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[heft 11] [juni 2015] wien - st. wolfgang
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Endlich Alles Richtig
Erika Kronabitter
Richtig reisen: Architektur I
Architektur begegnet einem überall. Nicht nur bei der Architekturbiennale in Venedig. Dort begegnet
sie einem vielleicht am wenigstens. Oder in ihrer Reinstform. Bei der Architekturbiennale nämlich ist
die Metaebene zu Haus, die Mutter der Architektur sozusagen. Es geht um Übergeordnetes. Um für Laien fürs
Erste nicht sofort ersichtliche Zusammenhänge. Flüchtlingsströme. Bevölkerungszuwächse. Klimalagen.
Philosophische Betrachtungsweisen zu architektonischen Entwicklungen. Tanz ist Architektur. Der die
Tänzerinnen umgebende Raum. Der von Tänzerinnen gestaltete Raum, beim Kreistanz zum Beispiel.
Architektur mischt sich ein. Wir können gar nichts dagegen tun. Sie ist einfach da und nimmt Platz.
Nimmt sich ihren Platz. Sagt he da, ich bin Architektur. Ich bin die Architektur und ich definiere dich.
Wir können uns noch so dagegen wehren. He da, sagt die Architektur zu einem Fettleibigen. Dein massiger
Leib setzt einen ungünstigen Schwerpunkt in diesem kleinen Raum. Bewege dich weich! Der Fettleibige mag
ein wenig verdutzt schauen. Die Architektur aber sagt: Rück ein wenig zur Seite, damit die Proportionen
richtig aufgeteilt werden können. Bleib im ersten Drittel. Im zweiten und dritten Drittel soll die Leere
des Raumes zur Wirkung kommen. Noch ein wenig zur Seite, damit auch die Lichteinfälle optimal genutzt werden.
Die Lichtverhältnisse sind Instrument zur Beeinflussung deiner Stimmung. Die Ausrichtung deines Körpers ist
jetzt ideal. Der Schattenwurf deines Körpers ist optimal. So können wir weiter arbeiten. Verstehst du? Du verstehst.
Bis zum nächsten Mal hast du zwanzig Kilogramm abgenommen, verstehst du? Fragt die Architektur, und: Schwarzgekleidet,
bitte. Damit du besser zu mir passt.
Richtig Reisen: Architektur II
WC ist Architektur. Architekturen. Wer reist, kennt viele WCs von innen und aussen. WCs sind neben Imbisslokalen
die wichtigsten Örtlichkeiten im öffentlichen Raum. Vielleicht sogar die wichtigsten. Einen Imbiss können Sie in
der Tasche mitnehmen. Ein WC nicht. Da nützt Ihnen auch keine Klopapierrolle, die Sie mit sich herumtragen. Wenn
kein WC in der Nähe ist, nützt keine Serviette als Reservepapier, kein Papiertaschentuch. Trotzdem sind WCs eine
Randerscheinung.
WCs interessieren mich nicht, sagt die Architektur.
WCs sind irgendwo in den untersten oder hintersten Bereich eines Gebäudes hineingepferchte Kabäuschen. Auf dem
Plan gab es gerade hier noch freien Raum. Eine optimale Nutzung, jubiliert die Architektur.
Die Anlage ist schlecht belüftet, ungepflegt. Nur über sechs Treppenabgänge und fünf Biegungen erreichbar.
In Grossbahnhöfen ungenaue oder in die Irre führende Beschilderung. WCs als Hurenkinder der Architektur.
Hab dich nicht so, sagt die Architektur. WCs sind nicht repräsentativ. WCs sind nur ein Muss. (Es wird nicht
gesagt: WCs sind ein Muss!) Ein unliebsames Muss. Ein stilles Örtchen, in welchem es beileibe nicht still ist.
Die Architektur sollte wissen, wie laut es in diesen stillen Örtchen zugeht. Ich kann nicht auf alle Bedürfnisse
der BenutzerInnen Rücksicht nehmen, sagt die Architektur. Es gibt Leseinseln, Erlebnisinseln, Erholungsinseln,
Einkaufsinseln. Damit bin ich beschäftigt. Ich habe Vorgaben. Die Wirtschaft ist anspruchsvoll.
Warum machst du keine userfreundlichen Toiletteninseln, sage ich. Anstatt einzelne für sich abgeschlossene
Toiletteninseln, in welchen eine Jacke aufgehängt, der Rucksack abgestellt werden kann, planst du dünne
grüngefärbte Glasscheibchen und ebensolche Glastüren! Gerade nur noch Sichtschutz zwischen den einzelnen
WC-Schalen! Hast du dir einmal überlegt, wie sich die Benutzerinnen fühlen? Wenn sie pinkeln wollen. Noch
schlimmer: wenn sie Bauchweh haben! Wenn sie die sechs Treppenabgänge hinuntergestürzt, die fünf Biegungen
geschafft und endlich die Toilette abgeriegelt haben: In deinen Toiletten vergeht schlagartig jedes dringende
Bedürfnis. Jeder könnte jederzeit von unten links oder von unten rechts in mein Klo blicken. Würde sich jemand
auf den Boden knieen.
Könnte, aber tut es nicht. Niemand blickt von unten ins nächste Klo, sagt die Architektur und macht sich lustig
über die Bedenken. An solchen Ballungsorten stinkt‘s. Das mache ich, damit die WCs gut belüftet werden. Ich muss
mich anpassen. Die Reinigungsmaschinen, du verstehst. Es muss alles hygienisch sein.
Was machst du für mich, frage ich. Ich will auf der Toilette furzen. Richtig furzen. Wenn es keinen abgeschlossenen
Raum für mich alleine gibt, leide ich an Verstopfung. Ein schlagartiger Verstopfungsanfall. Du bist schuld an
Verstopfungen, Panikzuständen und dem peinlichen Angstgefühl, von allen angestarrt zu werden.
Du bist hypersensibel, sagt die Architektur. Für Reisen bist du nicht geschaffen. Bleib daheim.
Richtig Reisen: Architektur III
Koffer ist Architektur, haben Sie das gewusst? Innenraum. Aussenraum. Koffer raus. Koffer rein. Koffer rauf.
Koffer runter. Länge mal Breite. Der Koffer holpert über Athens Bordsteinkanten, Roms Pflastersteine, Wiens
Strassenbahnschienen, Venedigs Treppen. Kleinarchitektur fügt sich in Grossraumarchitektur. Lesung hier, Lesung
dort, Aufenthalt hier, Flug nach dort. Bin nicht mehr fähig, ihn drüber zu heben, hinauf zu tragen. Oder hinunter.
Meine Arme sind ausgedehnt und hängen schlaff neben dem Körper: Ich quäle mich mit dem Behältnis, in welchem sich
meine Reisesiebensachen befinden. Gummiräder wären angebracht. Oder ein kleiner Motor. Solarbetrieben. Stattdessen
holpert das Ding in aller Herrgottsfrühe mit Getöse durch die schlafenden Gassen, die Rollen kreischen, zirpen,
brummen, quietschen. Mein Koffer eine Uraltarchitektur. Ein Ärgernis. Warum hat noch kein Kofferarchitekt etwas
Besseres erfunden?
Mein Zukunftskoffer muss ein Raumwunder sein. Nicht nur Raumwunder. Raumwunder und Verwandlungskünstler. Mit den
Eigenschaften eines Chamäleons. Federleicht, stabil wie Stahl, mit dem Platz eines Wochenendhauses, und dabei
trotzdem so schmal, dass er bei Reisen mit der Bahn gut durch den Waggon geschoben werden kann. Kein amerikanischer
Vierfachburger, der zwischen den Sitzen stecken bleibt und den Durchzugsstrom der platzsuchenden Fahrgäste zum
Erliegen bringt. Besonders jetzt, da der Trend der Bahnhofsarchitekten dahin geht, bei Neugestaltung der Bahnhöfe
diese kundenunfreundlich umzugestalten und die Wartebänke radikal entfernt werden, muss der Reisende selbst Vorsorge
treffen. Bequem wie eine Ruhebank soll mein Zukunftskoffer sein. Mit ausklappbarem Stuhl. Eine ausklappbare, stabile
Sitzfläche zum Beispiel. Oder ausziehbarer Lehne. Bei Bedarf wird aus dem Koffer eine Mini-Sitzbank für zwei Personen.
So kann sich die Reisende bei Wartezeiten und Zugverspätungen hinwegretten. Und: Haben Sie jemals schon einen Koffer
mit ausziehbarer Anhängevorrichtung gesehen? Eben nicht! Für Sportliche wäre dies der ultimative Kick, um das
Reisegepäck jederzeit an ein Fahrrad koppeln zu können. Oder ein ausziehbares Board mit Lenkstange. Könnte im
Koffer eingebaut sein, um ihn mit dem Scooter transportieren zu können. Liebes Christkind, das wünsche ich mir:
einen Kofferbaumeister, der diese vielen Ideen umsetzen wird. Die Architektur nämlich, die verschliesst die Augen.
© bei der autorin | [www.kronabitter.com]
kronabitter, erika
geb. 1959, lebt und arbeitet in feldkirch. studium der vergleichenden literaturwissenschaft,
germanistik und kunstgeschichte. arbeitet als schriftstellerin und künstlerin interdisziplinär in den
bereichen literatur, malerei, grafik, konzept-, video- und fotokunst.
künstlerisches konzept zum literaturbahnhof feldkirch.
betreut den feldkircher lyrikpreis. herausgeberin der reihe lyrik der gegenwart in der edition art science.
zahlreiche publikationen. zuletzt
morgenbetrachtung. verweilen im gesicht, 2008, bucher verlag, hohenems.
mona liza, 2007 und "viktor", 2009, beide im limbus verlag hohenems-innsbruck.
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