Logo Verlag z
e
i
t
s
c
h
r
i
f
t

f
ü
r

l
i
t
e
r
a
t
u
r





litera[r]t
[heft 15] [juli 2017] wien - st. wolfgang



blättern [zurück] [weiter]
Sprachgefühl

Margit Heumann


Sprache ist ein amorphes Wesen, ständig in Bewegung, immer im Fluss, doppelbödig und zweideutig bis dorthinaus und häufig von hanebüchener Logik. Sobald man darüber nachdenkt, weiß man nicht mehr, wo ist oben, wo unten, aus welchem Grund heißt die menschliche Vorwärtsbewegung gehen und nicht halten, und wölben nicht höhlen, und mit welchem Recht nennen wir die Erde Erde, könnte doch ebenso gut Himmel heißen und dafür der Himmel Erde, nur eine Sache der Gewöhnung, bis wir unten auf Himmeln halten und über uns höhlt sich der Erde.

Doch vor so viel Freiheit haben die Sprachgötter ihre Germanisten, Linguisten und Philologen gesetzt, die, wie der Volksmund sagt, die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Sie verbeißen sich in die Sprache (die ja tatsächlich oral ist, bestimmt von Lippen, Zungenschlag, Gaumenform, Stimmbändern und Co), und reformieren die aktuellen Regeln, und das in schöner Regelmäßigkeit alle paar Jahre bis in alle Ewigkeit, indem sie den Wörtern andere Anfangssilben verpassen, da wird Weis zu Tor, Löf zu Büf, gefres zu beschis, und dann wäre laut Volksmund die Torheit mit Büffeln beschissen.

Der Weisheit letzter Schluss ist das nicht, weiß der Volksmund, doch unbelehrbar bürsten die Reformer das Sprachgefühl gegen den Strich, bauen Satzkonstruktionen um und schütteln die Wörter so lange, bis neue entstehen, tragen wird regant oder grante oder nagert oder jede andere Buchstabenkombination, die unsere Lingualwerkzeuge zu formen imstande sind, und der Volksmund spräche von der Sieweith zettler Sluschs.

Ebenfalls in schöner Regelmäßigkeit sind die hochgültigen Reformer mit ihrer Weisheit am Ende, aber ihr Scheitern zugeben? Niemals! Stattdessen behaupten sie kurzerhand in allen Fällen, wo sich etwas spreizt, dass Ausnahmen die Regel bestätigen, und merken nicht, dass sie einem Irrtum aufsitzen, denn der Redensart auf den Zahn gefühlt entlarvt sich deren Unlogik sofort: Ein Regelbruch kann niemals Beweis für die Regel sein, die er bricht – im Gegenteil, er stellt sie generell in Frage! Eine Binsenlüge als Ausrede für missglückte Reformen zu benutzen, ist ein Armutszeugnis und in höchstem Grade unseriös, da protestiert jedes Sprachgefühl und sinnt auf Rache, drum hebt der Volksmund den sprichwörtlichen Finger und warnt, der Sieb hegt so kurz zum Brennun, bis er chribt. Oder alternativ: der Gurk hält so angel zum Dürren, bis er sticht.



curriculum vitae (auszug II)


insel
sehr gut erinnere ich mich an mein dasein als insel: ich galt als idyllisch bis ich forschungsobjekt wurde, ein gerücht prophezeite meine überflutung in vierzig oder vierhundert jahren – die meinungen gingen auseinander, scharen von wissenschaftlern tauchten auf, hoben ein großes lamento an, und wie das karnickel in die augen der schlange starrten sie auf den wasserstand an meiner küste, erstellten hypothesen für eine bessere zukunft mit weniger co2, mehr energieeffizienz, erneuerbaren energien, geo-engineering und alles, aber kein einziger dieser fachidioten kam auf die idee, dass ich nicht nur theoretisch gerettet werden wollte, da ging ich lieber vorher.


jägerlatein

einmal versuchte ich mich in jägerlatein: im revier gab es fähen, kapitale keiler und einen kaventskerl von platzhirsch, horrido, man sprach von lampe, spiegel, löffel, schale und meinte nichts aus dem haushalt, spickte mit anleihen aus dem sport wie lauf, ruder, rute, schmückte sich mit achtendern, grandeln, keilergewaff, rehgehörn, waidmanns heil, nahm das wildbret aufs korn und brachte es im büchsenlicht mit fang-, kammer- und blattschuss zur strecke auf fichtenzweigen, gefolgt von halali und totverblasen, waidgerecht aufgebrochen und zerwirkt zu wildschweinbraten, rehrücken, fasanbrust, waidmanns dank, ich lernte eine unzahl neuer wörter, kein einziges war lateinisch, da ergriff ich das hasenpanier.


krawatte

sehr gern war ich, das ist lange her, eine krawatte: kunstvoll geknotet und farblich abgestimmt auf das einstecktuch, umschlang ich den Hals eines wichtigen Mannes, wohnte konferenzen bei, begleitete ihn zu arbeitsessen in luxusrestaurants, lernte viel über import-export und handelsgeschäfte, und als er zum x-ten mal so einen braven mittelständler über den tisch zog, war ich in der richtigen position und erwürgte ihn auf der stelle, danach war ich lange auf der flucht.


lebenslauf

seinerzeit war ich ein lebenslauf: wohlgeordnet und in chronologischer reihenfolge stand ich auf einem blatt papier und enthielt die stationen eines lebens, kaum zu glauben, dass das meines war, es schlug rad und machte rückschritte, katapultierte sich himmelhoch und stürzte in abgründe, ich hielt mich streng an die fakten und doch geriet es mir zur dichtung, mein curriculum vitae, dass c.v. auch für teufelskreis stand, begriff ich erst viel später.


münze

äußerst wechselhaft war meine tätigkeit als münze: je ein schlag auf die vorder- und rückseite prägten mich, danach fand ich mich in geldschränken und bankautomaten wieder, ich wurde herumgereicht und lernte viele geldbörsen und hosentaschen kennen, auch sparschweine und klingelbeutel und spendenkassen, war glücksbringer und notgroschen, mein wert schwankte, der eurocent sägte an meinem stuhl, schließlich wurde meine kaufkraft für zu schwach befunden, keinen pfennig mehr wert landete ich im album, nur der münzsammler hielt mich noch in ehren, das war mir zu öde.


nagel

gern denke ich an meine zeit als nagel zurück: was habe ich nicht alles gehalten: schiele-drucke und röhrende hirsche in öl, familienfotos und urlaubsbilder, ich wurde an wechselnden schauplätzen eingesetzt, unangenehm nur die schläge auf den kopf, als es mir reichte, krümmte ich mich und einen zangenzwick später war ich frühpensioniert, ich beklage mich nicht, ich hätte auch als sargnagel enden können, das wäre ein dunkles kapitel geworden.


ölsardine

unfreiwillig wurde ich zur ölsardine: meine jugend war eine einzige sommerfrische, tag und nacht tummelte ich mich im meer und tanzte den reigen der großen freiheit mit, bis mein schwarm in einen hinterhalt geriet, der rückweg in die tiefe verbaut, auf einmal wurde das wasser knapp, auf hoher see ertrank ich in luft und fand mich kurz darauf in öl schwimmend wieder, dicht an dicht mit meiner sippe in der dose, das war kein job auf dauer.


pfennigabsatz

meine jahre als pfennigabsatz sind mir in lebhafter erinnerung: ich gehörte zu einem paar high-heels und stützte den fuß einer feinen dame, wir gingen pfleglich miteinander um und häufig zusammen aus, bis sie eines tages unachtsam über ein kanalgitter stöckelte und mir das rückgrat brach, sie besah sich den schaden, und wie ich kläglich vor ihren augen baumelte, hatte sie nicht etwa mitleid mit mir sondern beschimpfte mich, als hätte ich grundlos den dienst quittiert, und ließ mich fallen wie eine heiße kartoffel, und ich war wieder auf stellensuche.


quadrat

zeitweise war ich ein quadrat: geometrisch gesehen bildete ich seite mal seite eine klar umrissene fläche, mein umfang errechnete sich aus der addition von vier gleichen seiten, verwandt mit rhombus und raute gehörte ich zur familie der vierecke und war das harmonischste unter ihnen, nur der kreis übertraf mich an wohlgestalt, ich hätte ihn mir gern einverleibt und versuchte mich lange an seiner quadratur, gerade als es mir zu gelingen drohte, wurde ich entlassen.



© bei der autorin

Logo Verlag ein projekt [ag literatur]
blättern [zurück] [weiter]