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Wittgensteins Haus

1925, als Wittgenstein gerade Langeweile verspürte, überlegte er intensiv, wie er sich sinnvoll beschäftigen konnte. Das Denken, dachte er, ist mir gerade zu anstrengend. Ich habe schon soviel gedacht. Einmal habe ich sogar gedacht, dass ich schon alles zu Ende gedacht hätte, und ich hatte es sogar hingeschrieben, dass als ultimative Conclusio aus meinen hingeschriebenen und publizierten Denkprozessen weiteres Denken unnötig wäre, und ja, ich gestehe es frei heraus, dass ich mich damals verdacht hatte, doch wer hätte es mir verdenken können, wo doch alles, was ich bis dahin gedacht hatte, noch so frisch war und erst abstehen musste, bis es jemand als abgestanden erkennen konnte und mich zum Weiterdenken und Wiederdenken ermunterte und mich damit zugegebenermaßen auf dem falschen Fuß erwischte und noch erwischt. Abgesehen von der Aufdeckung der Abgestandenheit meines Denkens hat aber niemand mein bisher Gedachtes als falsch eingestuft und ihm dadurch die Grundlage entzogen. Mir war die bloße Abgestandenheit nicht Ansporn genug, um die Narrenkappe ab- und die Denkkappe wieder aufzusetzen. Ich habe genug Gedanken gedacht, genug Gespinste gesponnen, Gedankengespinste, ich werde mich also vor einer Rückkehr ins Theoretische hüten und im Praktischen verweilen, ich werde etwas zeichnen, etwas planen, einen Plan zeichnen für etwas Praktisches, das dann realisiert werden kann, ich werde kein Gedankengebäude entwerfen, sondern ein reales, in dem jemand wohnen kann, der ein neues Dach über dem Kopf nötig hat, und unter diesem Dach soll jemand wohnen, der es zu schätzen weiß, dass ich ihm das Dach über den Kopf geplant habe, und dieser jemand muss a priori gar kein Mann sein, eine Frau ist als Empfängerin eines von mir entworfenen Hauses und Daches genauso gut vorstellbar; die Akzeptanz meiner Pläne durch die sie empfangende Person ist das Entscheidende, nicht deren Geschlecht, wer also käme eher in Frage als meine Schwester Margarethe, die ohnehin eine neue Bleibe benötigt, also werde ich meiner Schwester in Wien ein neues Haus planen und errichten, ob sie es will oder nicht, denn wenn das Haus erst einmal da ist, dann wird sie es schon wollen. Ich werde es ihr gleich mitteilen. Margarethe, werde ich ihr telegrafieren, Margarethe, du bekommst ein neues Haus, und unmittelbar danach werde ich mit dem Zeichnen der Pläne beginnen, unabhängig davon, wie ihre Antwort ausfällt; und sobald die Pläne fertig sind, wird gebaut, und selbst wenn Margarethe ausruft: "Mein Gott, Ludwig, was hast du da geplant?", oder später: "Was hast du da gebaut?", werde ich mich von meinen Plänen und von deren Umsetzung nicht abbringen lassen, sondern planen und bauen, wie es mir beliebt, und wenn dann niemand einzieht in das neue Haus, dann kann ich immer noch zurück zur Denkarbeit, die mir im Augenblick so denkunmöglich scheint. Ich lasse mir von meiner gegenwärtigen Denkverweigerung den Ausweg einer späteren Rückkehr zu einer Denkbejahrung nicht komplett verbauen. Wer auf das Häuserbauen baut, braucht schon am Morgen einen klaren Kopf, und wenn Margarethe mich fragt: "Ludwig, was hast du dir gedacht bei all dem Planen und dem Bauen, um das niemand dich gebeten hat?", kann ich ruhigen Gewissens antworten: "Nichts, Margarethe, nichts!" Das mag sie mir dann glauben oder nicht. Dass ich es ehrlich meine, sieht und spürt sie ja, wenn ich sie führe, durch das neue Haus. Ich werde es riskieren, dass trotz der ungeheuren Mühe der Tag in der Verzweiflung endet.

Michael [Burgholzer]


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