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AUFZEICHNUNGEN ZUR ZEIT

Mythos und Logos (Im Anfang)


Der eigentliche Sinn des Mythos ist nicht der, ein objektives Weltbild zu geben;
vielmehr spricht sich in ihm aus, wie sich der Mensch selbst in seiner Welt versteht;
der Mythos will nicht kosmologisch, sondern anthropologisch - besser: existential interpretiert werden.
Rudolf Bultmann


I

Im Anfang war das Wort und das Wort war: Anfang.

Was einen Anfang hat, das hat ein Ende.

So wie das Leben einen Anfang und ein Ende hat, so hat auch alles Leid(en) und alle Angst und alle Einsamkeit ein Ende - einmal.

Davon erzählt der Mythos.


II

Im Wort wie im Anfang steckt der Mythos, die Erzählungen von allem Unerklärlichen und allem Bedrohlichen und allem Fremdartigen.

Indem wir es benennen, indem wír davon erzählen, von Anfang bis Ende, versuchen wir es zu bannen, (ver)suchen wir eine Mitte zu bestimmen, einen Ort, der (Unter)Grund bietet und also Halt.

Im Wort (Logos) und im Anfang aber steckt zugleich immer auch eine Vernunft, die Erzählung von Ursache und Wirkung, das (rationale) Prinzip der Kausalität.

Davon erzählt die (abendländische) Philosophie, der Mythos vom Logos.


III

Und gleich wie gering die kulturelle Reichweite dieser Erzählung ist, wie begrenzt seine gesellschaftliche Wirksamkeit, der Mythos eint doch immerzu alles und alle zu einem (gemeinschaftlichen) WIR.

Durch den Namen (BeNamung/BeNennng) wird/bekommt etwas eine Identität, etwas wird im Erzählen (mit Worten und Gesten und Musik) symbolisch in die Mitte gestellt, in die Gemeinschaft mit aufgenommen, es wird ein Teil vom Ganzen und also mit-menschlich.

Was einen Namen (bekommen) hat, hat eine (soziale) Identität, und hat zuletzt (menschliche) Vernunft, eine Vernunft, die mittels Erzählung (Mythos) geteilt wird - und also verständlich ist, sowie eine allgemeine Vernunft ist, die teilt - und also verstanden wird.

Was in der (kulturellen) Erzählung einen Anfang und ein Ende hat, das hat auch eine (gesellschaftliche) Mitte, bringt einen (gemeinschaftlichen) Ausgleich, womöglich sogar ein Gleichgewicht, vor allem aber ein Gegengewicht:

Gegen die Schwerkraft wuchernder und vereinsamender Angst!
Gegen die Schwerkraft der uns alle zersetzenden Einsamkeit!
Gegen die Schwerkraft alle(s) zerbrechender Schmerzen!

Etwas, das mehr ist als ICH und DU: ein WIR!

Was uns also heute fehlt, das ist vor allem ein allgemein gesellschaftliches Verständnis.
Was uns also heute fehlt, das ist nicht nur die (gemeinsame) Vernunft.
Was uns also heute fehlt, das sind WIR selbst!

Armin [Anders]


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