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Wölfe
Ich wäre gerne wieder zu Hause gewesen. Auch Angela lachte nicht mehr. Wie hatten wir uns doch auf das Lager gefreut. Jetzt waren wir seit gestern hier in den Bergen, schliefen gemeinsam mit den Anderen auf durch gelegenen Matratzen am Dachboden der Holzhütte und fürchteten uns vor den Wespen. In einer der hinteren Ecken ein überdimensionales Wespennest. In der Nacht musste ich natürlich aufs Klo. Dorthin gelangte ich nur durch das Waldstück hinter der Hütte, es war finster und weit und breit kein Mond zu sehen. Ich hörte alle möglichen Geräusche, mein Herz schlug bis zum Hals. Gleich nach unserer Ankunft hatte mir Bernadette das mit den Wölfen prophezeit. Ich hatte irgendetwas Freches gesagt, etwas Freches in ihren Augen, das ich gleich wieder vergessen hatte, danach saßen wir um das Lagerfeuer, grillten Würstchen und tranken stark verdünnten Himbeersirup. Bernadette fixierte mich aus schmalen Augen und sagte, dass mich zur Strafe die Wölfe holen würden. Angela saß neben mir, bis zum Ende des Lagerfeuers blieb sie ungewöhnlich stumm. Ich sah einen der Wölfe vor mir, er aß mich auf mit Haut und Haar. Nachts wachte ich immer wieder auf, weil da neben den Wespen auch noch die Wölfe waren und stolperte Richtung Plumpsklo durch den finsteren Wald.
Ich will nach Hause, sagte ich am Morgen zu Bernadette. Auch Angela wollte nur noch nach Hause. Daraufhin ging Bernadette in die Küche, kramte in den Kästen und kam mit je einer Tablette für uns zurück. Einer Antiheimwehtablette, wie sie sagte, wir sollten sie langsam auf der Zunge zergehen lassen. Die Tablette schmeckte süß, so wie die Zuckerl, die meine Mutter in der Naschlade aufbewahrte.
Beim gemeinsamen Mittagessen sagte mir Angela, dass es ihr schon besser ginge. Ihr Gesicht hatte wieder etwas Farbe, ihr Lachen würde hoffentlich bald wiederkommen. Auch ich fühlte mich erleichtert, weil ich spürte, dass die Tablette wirkte.
Nachmittags machten wir eine Wanderung mit der ganzen Gruppe, die uns auf einen Gipfel führte. Auf dem Gipfel nahm Bernadette die mitgeschleppte Gitarre zur Hand und sang uns Pfadfinderlieder vor. Es wehte ein kalter Wind, Angela und ich froren in unseren dünnen gelben Plastikjacken. Der Ausblick auf Almen, Wälder und Bergkuppen hatte etwas Erhebendes, trotz der Kälte wollte ich nicht mehr nach Hause.
Am Abend lässt die Wirkung der Tablette nach. Ich liege auf meiner Matratze unter einem der winzigen Dachbodenfenster. Das Fensterglas ist dünn, dahinter höre ich die Wölfe heulen. Die Anderen schlafen lautlos, Angela liegt neben mir, auch sie schläft wie ein Stein. Ich berühre sie an der Schulter. Ich muss aufs Klo, sage ich, als sie aufschreckt, doch vor der Tür warten schon die Wölfe.
Ich begleite dich, sagt Angela, auf der Ablage hinter der Eingangstür habe ich eine Taschenlampe gesehen.
Sie leuchtet mir den Weg zum Plumpsklo, vielleicht mögen die Wölfe kein Licht, auf jeden Fall ist jetzt weder etwas von ihnen zu hören noch zu sehen.
Als wir wieder vor der Hütte stehen, hält sie sich die Taschenlampe unters Kinn und schneidet Grimassen wie es keine Andere kann. Es sieht zu komisch aus, ich lache laut auf und da bricht es auch endlich wieder aus Angela hervor: das Purzelbaum schlagende Gelächter meiner besten Freundin.
Karin [Gayer]
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