesmal dauerte es nur kurz: Der Afrikaner gewann in Serie, strich alles ein. Begnügte sich mit dem Gewinn dann schneller als sonst, niemand bestand auf Revanche, er rollte sich, das Geldbündel an der Brust, zur Seite, schlief ab. Mein Geldverlust: 200 Euro. Erfreulich einerseits, dass er nicht höher ausfiel, weil diesmal nicht so lange wie sonst gespielt wurde.

Mir war das Spiel nie wichtig gewesen, ich kannte nicht einmal die Regeln und hatte es immer verloren. Es mussten inzwischen beträchtliche Geldbeträge geworden sein.

Das war für die Zukunft abzustellen.
Ich kannte die Regeln des Spiels so wenig, dass ich selbst bei allerbestem Blatt mein Gewinnen nicht bemerkt hätte; andere hätten mir schon zurufen müssen: "Du hast gewonnen!"

Der erste Teil unserer Treffen bestand stets in diesem unumgänglichen Spiel.

Dann kam die Hauptsache des Abends: Alte Knochen wurden hereingetragen, Menschenknochen, die mit Tusche beschriftet waren. Das Staunenswerte war, wie uns ein Experte, der sich mit diesen Knochen jahrelang beschäftigt hatte, vorführte, dass in ihnen Musik steckte. Wie er das anstellte, verstand ich nicht: aber er entlockte den Knochen eine Barockmusik, so als wären solche Knochen unter anderem auch Tonträger.

Was wir zu hören bekamen, erinnerte an Bach. Dabei waren es Knochen von lauter unbekannten Personen.

Der Hausmeister unterbrach uns kurz, indem er einen Rollwagen mit altem Institutsmaterial hereinschob, um ihn hier sich selbst zu überlassen.

Mit einer Neugier, aber diesmal mit einer voyeuristischen GIER nach Altem, mir jedoch sich unvermutet Neuerschließendem schärfte ich meinen Blick zu einem Adlerblick, um die Aufschrift auf dem Rollwagen zu erhaschen: und mein geheimer Wunsch wurde erfüllt, hier war es endlich mir hergerollt worden, das Rätsel meines Unglücks.

So wie ein einstmals von der Staatssicherheit Verfolgter, über den hunderte Akten verfasst worden waren, Abhörprotokolle, anonyme und namentliche Eingaben von damals vermeintlich allerbesten Freunden, Jahre nach Zusammenbruch des Regimes endlich sich Klarheit über seinen ihm bis dato unerklärlich gebliebenen "Fall" verschaffen konnte!

Wenn die anderen gegangen waren, würde ich mich über das Material hermachen und es bis tief in die Nacht, bis in die Morgenstunden hinein verschlingen, denn mein Begehren nach Klarheit in eigenen Dingen ist das höchste.

Was sich nicht alles sonst noch auf der Stellage befinden sollte: Manuskripte, Gedichtbände, Liebesgaben, jede Menge unbeantwortete Briefe von denen, die der früher allmächtig gewesene, inzwischen schon länger verstorbene Adressat, dieser Verwalter unserer Seelen, Einmotter und Abwürger unserer Wünsche, erhalten hatte. Das ganze hatte System.

Schnell wurde mir bei der Durchsicht klar, dass den uns selber seinerzeit mysteriösen Vorgängen ein ganz bestimmtes Selektionsprinzip zugrundegelegt war: die Romantiker auszuscheiden. Die Romantiker: diese möglichen Staatsgefährder, diese Träumer, Spinner, Ordnungenstörer, diese Unbrauchbaren.

Wie die Motten um die Flamme kreisten sie und wurden von ihrem Täuscher versengt. Mitleid wie Selbstmitleid mochte einen ob der Anhänglichkeit dieser Opfer befallen. Bis zuletzt wollten sie und auch ich selber nicht begreifen, was mit ihnen geschah, geschehen war.

Ich habe im Bericht vorgegriffen.

Einer der Herumsitzenden meinte, der Seesack des schlafenden Afrikaners stinke. Ich fuhr ihm über den Mund, man sage so etwas nicht.

Wer wir eigentlich seien, fragten wir uns, die wir ja auch hier abgestellt uns vorkamen, ebengenauso wie der Rollwagen, den außer mir keiner beachtete, der desto mehr mein Beutestück des Abends werden sollte. Was wir seien? Wozu wir überhaupt gut wären?

"Wir sind die Rückwärtsbauern", sagte dann einer mit fester Stimme.

Dann fiel buchstäblich der Groschen. Ein Zehn-Cent-Stück musste schon länger an der Kante meines Bücherregals gelegen und sich verselbständigt haben: mit hellem Klingeln, als er sich um sich selber drehend am Boden aufschlug, weckte es mich aus dem Traum.



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