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litera[r]t
[heft 14] [dezember 2016] wien - st. wolfgang



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Das Märchen vom Kind, das tot sein wollte

Armin Anders


Es war einmal ein Kind, etwa elf Jahre alt, das sich nichts sehnlicher wünschte als tot zu sein.

Das Kind aber wusste nicht oder anders und besser gesagt, es verstand noch nicht, den Sinn und auch den Vorgang des Sterbens und dass dies ein dem Totsein notwendig vorangegangener ist, sein musste, naturgemäß.

Was das Kind aber sehr genau wusste und verstand, das war, dass der Herr Bestatter immer einige Särge auf Lager hatte; denn der Herr Bestatter, der hatte sein Lager im Haus gegenüber, und ein ganz besonders netter Mann war er auch. Alle Frauen und Männer der kleinen bürgerlichen Stadt Z kannten ihn, den netten Herrn Schwartz von nebenan; und alle grüßten ihn höflich, wenn sie ihm auf der Straße begegneten und er grüßte immerzu höflichst zurück. Er war ein wirklich netter Mann, der Herr Schwartz; und wenn das Kind immer lachen musste, laut lachen musste, wenn diese den Namen des netten Herrn Schwartz aussprachen oder wenn es mit ansah und anhörte, wie alle die Frauen und Männer der kleinen bürgerlichen Stadt Z den netten Herrn Schwartz allso höflich grüßten, da verstanden all die Frauen und Männer der Stadt der kleinen und bürgerlichen Stadt Z das einfach nicht und schauten das kleine Kind lange ebenso stumm wie verständnislos an; alle die Frauen und Männer der kleine und bürgerlichen Stadt Z, sie schauten stumm und verständnislos herab auf die elf Lebensjahre und schwiegen das kleine Kind so streng an, so dass sich das Kind nach und nach angewöhnte, immerzu und ausschließlich nach innen zu lachen, laut und tief in sich hineinzulachen.

Niemand aber mehr sollte auf es herabsehen, auf die elf Jahre groß, niemals mehr es streng anschweigen wie ein dummes Tier, niemals mehr, dachte sich das Kind ein jedes Mal um jedes Mal mehr, niemals mehr.

Eines Tages dann wollte das Kind endlich wissen, ob es denn wirklich nicht gut sei, tot zu sein, wie alle die Frauen und Männer der kleinen bürgerlichen Stadt Z sagten und ob es wirklich besser sei, wie sie alle zusammen allgemein meinten, wenn man einfach am Leben ist, einfach so.

Und also ging das Kind eines Nachmittags ganz heimlich in das Lager des netten Herrn Schwartz.

Herr Schwartz nämlich, das wusste das Kind, legte sich immer nach dem Essen hin zu einem erquicklichen Mittagsschläfchen; und da er ein Witwer war, der arme, aber nette Herr Schwartz und daher sonst niemand im Haus, war es ein Leichtes für das Kind, sich in das Lager zu schleichen und einen der Särge zu öffnen, um sich sanft hineinzulegen und ein für allemal auszuruhen.
Mit viel Mühe und äußerstem Geschick gelang es dem kleinen Kind sogar den schweren Deckel wieder zu schließen und so lag es nun da, ganz seelenalleine in einem eichernen Sarg, finster war es und da fing das Kind plötzlich an lauthals zu lachen.

Das Kind lachte und lachte laut aus, laut und lauter lachte es, ja es schrie geradezu vor Lachen, aber niemand konnte es hören, denn der Sarg war vollkommen geschlossen; das Kind aber, es konnte nicht und nicht aufhören und lachte laut und lachte lauter und schrie und schrie lauter, dass es nur so eine Freude war.

Einmal in seinem kleinen, elf Jahre großen Leben, lachte es sich aus, das Kind.

Noch heute erzählte man sich in unserer Stadt von dem Kind.
Es soll kein glückliches Kind gewesen sein.




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