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litera[r]t
[heft 13] [juni 2016] wien - st. wolfgang



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Literatur AG
20 Jahre sind ein Anfang …
Es ist nämlich bitteschön so ...


Eine Laudatio, eine Kritik am Jubiläumsbegriff
und eine ganz persönliche Betrachtung über Sinn, Unsinn und Übersinn
der Literatur AG


Alexander Peer


Jubiläen operieren – ob das bewusst ist oder nicht – gewissermaßen immer mit der Idee eines Welterzählers. In der historischen Feier wird ein Sinn generiert, der eben durch die Geschichte – und nur durch sie – entstanden ist. Wir leben in einer Epoche inflationärer Jubiläen. Das kann auch als Saturiertheit einer Kultur betrachtet werden, die ihre Energien in einer rückwärtsgewandten Betrachtung verbraucht.
Oder aber man sieht diesen Moment einer Zäsur, der ein Innehalten sein soll und dazu dient, Gelungenes von weniger Gelungenem zu scheiden. Worin das Gelungene besteht, darüber lässt sich lange streiten. Vielleicht ist die Fähigkeit, engagiert und interessiert zu streiten, auch nach 20 Jahren ein Indiz dafür, dass etwas gelungen ist?

Die Literatur AG hat also die Volljährigkeit erreicht. Ich bin mir sicher, dass dieser etwas abgegriffene und viel zu nahe liegende Topos von Adoleszenz und Reife etlichen Laudatorinnen und Laudatoren einfällt. Wenn ich das Bild von Kindheit und Jugend auf die Literatur AG beziehe und davon, was ich mitbekommen habe, dann sehe ich da einige Parallelen – die Geburt habe ich verpasst, aber praktisch die gesamte Schulzeit miterlebt. Das Vorrecht der Jugend scheint es zu sein, heute ein Punk und morgen ein Liebhaber von Blues zu sein. Nur eine Jugend verfügt über derartige Energien, um so rasch zwischen Vorlieben und Themen zu wechseln. In diesem Sinn ist es der Jugend der Literatur AG zu verdanken, mit welch ungestümem Eifer alle Beteiligten sich manches Wagnis zugemutet haben, auf das sich ein etwas lebenserprobterer oder auch lebensverbrauchterer Mensch nie und nimmer eingelassen hätte.
Aber nur so war der Reichtum möglich, der entstand: Die internationalen Literaturtage am Wolfgangsee, die mehr als 15 Jahre sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und damit sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was Literatur kann und soll, zusammengebracht haben. Die vielfältigen Publikationen der Edition Art & Science, die einerseits zeitgenössischen Texten, denen sonst mutmaßlich eine Publikation verwehrt geblieben wäre, und andererseits verschollenen Autoren und vergessenen Arbeiten zu bescheidener, aber immerhin vorhandener Öffentlichkeit verholfen haben. Ich erinnere mich an Herbert Zand, der vermutlich in der nach der Zeit der Nationalsozialisten und dem 2ten Weltkrieg schwierigsten Zeit als Autor bestehen musste: Die Nachkriegsjahre, in denen vieles, eben auch die Literaturszene ein Torso war. Dem entsprechend war Zand zeitlebens sicher unter Wert geschlagen, erst nach seinem Tod brachte etwa Wolfgang Kraus eine sechsbändige Werkausgabe heraus. In der Herkunftsregion Zands ist sein Werk aber eher durch die Bemühungen der Literatur AG angekommen.

Aus dieser und anderen Initiativen entstanden einige Reihen. Ich freue mich, dass gerade die intensiven Diskussionen zum Erbe der kulturhistorischen Region Salzkammergut und Wolfgangsee mit dazu beigetragen haben, meinen Band über Leo Perutz "Herr, erbarme dich meiner!" in der Edition A&S zu veröffentlichen. Mit dieser Einführung zu Leben und Werk dieses "magischen Realisten" wie ich den Romancier und exquisiten Ingenieur unglaubwürdiger und doch schlüssiger Erzählkonstruktionen gerne bezeichne, wurde 2007 die Reihe "Materialien" begründet. Im Verbund mit den anderen Reihen, die nahezu alle Gattungen der Literatur abbilden und somit Prosa, Essay, Biographie, Drama und Lyrik im buchstäblichen Sinn gesellschaftsfähig machen, weil sie Literatur im öffentlichen Raum verankern, ist eine Plattform von Text und Diskurs entstanden, der neben Publikumsverlagen einen denkwürdigen Platz für das Marginale schafft. Es ist eine Binsenweisheit, dass unverbrauchte Betrachtungen zur Kultur von deren Rändern kommen. Die Edition A&S ist eine Edition der Randbetrachtungen, die ins Zentrum zielen. Peripherie bedeutet ja definitionsgemäß ein "Kreisen um ein Zentrum und auf dieses hinzielend". Zentrum und Peripherie zusammen gehören und bedienen einander wechselseitig. Würde die Kommerzialisierung stärker sein, würden sich die publizierenden Autorinnen und Autoren zwar des öfteren satt essen und rauschig trinken können … was natürlich beides hochnötig ist … es würden aber vielleicht manche der Texte nicht jene Gewagtheit erzielen, die sie haben. Das ist der Vorteil des Arbeitens am Rand.

Mit Raimund Bahr habe ich viele Stunden philosophiert, dilettiert, poetisiert und immer wieder gelitten. Manchmal zu meiner Freude (denn man leidet ja auch am Schönen), manchmal weniger (wenn ich die Diskussion als obsolet oder redundant empfunden habe).
Wir haben uns die Stirn geboten und dass, was sich dahinter verbirgt: Also ein pulsierendes Hirn. Raimund brachte sich in fast allen Diskussionen mit Verve ein und schonte weder sein Herz-Kreislauf-System noch das der anderen Diskutanten: Es waren zuweilen richtige Argumenteschlachten. Diese martialische Grundhaltung hat manche Idee gezeugt, eine andere dafür wieder erschlagen. In dieser hitzigen Grundstimmung schienen mir manche Aussagen widersprüchlich und überhöht, was mich aber stets an ihm fasziniert hat, war die Bereitschaft nicht betretene Wege zu beschreiten, sich dem anderen auch anzuvertrauen mit den Abgründen, die man in sich trägt, die aber auch die Gesellschaft zu zerreißen drohen. Denn wir waren – so unterschiedlich in vielen Details auch immer – in einem stets einer Ansicht: Am Einzelnen zeigen sich die Dilemmata der Gesellschaft.

Generell ist es das Verdienst von Raimund jene Foren geschaffen und lebendig gehalten zu haben, die Diskurse ermöglichen. Innerhalb der Literatur AG und darüber hinaus. Es ist oft der Geist zu spüren gewesen, der quer durch die wissenschaftlichen Disziplinen jagt und Gleiches mit Ungleichem mengt, um so Neues zu formulieren. Manchmal gibt es eine Enge der akademischen Welt, man kann nicht behaupten, dass es Enge in Strobl, wo die Literaturtage im Bifeb alljährlich abgehalten wurden, gab. Es war geradezu ein groteskes Gegensatzpaar: Strobl, ein heimeliger Ort voll Alltäglichkeit, ja Monotonie und die Literaturtage, die eine Meute an denkwütigen und literaturfixierten Menschen mit Hang zur Theatralik, zur Revolte und jedenfalls zum großen Wurf versammelt haben.
Ich habe insbesondere mein erstes Jahr der Teilnahme, 2003, in Erinnerung. Die internationale und interdisziplinäre Mischung war für mich damals sehr befruchtend. Aus dieser belebenden Anfangsstimmung habe ich lange geschöpft, mich immer wieder neu eingebracht, Ideen formuliert, Vorschläge differenziert, also kritisiert. Als sehr schönes gewissermaßen "veräußertes Produkt" ist die Publikation über Leo Perutz herzeigbar. Die Spaziergänge und Diskussionen, die Textkritikrunden mit zuweilen einer Fülle an brauchbaren Interventionen und gelegentlich etwas gehässigen Debatten obliegen ganz meinem Gedächtnis und dem, was es daraus macht. Das ist das Schicksal des Nicht-Festgehaltenen, Erinnerung verwelkt. Aber Mnemosyne ist keine alte Frau. Sie kann jederzeit wild herumfuchteln mit den Versatzstücken des Biographischen. Aber alles muss ja auch nicht in einen Gedenktext zum 20er hinein.

2011 habe ich den Punkt erreicht, an dem ich eine Auszeit benötigt habe. Es schien mir zu viele Wiederholungen in den Diskussionen zu geben, zu viel stumpfe Reflexion, zu wenig erfüllende Aktion. Abnützungserscheinungen eben. Dennoch habe ich die rege Publikationstätigkeit des Verlags im Blickfeld behalten, habe manche Autorin, manchen Autor vermittelt, KollegInnen auf die Literaturtage hingewiesen. Abschiede sind manchmal bloß Pausen.
Ich denke an ein 'Comeback' – ein publizistischer Beitrag ist in Vorbereitung. Das kennt man von Fußballern. Sie wissen, dass der Körper schon abgenutzt ist, können es aber dennoch nicht lassen. Bei mir ist der Geist erschöpfter als früher. Es ist mir wichtig geworden, auf Bescheidenheit zu achten. Nicht in den Ideen, aber im Persönlichen. Ich möchte auch nicht mehr zu viel streiten. Da kriege ich immer öfters Kopfweh. Man kann sich darauf einlassen, dass das Leben etwas durch und durch Unvollkommenes bleibt – weder Wissenschaft noch Religion noch Kunst erklären oder retten uns grundsätzlich. Vielleicht immer nur ein Stückchen, einen Moment lang.

Ideen gibt es immer. Manche erscheinen großartig. Es hängt stets viel von persönlichen Ressourcen, zwischenmenschlich nutzbarer und produktiver Reibefläche und den monetären Bedingungen ab. Monetär einfach in dem Sinn, dass sich ein Minimum verwirklichen lässt.
Deshalb muss man der Literatur AG nicht unbedingt mehr an Ideen oder an kantigen Persönlichkeiten wünschen, die sich hie und da einbringen, sondern ein Füllhorn des Geldes, ein Alfred Nobel des Salzkammerguts oder ein Bill Gates aus dem Hausruckviertel. Menschen, die gerne eine finanzielle Unterstützung leisten können für Inhalte, die auf dem "freien Markt", der immer öfter ein recht verengter und deutlich unfreier Markt ist, nicht mithalten können.
Denn für manchen Satz in meiner Literatur habe ich eine Stunde gebraucht. Ich rede nicht von Slogans wie sie die Werbewirtschaft produziert, um Marken schlagkräftig zu machen. Ich rede von Sätzen mit Kultur aufgeladen, die Kultur reflektieren, dekonstruieren und re-konstruieren. Sätze also, die wir alle bitter nötig haben.

Für diese Arbeit wünsche ich der Literatur AG eine gesunde Zukunft!



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