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litera[r]t
[heft 15] [juli 2017] wien - st. wolfgang
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Im Landeanflug auf Ibsen
Peter Hodina
Das abendliche, nein schon nächtliche Schimmern der Berge. Statt eine alte Ibsen-Ausgabe in dunkelgrüner Jugendstil-Bindung an mich zu bringen –
ich hatte auch keine Tragemöglichkeit außer meinen Händen – am Kopf den zehnbändigen Bücherstoß zu balancieren vermöchten vielleicht Afrikanerinnen –,
kehrte ich auf der Stelle um, die Elementalkraft der diesmal fast schon selbststrahlenden Berge, wie barfüßig in ein Stadion der Gebirge einschreitend,
in mich durchporend aufzunehmen. Wie eine "wohltätige Radioaktivität". Nicht nur Bücher können Kraftquellen sein.
Glühwurmsichtung. Fleischiger Bursche mit tiefhereinfallendem (sogar Weinheber-?) Haar führte ihm wahlwesensverwandten Hund (vereinfacht gesprochen "Tapir"),
an den Trakl-Stelen, dahin beinabheberisch, des Universitätsgeländes vorbei. Ich nannte den erzieherabgeblendet-verschatteten, lustlosen,
kellnermöglichkeitsverweigernden Beiseiteschleicher für mich nicht ohne Tangentialliebe "Antinous", sohalb er auch lediglich "Anton" hieße und
"Toni" gerufen würde (oder sogar "Anthony" und deshalb "Tony"). Damen mit Spitzen (Hunden) um den Freisaaler Bildstock sitzend, packten sich dann,
mich begehrlich anfunkelnd, dirndlberöckt auf ihre Räder, ein junges Liebespaar zurücklassend, das aus einem Recorder leise, nicht einmal schlechte
Musik auch mir, dem vorerst Einsamen, herbeispielen ließ.
Vorher schon, bei sinkender Sonne, das volle Aufleuchten des Milchglases der Straßenlaternen (als weltamtsärztliche Sonnenlichtfänger), dies nie vorher
beachtet.
Die jahreszeittypischen Mückenschwärme in der Allee!
Betreten eines Weges, den ich wohl dreißig Jahre nicht mehr gegangen, der an mondäne Wohnstätten führt, mag leicht sein: zu den mondänsten hier. Sich nur
für die Besitzenden ins landschaftsspektakulär Freie öffnende Sackgassen: ein Freies, das wir teilen können – ob Bewohner oder nur Schweifer. Die Barriere
ist unsichtbar in Kraft, keinen Spazierer, schon gar keinen Hausierer verschlüge es dorthin, selbst Handke nicht, es benähme ihnen den Atem.
Hier sind nur Leute, die dort wohnen, und manchmal, alle fünf Jahre wohl nur, dringen solche wie ich, obendrein Verschwitzte, VOR (Käuze, Wiedehopfe,
Widerporste, Wiedergänger), die sich – was das auch bedeuten möge – "ihre Seele zurückholen" wollen. Ihre längst verjährte, entsorgte Seele. Die Irren.
Glückskinder indessen die, die aus dem Unmuffigen agieren können, doch wissen sie es auch noch?
Und die Zeit passte ja insofern, als ich genau um die Zeit in der Gegend einmal eine Party besucht hatte, bei der zur Sommersonnenwende gar ein
"Weihnachtsbaum" mit brennenden Kerzen aufgestellt worden war.
Da katholisch erzogen, schien mir das wie eine Umkehrung, Verkehrung. Und auch einige der schüchterneren jungen Gäste schienen an dem Abend wie "gedreht".
Sie empfanden wie ich den Tabubruch – vielleicht nur Gewohnheitsbruch –, aber sie standen auch in dessen manipulativem Bann. Keiner stellte die Frage, die
auf uns brannte. Was war das für ein Heidentum plötzlich?
Sie alle redeten aus ihren gestärkten Krägen mit hüpfenden Adamsäpfeln von ihren "Karrieren" (Wirtschaft, Jura, Technik, Naturwissenschaften) und standen
doch, wenn überhaupt, erst am unsicheren Anfang. Von vielen hat man später nichts mehr gehört; sie sind noch weniger vorhanden als ich. Ich erinnere mich
noch an das letzte Gespräch mit Othmar L., den ich später nie wieder sah, der mir in altkluger Weise auseinanderlegte, der gesamte Mensch wäre in den Genen
determiniert, sohin auch alles, was wir jetzt miteinander redeten. Es gäbe nicht die minimalste Freiheit. Als "unmusisch" verwarf ich das pfiffige Konzept,
ja es beleidigte mich direkt.
Ich stahl mich damals fort, wie ich mich gestern wieder in diese Gegend zurückstahl, mir das vor dreißig Jahren dort liegengelassene Meine (ein Imaginäres
nur, wie das von den Laternen eingefangene Sonnenlicht) zurückzuholen.
Zu Hause surfte ich nach Ibsen, um zu schauen, was mir mit der Ausgabe entgangen war: und alles, was ich zu Ibsen finde, jegliches Zitat von ihm, führt aufs
Intensivste in den immer noch schwärenden Krater der sozialen Frage.
© beim autor
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