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litera[r]t
[heft 13] [juni 2016] wien - st. wolfgang
Der Wendepunkt kommt stets anders als geplant
(für Erika Kronbitter)
Wolfgang Kauer
Strobl am Wolfgangsee dürfte wohl der einzige Ort der Welt sein, der nach einer einzelnen Familie benannt ist. Diese besaß dort zunächst nur einen
Fischteich, zu dem sich später das Wirtshaus Am Schober gesellte.
Heute erstreckt sich das Siedlungsband zu beiden Seiten einer Bundesländergrenze, sichtbar in Form eines Flusses. Wäre ich ein Schweizer Schriftsteller,
würde ich es so artikulieren: "Es hat hier" eine salzburgische und eine oberösterreichische Hälfte. Ein angenehmer Umstand, der nicht nur in Zeiten
des bilateralen Schmuggels über die Postalm interessant gewesen war, sondern auch auf Kennzeichentafeln seinen Niederschlag findet wie auch in regem
gedanklichen Austausch zwischen einem Bildungszentrum und einer Kulturvilla zu beiden Seiten des Ischl-Flusses.
In Strobl Aufenthalt zu nehmen, das hat in mir seit jeher eine Art Heimatgefühl ausgelöst. Mit beiden Bundesländern verbandelt, bildet Strobl meine
eigene Zerrissenheit ab, zwischen den beiden Mentalitäten, die differenter nicht sein könnten, bedingt durch sehr unterschiedliche gesellschaftspolitische
Entwicklungen.
Um das Habsburgerreich zu vergrößern, waren die beiden Länder 1816 mehr zusammengekittet als aneinandergefügt worden. Ressentiments des einen gegenüber dem
anderen bestehen nach wie vor. Allein in Strobl scheinen sich die Mentalitätsunterschiede mühelos aufzulösen. Strobl repräsentiert also den Genesungsprozess
vom einseitigen Lagerdenken.
Diese positive Erfahrung wiederholte sich nicht zuletzt, als ich dorthin zu "Text und Kritik" eingeladen war, einer alljährlichen Veranstaltungsreihe von Erika
Kronabitter und Raimund Bahr.
Seine neuesten und noch unverdauten Texte von SchriftstellerkollegInnen kritisieren zu lassen, das bedeutet in jedem Fall eine heikle Nabelschau. Da sich Raimund
gerade im Abschlussstadium seiner Lehramtsprüfung befand, managte Erika das fünftägige Kolloquium allein. Ihrer überaus freundlichen Art ist es zu verdanken, dass
wir TeilnehmerInnen gleich zueinander finden konnten und dass so viel Vertrauen aufgebaut werden konnte, dass wir, beeinflusst von Rückmeldungen, unsere Texte
abänderten und weiter sponnen.
Deshalb müsste ich für das Eingangskapitel meines 2015 bei Edition Innsalz erschienenen Romans "Frau Venus auf Wanderschaft" genau genommen auch Erika Kronabitter,
Christl Greller, Gabriele Petricek, Anita Schaub, Hildegard Kokarnig und Friedrich Hahn als Co-AutorInnen anführen, weil sie alle an der Textentwicklung mitgeredet
und mich zu Straffungen ermuntert haben und genauso umgekehrt.
Durch den Workshop zur künstlerischen Aktivität beflügelt, wollte ich die KollegInnen auch in die äußeren Umstände eintauchen lassen, die zum Gegenstand meines
Romans werden sollten, und zwar in die Welt der Felsbilder, die vor allem in den Bergen rund um Strobl und St. Wolfgang anzutreffen sind.
Normalerweise sind solche meist steinzeitliche bis bronzezeitliche Motive nur nach stundenlangen Aufstiegen und an sehr abgelegenen Orten zu erreichen, was ich
vor allem den Wiener TeilnehmerInnen nicht zumuten konnte und wollte. Eine einzige Stelle müsste es geben, hatte ich in Erinnerung, die leichter zu begehen wäre,
weil dorthin eine befahrbare Forststraße führe. Diese Felsbildstation kannte ich jedoch noch nicht, was mich später in eine fatale Situation bringen würde.
Bei Nachfrage im Nachbardorf erhielt ich von einem pensionierten Pädagogen einen flüchtig skizzierten Lageplan, den ich eigentlich nur richtig lesen müsste,
glaubte ich.
Aus Rücksicht auf die Wiener TeilnehmerInnen hatte jemand als Startpunkt für die Exkursion eine Cafeteria am See vorgeschlagen. Wir waren alle auf verschiedene
Art und Weise von Strobl nach St. Wolfgang angereist. Von einem Besuch im Gotteshaus zurück, suchte ich nach einem leeren Tisch. Beim Eintreffen der anderen
TeilnehmerInnen ätzte eine Frau aus der Gruppe: "In diesem Touristenort muss man ja sogar fürs Atmen zahlen!" Diese Bemerkung bezog sich offenbar auf die
strenge Bewirtschaftung aller Parkmöglichkeiten in St. Wolfgang.
"Na hör mal, das ist nicht ganz korrekt! Die Kirche kann immer noch gratis besucht werden", entgegnete ich, "und das ist nicht selbstverständlich, wie ich
seit dem Besuch des Doms von Orvieto weiß, wo der Eintritt 8 € kostet!"
Nachdem wir uns über die Seidenfadengrenze in der österreichischen Literatur unterhalten hatten, brachen wir auf. Die Frauen hatten zunächst keine Ahnung,
was Felsbilder sind, und waren schon sehr neugierig und abenteuerlustig. Ich fühlte mich wie der Hahn im Korb, denn der echte Hahn, der Friedrich Hahn, war
diesmal nicht mitgekommen. Sobald ich ihnen mitteilte, dass wir auf Spurensuche wären, Spuren aus grauer Vorzeit, waren sie sogleich Feuer und Flamme,
wollten aber die Felsbilderwand möglichst rasch erreichen.
Allein von Anita Schaub hatte ich den Eindruck, dass sie die Existenz der Felsbilder für eine Erfindung hielt, meiner Prahlerei entsprungen, und vielleicht
kicherte sie insgeheim bereits schadenfroh über mich, für den Fall, dass sich ihr Verdacht bewahrheiten würde. Sie dachte wohl, ich würde maßlos übertreiben
oder sie gar auf den Arm nehmen wollen und so forderte sie von mir den unverzüglichen Antritt des Wahrheitsbeweises.
Ich wusste, ich musste mich bei der Wahl der Pfade streng an den Plan halten, um überhaupt eine Chance zu bekommen, die Felsbilder im Handumdrehen finden zu
können. Sind sie doch ziemlich verwittert und in der Regel mit feinem Moos bedeckt und daher leicht zu übersehen.
Noch während der Fahrt begann es leicht zu regnen, bald heftiger.
Aus dem Fonds des Wagens heraus wollte ich den Autorinnen noch eine Einführung in meine Forschungsergebnisse mit auf den Weg geben und sie darauf hinweisen,
wie vorsichtig sie mit den Gravuren umgehen müssten.
Doch Hildegard, die keine Hil De Gard war und daher noch nie ein Felsbild gesehen hatte, hakte bei meinem zweiten Satz ein und fragte, ob ich schon das neueste
esoterische Werk von irgendjemandem über die Kelten kennen würde.
Als ich, über die Unterbrechung verstimmt, mürrisch verneinte, begann sie darüber zu erzählen und war nicht mehr zu stoppen.
Folglich blieben die Literatinnen ohne eine Einführung in die Materie. Genau genommen ahnten sie nicht einmal, worum es mir bei dieser Exkursion überhaupt ging.
Ich hätte ihnen nicht weniger als eine für sie völlig neue Welt eröffnen wollen und hatte nicht von Kelten gesprochen, das war nur eine Assoziation der
Wortführerin gewesen.
Nach den ersten fünfzig Metern Waldweg begann es Schlosserbuben zu regnen. Doch die abenteuerlustige Damenwelt fühlte sich erst recht herausgefordert.
Im Nu waren wir völlig durchnässt, besonders Erika aus Feldkirch, die zum Wolfgangseequartier nur Filzschlüpfer mitgebracht hatte.
"Du bist ja watschelnass, Erika! Sollen wir nicht besser umkehren?", fragte ich.
"Nein, nein, i halt scho no durch!", kam die prompte Antwort.
"Aber dann wirst du dir morgen neue Schuhe kaufen müssen!"
"Egal!"
"Was wird da dein Mann dazu sagen?"
"Der wird gar nix dazu sega, die kauf ih mir nämli selbrrr!
Weißt, ih verdien mir nämli selbrrr das Geld!"
Unglaublich stark, diese Frau, dachte ich, sie lässt sich weder durch
meine Worte noch durch das schlechte Wetter verunsichern.
Die anderen Frauen wollten ebensowenig aufgeben, selbst Gabriele nicht, die trotz wetterfestem Florentinerhütchen völlig erschöpft aussah.
Seitlich im Gelände entdeckte ich wiederholt kleine und kleinste Höhlen, aber sie waren allesamt ohne Felsbilder. Dabei hielt ich mich bei der Suche
streng an die Planskizze. Doch heute weiß ich, der angestammte Forscher hatte vergessen, eine vorgelagerte Erhebung einzuzeichnen. Und so suchte ich am
falschen Berg und das im strömenden Regen.
Mit den Begleiterinnen hatte ich vereinbart, dass sie unten um den Berg herum gehen und auf mein Signal warten sollten. Um ihre Kräfte zu schonen, würde ich
sie erst nachholen, sobald ich fündig würde. Während ich hoch oben Felsblock um Felsblock prüfte, musste ich aufpassen, dass ich mir bei den Sprüngen übers
Totholz nicht den Fuß brach. Doch es war alles vergeblich. Die Suche blieb ohne jeglichen Erfolg.
Die Autorinnen hatten keine Ahnung von meinem mühevollen Ringen um Erkenntnis, wo genau ich suchen müsste. Fassungslos trat ich die Flucht nach vorn an und
eilte erschöpft, aber mit einem nur noch kleinen Rest an Hoffnung, zu einer nächsten Erhebung. Auch dort gab es, wie auf dem Plan, eine Höhle. Als ich näher
trat, zeichnete sich an ihrem Gewände tatsächlich eine einzelne Gravur ab.
Ich kannte bereits die meisten Felsbildwände der Umgebung und zahlreiche andere in den Nordalpen. Sie haben allesamt nichts mit Politik zu tun, aber viel
mit pseudoreligiösen vorchristlichen Vorstellungen. Doch dieses neu gefundene Zeichen passte in keiner Weise ins übliche Schema. Schon die Spurbreite
stimmte nicht. Der Zeichengehalt passte noch weniger zur gewohnten Felsbilderwelt. Das Dargestellte ließ sich weder als Swastika erklären, noch als Wirbel
der Erdmuttergöttin. Eine Jahreszahl war in gleicher Spurbreite verewigt. Jemand hatte, völlig unüblich, die Wand mit Hammer und Meißel bearbeitet und
sogar noch seine Initialen hinzugefügt: EM 1943.
Somit ließ sich dieses Symbol, das seit 1945 zu Recht nicht mehr abgebildet werden darf, unzweifelhaft politisch zuordnen. Niemals zuvor hatte ich an
irgendeiner Felsbilderwand Spuren des Nationalsozialismus vorgefunden. Ausgerechnet an diesem Tag und zu dieser Stunde, in der ich haltungsbewusste
Schriftstellerinnen in die ihnen gänzlich unbekannte Welt der Felsbilder einführen wollte, da musste ich auf ein solches Zeugnis verfehlter Politik
stoßen!
Und so begrüßte ich ihn erstmals als meinen Verbündeten, den heftigen Sommerregen im inneren Salzkammergut. Um vor den Autorenkolleginnen meine Schamröte,
die dem Unerhörten entsprungen war, zu verbergen, turnte ich weiterhin im Gelände herum, bis ich außerhalb ihrer Ruf- und Sichtweite angelangt war, denn
ich wollte, dass der kalte Regen meine verräterische Gesichtsfarbe unleserlich mache.
So erreichte ich mein Ziel. Die Frauen verloren ihre Geduld. Am Ende reichte es ihnen, ergebnislos warten zu müssen. In beschirmter Schildkrötenformation
kehrten sie endlich zum Wagen zurück. Als nun auch ich hinterher eilte und zur Gruppe aufschloss, drehte sich die heftig debattierende Anita zu mir um:
"Nicht wahr, du hast uns doch nur deswegen hergelockt, weil du nicht allein nach Felsbildern suchen wolltest? Gib´s doch zu!" Über eine so gravierende
Fehleinschätzung konnte ich nur schmunzeln.
"Hab ich´s doch gleich geahnt!", kam als Antwort auf mein Schweigen.
Glücklicherweise reichte die Menschenkenntnis der gelernten Psychologin nicht aus, um meine Notlage richtig deuten zu können. War ich doch soeben im
Begriff, mein Ansehen zu opfern, nur um die Felsbilderwelt vor einer falschen Schubladierung retten zu können. Denn die öffentliche Kenntnisnahme von
auch nur einem einzigen Hakenkreuz am Felsen hätte die gesamte Felsbildforschung in Misskredit und den Tourismusstrom nach St. Wolfgang zum Versiegen
bringen können. Aus diesem Grund schwieg ich beharrlich.
Anitas Wortschwall prasselte indes auf mich herab. Am Ende versuchte sie mir auch noch schlechtes Gewissen einzureden, was da alles passieren hätte
können, indem ich die Suche fortgesetzt hätte, selbst nach Verlust des Sichtkontakts zur Gruppe! Und überhaupt, eigentlich hätten ja allein sie, die
Frauen, die Verantwortung für mich getragen. Wenn mir etwas zugestoßen wäre, hätten sie sich vor dem Gesetz verantworten müssen, denn sie hatten mich
allein im Wald zurückgelassen. Anita stellte mich regelrecht an den Pranger, und ich hielt nichts dagegen.
Um die politische Korrektheit zu wahren, überging ich auch später gestellte Wünsche nach einem weiteren Versuch, das Felsbild zu finden. Lieber ertrug
ich geduldig die Schmach, fortan als Münchhausen der Felsbilderwelt evaluiert zu werden. Mein gesellschaftlicher Abstieg lag mir näher, als den
engagierten Schriftstellerinnen die geliebte Felsbilderwelt derart politisch verunglimpft vorstellen zu müssen.
In der zweiten Wochenhälfte regnete es nicht minder, sodass es mir weiterhin gelang, einerseits den Ruf der Felsbilder, andererseits die Political
Correctness zu wahren. Niemand sollte durch mich in eine Situation gebracht werden, sich über irgendetwas Unkorrektes echauffieren zu müssen, das
Warten im Regen ausgenommen. Aber dieses gilt als gesund und soll einen schönen Teint verleihen.
Und es lässt Texte wie diesen entstehen.
© beim autor
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