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litera[r]t
[heft 13] [juni 2016] wien - st. wolfgang
Vorgriffe auf die Zukunft
Zum 20. Geburtstag der AG Literatur
Gerhard Ruiss
2001 tauchte der Verlagsname "Art & Science" zum ersten Mal in einem der Neuerscheinungskataloge "DIE LITERATUR der österreichischen Kunst-,
Kultur- und Autorenverlage" auf. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Edition bereits seit 3 Jahren und die AG Literatur war noch 2 Jahre älter.
Wo immer die Namen "AG Literatur" und "Art & Science" auftauchten, ging es um Bewegung und Veränderung, um Selbstorganisation innerhalb der
bereits bestehenden und für unzureichend befundenen Strukturen und um das Durchbrechen von Grenzen, des Fiktionalen zum Nichtfiktionalen, des
Dokumentarischen zum Erzählerischen, des Sektoralen zum Unbegrenzten, des Speziellen zum Generellen.
Die Geschichte der AG Literatur ist zugleich auch eine Geschichte der nicht zu Ende geführten Initiativen einerseits und der anders und durch
andere weitergeführten Initiativen andererseits. Sie ist die Geschichte eines vorläufig letzten größeren Selbstorganisationversuchs mit
Neubelebungsimpulsen für das Autorentheater, des eigenständigen organisierten Auftretens der Dramatikerinnen und Dramatiker, der
Mobilisierung der Autorinnen und Autoren zur stärkeren Präsenz im öffentlichen und politischen Leben und zur Herstellung einer von der
konventionellen Fachöffentlichkeit abweichenden Öffentlichkeit und von für sie geeigneten medialen Plattformen. Zeitgeschichte,
Geistesgeschichte, Aufarbeitungen und Neuentwicklungen waren genauso von Anfang an Programm der AG Literatur wie das Antreten gegen
Spezialisierungs-Verfestigungen, auch in der Selbstorganisation von Autorinnen und Autoren.
Wäre die AG Literatur als Arbeitsgemeinschaft angetreten, hätte sie eigentlich "Arge Literatur" heißen müssen, vielmehr großgeschrieben
"ARGE Literatur", um nicht durch ein wörtliches Begreifen der Abkürzung auf einen anderen Zusammenhang zu verweisen, der andererseits zu
ihrem Anspruch auf Grenzüberschreitung auch gepasst hätte, sie hat als "AG Literatur" aber ebenso die Verwechslung mit einer
Aktiengesellschaft, die eher als "Literatur AG" zu bezeichnen gewesen wäre, und die Assoziation "Aktionsgemeinschaft" erlaubt.
Die AG Literatur verstand sich zuvorderst als auf Projektentwicklungen ausgerichtete interdisziplinäre Produktionsgemeinschaft. Diesen
Voraussetzungen entsprechend veranstaltete sie neben literaturgeschichtlichen Foren und auf Literatur-Prozesse konzentrierten Veranstaltungen
1998 das Symposion "Sieben Tage österreichische Literatur" zur Thematisierung und Behandlung der jüngeren österreichischen literarischen
Geschichte und der österreichischen literarischen Gegenwart, die sie in der von ihr neugegründeten Zeitschrift "Schnitt Stellen" dokumentierte,
die in der ebenfalls neu gegründeten Edition "Art & Science" herausgegeben wurde. Diesem Umstand verdankt die durch ihren Abdruck in der
Zeitschrift und Edition einzige erhalten gebliebene Statistik der IG Autorinnen Autoren über die Arbeits- und Lebensumstände österreichischer
Autorinnen und Autoren in den 1990er Jahren ihr Überleben, da das Manuskript mit den Ergebnissen dieser Untersuchung im Lauf der Jahre und der
Hard- und Software-Umstellungen und -Adaptionen verloren gegangen ist.
Ein paar Jahre später nahm sich die Produktionsgemeinschaft der AG Literatur das "Wiener Kulturmanagement" vor und danach die produktionstechnischen
und gesellschaftspolitischen Begleiterscheinungen und Folgen der Digitalisierung, die sie bereits 1998 als Arbeitsvorhaben in ihrem Programm anführte.
Immer in kompetenter Besetzung und immer mit großer Ausführlichkeit und Gründlichkeit, unkonventionell und direkt, und immer mit einer konsequenten Linie
für das eigene Handeln. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich alle anderen auf den Tod des Buchs und seine Ablöse durch das E-Book und durch Neue Medien
vorbereiteten, beschloss die AG Literatur die Weiterentwicklung der Edition "Art & Science" in die Gegenrichtung und nahm 2007 die erst seit kurzem
wieder gefeierte "Rückkehr" des Buchs vorweg und begann "Art & Science" als "traditionellen" Buchverlag zu positionieren und schickte der
Professionalisierung des Verlags 2011 die Gründung eines neuen Periodikums, die Literaturzeitschrift "literart", nach.
Dem Neuigkeiten-, Jugendlichkeits- und Debütwahn begegnete sie mit Entschlossenheit und Witz: "wir bekennen uns: zur generation 40+ und allem
was tot ist oder sich anschickt zu sterben". Das Buch war nie tot, so wie die Neuen Medien schon in den 1990er Jahren nicht mehr ganz neu waren,
es gab und gibt nur mehr Produktionsmöglichkeiten und andere und weitere Produktionsmittel und Produktions-, Präsentations- und Vertriebswege,
die man sich zunutze machen kann, auf dem Drucksektor genauso wie auf dem digitalen Sektor.
Beides, die organisatorische und die publizistische Seite, die Anstoßpolitik der AG Literatur und die konsequente "Begleitpublizistik" von
"Art & Science", kommt den besonderen Vertreterinnen und Vertretern des gesellschaftspolitischen Engagements, vielmehr ihren Werken und ihrer
publizistischen Hinterlassenschaft, sowie den verwaisten notwendigen gesellschaftspolitischen Themen und Diskussionen und inzwischen auch der
überall sonst publizistisch am wenigsten betreuten Literaturkategorie, der Lyrik, zugute.
"Art & Science" ist inzwischen fast unbemerkt zu einem führenden österreichischen Lyrik-Verlag geworden, in dem nicht nur zahlreiche Einzelausgaben
österreichischer Lyrikerinnen und Lyriker erschienen sind und erscheinen, sondern darüber hinaus auch Lyrik-Spezialitäten wie die jährlich zur
Preisvergabe herausgebrachte "Lyrik der Gegenwart" des Feldkircher Lyrikpreises mit den ausgezeichneten und den in die engere Wahl gekommenen
Autorinnen und Autoren oder literarische Sonderausgaben wie die Gratulationsschrift zu Friederike Mayröckers 90. Geburtstag oder wie der einzigartige
Sammelband "Die Wurzel trägt dich" mit Gedichten und Prosa-Texten zur und über die Geburt.
Weder personell noch organisatorisch waren die Grenzen zwischen den einzelnen Projekten und Projekthintergründen rund um die AG Literatur scharf
gezogen, ganz im Gegenteil, es sollte ein Projekt das andere bestärken und jedes Impulse gegen die Selbstgenügsamkeit und die Selbstzufriedenheit
setzen. Aus einigen dieser Impulse sind Dauereinrichtungen wie die systematische Veröffentlichungstätigkeit durch die bzw. in der Edition "Art &
Science" geworden, zum Glück und Vorteil für die gesamte österreichische Literatur. Die AG Literatur und "Art & Science" sind häufig dort eingesprungen
und waren und sind auch heute noch auffällig oft dort zu finden, wo es nicht mehr weiterzugehen scheint.
Weiss man nicht schon von vornherein, mit wem man es persönlich zu tun hat und zu tun bekommt, weil man z.B. die Entstehungsumstände und die
Entstehungsgeschichte der AG Literatur und der Edition "Art & Sciene" als Zeitgenosse oder Zeitgenossin miterlebt hat, wird man nicht so leicht
auf die alles entscheidenden Rollen der sich nur ein einziges Mal im Internetauftritt der AG und der Edition namentlich wiederfindenden, für ihre
Gründung Verantwortlichen, Raimund Bahr und Armin Anders, stoßen. Es war und ist das Prinzip der AG Literatur, keine Hebebühne für sich in Gang zu
setzen, sondern in der eigenen Produktionsgemeinschaft so mitzuwirken wie jeder und jede andere, die in größerer Häufigkeit und schon seit längster
Zeit mit der AG Literatur und bei "Art & Science" Projekte umsetzen wie u.a. der Theaterwissenschaftler und Philosoph Clemens K. Stepina oder die
einfach nur in der Edition ihren Verlag für die eine oder andere aus Gründen der wirtschaftlichen Aussichtslosigkeit woanders nicht mögliche
Veröffentlichung sehen.
Einige der Projekte, die geplant waren und stattgefunden haben oder nicht stattfinden konnten, haben dafür gesorgt, dass früher und deutlicher
als allen Beteiligten lieb war, sich die Republik Österreich Zustandsbefunde ausgestellt hat, die sich bald darauf durch Wahlergebnisse und andere
Entscheidungen bestätigt haben. Der gemeinsam mit der IG Autorinnen Autoren und der IG Freie Theaterarbeit, der Österreichischen Dramatiker
Vereinigung und anderen 1996 am Wiener Ballhausplatz durchgeführten Aktion "Das große blaue Platzen" folgten 2000 die bis heute nicht aufgearbeiteten
zwei schwarz-blauen Regierungsperioden, und dem geplanten "Hitler-Stalin-Live-Casting" am 15.3.1998 zur Erinnerung an die 60. Wiederkehr der Anschluss-Rede
Hitlers am Wiener Heldenplatz die Absage unmittelbar vor der Aktion durch die Burghauptmannschaft wegen politischer Bedenken. Der WKR-Ball, der
Wiener Korporierten Ball der schlagenden Studentenverbindungen (und der FPÖ) findet dort mit den unterschiedlichsten Begründungen der Burghauptmannschaft
aber weiterhin ungehindert statt, in unmittelbarer Nähe zum Amtssitz des Österreichischen Bundespräsidenten und mit Gästen aus den führenden
rechtsextremen Parteien in Europa und mit einer nie aufgegebenen Nähe zum Nationalsozialismus, der bei seinem Eintritt in die Geschichte von den
schlagenden Verbindungen euphorisch begrüßt wurde.
10 Jahre nach dem tatsächlichen großen blauen Platzen der schwarz-blauen Zusammenarbeit in der Österreichischen Bundesregierung ist schon wieder jede
Erinnerung daran erloschen, dass es mit der Freiheitlichen Partei nur in die Gegenrichtung demokratischer Weiterentwicklungen gehen kann, als würde
nicht schon das Aufbrechen von Verkrustungen der ganz normalen Weiterverwaltung für unkonventionelles künstlerisches und kulturelles, kritisches,
gesellschaftsbezogenes Arbeiten auch ohne politische Rückwärtsentwicklungen Aufgabe und Arbeit genug sein. Es hat sich also nichts von dem erübrigt,
das den Ausschlag für die Entstehung der AG Literatur und ihres Grundkonzepts gegeben hat. Einmischung ist dringender geboten denn je, sie läßt sich
aber kaum noch auf den Grundlagen der ehemaligen Aktionen vermitteln, sondern muss neu gesucht und gefunden werden, vielleicht indem sich die
AG Literatur mit weiteren Impulsen und Initiativen selbst nachfolgt, vielleicht aber auch, indem die Literatur AGs neuer Generationen das
Ich-AG-Dasein ablösen und zu neuen Produktionsgemeinschaften finden, die sich außer für die eigene Durchsetzung auch für die Durchsetzung von
gesellschaftspolitischen Zielen im Sinn aller interessieren.
© beim autor
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