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Großelterngeschichten 3 | Urlaubserinnerungen
Es waren vor allem die Sommer, die Urlaube, die die besten Erinnerungen wachriefen. Jedes Jahr verbrachte er zwei, drei Wochen bei seinen Großeltern. Und dann kam, als er zwölf Jahre alt war, ein Jugoslawienurlaub, den sie zu dritt verbrachten. Seine Eltern vertrauten ihn zwei Wochen seinen Großeltern an. Mit Bahn und Bus waren sie zwei Tage unterwegs, bis sie schließlich auf einer kleinen Insel in der Adria ankamen. Schon allein diese zwei Tage waren aufregend, waren seine erste Reise, die ihn hinausführte aus der Enge seiner Familie, hinaus in das weite Land, das ihn nie wieder losließ. Eine Welt, die er erobern wollte, für sich und seine Träume. Ein Symbol für diesen Eroberungswillen.
Auf dieser Insel fand Franz seinen ersten Kontakt zum Meer. Er war von Beginn an fasziniert von der Weite, der Hitze und dem Salzwassers, das ihn leicht und unbeschwert machte. Das Rauschen der Wellen an der Kaimauer, das Schlagen der Bootskörper, die sich im Wellengang gegeneinander preßten und in der Luft die Albertrosse, all das war fremd und doch von Anfang an vertraut. Schon beim ersten Anblick des Meeres fühlte er sich heimisch und angekommen. Auch das Haus, in dem sie wohnten, trug zu dieser heimatlichen Stimmung bei. Er konnte sich frei bewegen, nicht zuletzt auch deshalb, weil er ein eigenes Zimmer hatte. Hermann und Julia wollten die Urlaubsnächte ungestört verbringen und das eröffnete ihm die Möglichkeit, abends lange lesen zu können, keiner Kontrolle ausgesetzt zu sein und über eine freie Tageseinteilung zu verfügen. Frühstück auf der Terrasse des Hauses, früh am Morgen, die Luft angenehm warm. Über ihren Köpfen hing wilder Wein und es gab Kaffee, Semmeln und Marmelade. In der gegenüberliegenden Autowerkstatt wurde bereits gearbeitet. Hermann las in einer Zeitung, die er von seinem täglichen Morgenspaziergang mitgebracht hatte. Seine Gewohnheiten behielt er auch im Urlaub bei. Julia plante den Tag, aber nicht ohne Franz miteinzubeziehen, ob es nun Bootfahren, eine Besichtigungstour oder faul am Strand liegen war.
Es war ein unbeschwerter Sommer mit Spaziergängen und Abendessen im Ort, mit Spielen am Strand und Bootsfahrten gewesen. Drei Wochen, die er mit Kartenspielen, Tischtennis, Eisessen und Kaffeerast am Nachmittag verbrachte. Diese Kaffeepausen hielt Julia immer ein, wo immer sie auch war, gegen drei Uhr nachmittags machte sie sich auf die Suche nach einem Ort, an dem es Kaffee zu kaufen gab. Auch wenn die Gegend noch so abgelegen war, einen Kaffee konnte sie immer auftreiben. Manchmal dachte Franz, sie hätte einen sechsten Sinn für das Aufspüren von Kaffeequellen. Und an einem Tag, während sie in am Strand saßen, sagte Julia: "Mit meiner Nase kann ich immer neue Kaffeequellen finden."
"Und deine Finger sind die Bohrmaschinen."
Und schon lag Julia am Bauch und schnüffelte mit ihrer Nase über den Sand.
"Da, ich kann es riechen. Hier gibt es Kaffee."
Sie bohrte mit dem Zeigefinger in den Sand. Franz half ihr mit den Händen und schon bald war eine kleine Grube ausgehoben und mit Meerwasser angefüllt. Franz und Julia bauten Hafenanlagen, Kanäle, Häuser und Brücken. Einen ganzen Nachmittag verbrachten sie mit diesem Kaffeespiel.
Bertolt [Williamson]
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