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Stark, verfemt, doch nicht vergessen

In Ost-Berlin gab es ein feines Museum; das Otto-Nagel-Haus verschwand nach 1990. Bilder der proletarisch-expressionistischen Sammlung tauchen ab und an auf. Eine Version des Bildes hängt seit der kürzlichen Wiedereröffnung in der Berliner Neuen Nationalgalerie. Interessant dazu, Felixmüller hat das in seinem Besitz befindliche Original aus Angst vor den Nazis vernichtet, nach 1945 neu gemalt. Der Mann im Bilderrahmen wirkt ein bisschen bekloppt. Viel konnte man in der DDR über ihn nicht erfahren.

Otto Rühle war linksradikaler Anarchist. 1919 aus der KPD ausgeschlossen, gehörte er bis zu seiner Emigration zur künstlerischen Avantgarde in Dresden-Hellerau. Er verstarb 1943 als Kulturpolitiker in Mexiko.

Mexiko?

Das Land war einst Refugium für Emigranten aus Europa, spanische, deutsche, italienische Antifaschisten fanden dort Zuflucht. Unter den deutschsprachigen Schriftstellern, die in Mexiko strandeten, genießen Anna Seghers und Egon Erwin Kisch immer noch Weltruhm. Der Verlag „El libre libro“ erlangte Kultstatus, die erschienenen elf Bücher sind unter Sammlern heiß begehrt.

Schon in den zwanziger Jahren wurde Mexiko für Lesehungrige zum Begriff. Der Autor B. Traven war dafür verantwortlich. Hatte er in Mexiko im Hintergrund Einfluss auf die Emigrationspolitik des Landes genommen? Auf jeden Fall hat er sich um antifaschistische Flüchtlinge gekümmert. Er wurde auch erkannt. Die an Parteidisziplin gewöhnten deutschen Kommunisten bewahrten Stillschweigen über den Tod hinaus.

Gab es eine Beziehung Otto Rühles zu B. Traven?

Traven, mit rätselhafter Herkunft kokettierend, hatte in Mexiko Verbindung in höchste Regierungskreise. Erst in den 60-ziger Jahren wurde dieses Rätsel der Literaturgeschichte gelöst. Seitdem füllt es Bände. Ganz klar ist immer noch nicht, wer B. Traven war. Zuletzt wurde spekuliert, eventuell ein unehelicher Hohenzollernprinz oder ein unehelicher Sohn Emil Rathenaus oder ganz banal ein Mann namens Otto Feige aus Hinterpommern. Dessen Identität könnte der vagabundierende Ret Marut dem wirklichen Feige auch abgekauft haben. Er hatte Geld, was auf eine Verbindung zu Emil Rathenau schließen lässt. Ein weiteres Indiz: die tiefe Betroffenheit des berühmt gewordenen B. Traven zur Ermordung des deutschen Außenministers Walter Rathenau.

Unehelich war Makel und gleichermaßen tiefe Kränkung für Betroffene, nicht nur in Deutschland. Längst ist Gras über die Geschichte gewachsen, relevant ist der Autor B. Traven noch für Forschungszwecke.

Erwiesen ist, als Ret Marut war B.Traven aktiv in der Münchener Räterepublik, danach flüchtig. Seine Spur führte über Köln via Amsterdam nach London, vermutlich auf das „Totenschiff“. Endstation Mexiko. Ein akribischer Journalist hat seine Identität als Otto Feige in britischer Abschiebehaft Anfang der 20-er Jahre ermittelt anhand der Dokumentation der britischen Fremdenpolizei. Waren die Papiere dieses Feige echt? Man weiß es nicht. Auch nicht, wer Ret Marut wirklich war.

„Marut“ = Traum, oder Hinweis auf Trave? Hinweis auf ein diskret-verborgenes Internat nahe Travemünde? Geschaffen für schwarze Schafe reicher Familien sowie für deren illegitime Nachkommenschaft? Ein weites Feld für die Forschung, heute nicht mehr lukrativ genug.

Kurze Zeit in Freiheit, verfasste Erich Mühsam 1927 einen Aufruf: „Ziegelbrenner, wo bist du“? „Der Ziegelbrenner“ war eine anarchistische Zeitschrift in Form eines Ziegels, heute eine bibliophile Kostbarkeit. Einziger Redakteur und Mitarbeiter war dieser Ret Marut. Sie erschien von 1917-1919 in München, dann wieder bis 1921 in Köln, dort stuften die Behörden das Blättchen als Maurer-Zeitschrift ein. Irgendjemand muss dafür Geld gegeben haben.

Der Anarchist Otto Rühle wird dem Anarchisten Ret Marut auf der Flucht vor der Justiz hilfreich begegnet sein. Es gab ein Netzwerk unter Gleichgesinnten. Man konnte Kompromittierten Papiere und Geld verschaffen. Dessen wird sich Ret Marut als der berühmte B. Traven seinerseits hilfreich erinnert haben.

Der Anarchist Otto Rühle wirkte publizistisch im Umfeld der Werkstätten Dresden-Hellerau, außerhalb der Fachkompetenz vergessen. Wie im Bauhaus überlappten sich da die Künste, auch in Hellerau traf sich ein interkulturelles Völkchen, darunter Architekten und Künstler aus der jungen Tschechoslowakei. Prägend bis heute ist die „Neue Sachlichkeit“ für das Bild der Prager Neustadt. Einer ihrer Vertreter war Jaromir Krejcar, Ehemann von Milena Jesenska, Kafkas Freundin. Krecjar und Milena gehörten zum Freundeskreis von Otto Rühle und seiner Frau, deswegen verdient dieser Rühle Erwähnung.

Milena Jesenska war nach heftigen Jugendstreichen von ihrem despotischen Vater – am Rande der Verzweiflung - in eine psychiatrische Einrichtung in Prag verbracht worden. Er wusste sich anders nicht mehr zu helfen. Stadtbekannt fiel sie in den konservativ-bürgerlichen Kreisen durch Extravaganz, durch Unbekümmertheit in finanziellen Dingen sowohl durch Eskapaden im Auftreten auf. Gemeinsam mit einigen Freundinnen rebellierte sie so gegen die konservative Arroganz zum Ende der k.u.k.-Monarchie. Milena suchte Anschluss an die Prager Avantgarde, deren Vertreter hauptsächlich deutschsprachige Juden waren. Das war alles andere als einfach. Ob sie im Cafè Arco von den prominenten Gästen wie Egon Erwin Kisch, Max Brod, Franz Werfel oder auch Franz Kafka überhaupt wahrgenommen wurde, ist ungewiss. Zumindest dem Journalisten Kisch konnte sie von ihrem Wohnhaus in Prag am Ende des Wenzelplatzes fast in die Fenster schauen. Doch eine unsichtbare Grenze trennte die jüdischen von den tschechischen Intellektuellen Prags, die in der Mehrzahl zum Nationalismus neigten, wie auch Milenas Vater. Professor Jesensky war in Fachkreisen berühmt. Sein Wirkungsfeld war die Zahnmedizin an der Prager Universitätsklinik.

Aus der Psychiatrie befreite sie sich durch ihre Heirat mit dem „Literaten ohne Literatur“ Ernst Polak aus dem Cafè Arco. Polak ging mit ihr nach Wien. Das war die Bedingung von Milenas Vater für seine Zustimmung.

In Wien gehörten Milena und Polak zur Bohème, lebten von der Hand in den Mund, kannten alle und jeden mit Literatur und Kunst Beschäftigten. Sie verdiente mühselig etwas Geld als Kofferträgerin für betuchte Reisende. Er sprühte in den einschlägigen Cafés nur so von Geistesblitzen, war wie in Prag gesuchter Gesprächspartner, galt als Literat, bis auf einige Artikel ist von ihm nichts weiter überliefert.

Milena lernte in Wien Franz Kafka kennen. Für eine tschechische Literaturzeitschrift hatte sie einige seiner Erzählungen übersetzt, machte sich so einen Namen in ihrer Heimatstadt. Franz Kafka hatte sofort seine Zustimmung gegeben. Briefe hatten für Kafka immer etwas Magisches. Er kam sofort. Gegen Ernst Polak kam er nicht an.

Zum Ende der zwanziger Jahre avancierte Milena zu einer anerkannten Journalistin in Prag. Für Franz Kafka war sie wohl die einzige Frau, die er aufrichtig liebte, um die er gekämpft und gelitten hat. Nebenbei hat er sie – was ist bei Kafka schon nebenbei? - als „Frau Milena“ in Briefen an Ottla erwähnt. War es ein Hilferuf, von der Schwester nicht erhört? Wollte Kafka die für ihn wichtigsten Personen zusammen bringen? Alles Spekulation. Ottla war aufgrund ihrer Erziehung Milena intellektuell nicht ebenbürtig, auch hatte sie genug mit ihren eigenen Angelegenheiten und denen ihres Bruders zu tun.

Wie Milena war Ottla Kafka einzigartig! Zupackend, selbstbewusst mit starkem Eigenwillen, war sie die wichtigste Stütze für den ewig zaudernden Bruder. Sie mietete ihm Wohnungen außerhalb des Elternhauses, ermunterte ihn zu sportlicher Tätigkeit wie überhaupt zu Tätigkeiten jenseits seines Beamtendaseins und vor allem übernahm sie für Kafka die widerwärtigen Bittgänge im Amt wie Behördengänge überhaupt. Seinen Widerwillen gegen die amtliche Bürokratie hat er im „Schloß“ verewigt, wie auch ein nebulöses Porträt Milenas in der Figur der Olga.

Ottlas Namen Ottilie Davidova findet man unter den Opfern in der Shoa- Gedenkstätte in Prag. Vor ihrer (freiwilligen) Deportation 1943 als Begleiterin eines Kindertransports nach Auschwitz hatte sie sich von ihrem Ehemann Josef David und der gemeinsamen Tochter – zu deren Schutz – getrennt.

Ihr Todesdatum ist der 9. Oktober 1943.

Als Franz Kafka im Sterben lag, rief sein Arzt und Freund Robert Klopstock Milena an sein Krankenbett in Klosterneuburg bei Wien. Kafkas Lebensgefährtin Dora Dymant hatte Klosterneuburg vorübergehend verlassen.

In seiner Todesstunde war Milena bei ihm.

Klaus Mann hat berichtet, Kafka wäre in Klopstocks Armen gestorben, kein Wort von Milena. Sein letzter Prager Aufenthalt endete im Drogenexzess. Möglicherweise hat er sie vergessen, als tschechische Publizistin gehörte Milena nicht zu seinem Bekanntenkreis. Während der nachfolgenden Entziehungskur in Budapest wurde er von Robert Klopstock begleitet, erfuhr von diesem vor allen anderen manches Detail aus Kafkas Leben.

Möglich wäre auch eine Konzession Klaus Manns an Max Brod. Dieser hat in einer Art eifersüchtiger Ränke versucht, alle Personen, die Kafka nahestanden, aus dessen Andenken zu löschen. Klaus Mann veröffentlichte als Erster 1934 in Amsterdam Tagebuchnotizen Franz Kafkas in der legendären Exil-Zeitschrift „Die Sammlung“. Diese Notizen hatte ihm Max Brod überlassen. Es handelt sich um eine Urschrift zum „Prozess“.

Nach Kafkas Tod verließ Milena Wien und Ernst Polak. Aus ihrer kurzen Ehe danach mit Jaromir Krejcar ging die Tochter Honza hervor, die Ehe zerbrach bald. Krejcar ging als Kommunist hoffnungsvoll in die Sowjetunion.

Milena Jesenska wurde in Prag zu einer journalistischen Institution. Ihr Image wurde angekratzt, als sie politisch im Dienste der KPC aktiv wurde. Konservative Kreise sorgten für Boykott und damit für eine existenzielle Krise in Milenas Leben. Auch hatte sie zeitnah einen schweren Skiunfall, und seit der Geburt der Tochter eine verkorkste Hüfte. Sie hinkte, ihr "strahlender Gang". Suchtähnliche Symptome kamen hinzu. Die schwere Krise überwand sie mit Hilfe von Freunden.

Wie gegen die bürgerlichen Vorbehalte wehrte sich offen gegen die stalinistische Bevormundung. Sie kehrte der Partei den Rücken. Gottwald und Zapotocky, die berüchtigten KP-Chefs, hatte sie öffentlich als Idioten bezeichnet. Für die KPC wie auch für deren Schwesterparteien wurde sie für alle Zeiten zur Unperson. In der DDR war der Name Milena Jesenska bis für wenige Ausnahmen unbekannt.

Unter deutscher Besetzung profilierte sich Milena als aktive Kämpferin. Es war nicht anders zu erwarten, in ihren Adern floss Rebellenblut. Professor Jesensky rühmte sich eines Vorfahren, der nach dem ersten Prager Fenstersturz, der sogenannten Defenestration, am Galgen endete. Milena knüpfte ein illegales Netzwerk. Dank ihrer Kontakte zu bürgerlichen Kreisen sammelte sie Geld, organisierte Unterkünfte, verhalf damit Juden und Antifaschisten, auch Kommunisten trotz der stalinistischen Feme zur Flucht. Im Wissen um ihr Risiko setzte sie alles daran, die Briefe Franz Kafkas vor dem Zugriff der Nazis zu retten, dabei nutze sie illegale Kontakte zu südamerikanischen Botschaften.

Diese „Briefe an Milena“ sind 1952 zuerst in New Yorck erschienen, herausgegeben von ihrem Freund, dem Journalisten Willi Schlamm. Max Brod war nicht amüsiert.

Ohne Milena Jesenska wäre das Andenken Kafkas unvollständig. Milena hatte Willi Schlamm Kafkas Briefe aus dem besetzten Prag abenteuerlich über diplomatische Kanäle nach London zukommen lassen und dabei Kopf und Kragen riskiert. Zuvor konnte er sich mit ihrer Hilfe vor den Nazis retten. Selbst Prag zu verlassen, kam ihr nicht in den Sinn. Milenas Vater hatte sich vor ihrer Deportation mit ihr ausgesöhnt und sich der Tochter angenommen.

Krejcar und dessen jüdische Frau waren vom Regen in die Traufe gekommen. Rechtzeitig hatten sie desillusioniert der Sowjetunion den Rücken gekehrt, um fast den Nazis in die Fänge zu geraten. Milena war bei ihrer Flucht aus Prag behilflich. Auch ihr Lebensgefährte Evzon Klinger war aufs Höchste gefährdet, er rettete sich aus Prag bestückt mit der goldenen Uhr des Professors, als Notgroschen gedacht. Eigentlich hatte der Nationalist Jesensky jeden Kontakt zu dem Juden abgelehnt. Erst der faschistische Terror hat bei Milenas Vater zum Umdenken geführt.

Erwähnt sei Milenas letzter Streich in Prag. An hervorragender Position in ihrer Zeitung konnte sie Brechts Soldatenlied platzieren und mit pathetischen Worten als deutsches Volkslied rühmen. Der Zensor schäumte vor Wut, es folgte ihre Verhaftung durch die Gestapo.

Unvernunft? Stolz?

Der stolze Professor Jesensky erniedrigte sich vor den Behörden. Nach stundenlangem Warten mit der elfjährigen Enkelin an der Hand im unwirtlichen Gestaporevier bat er „untertänigst“ um Gnade für Milena, schilderte ihre „Verfehlung“ als unbewussten Irrtum. In Dresden wurde sie von einem Gericht 1942 vom Vorwurf des Hochverrats freigesprochen, trotzdem deportieren die Nazis sie nach Ravensbrück.

Milena verstarb 1944 im KZ Ravensbrück mit 46 Jahren. Ermordet wurde sie nicht, sie soll an Nierenversagen gestorben sein.

2013 fand eine Doktorandin in einem Prager Archiv der tschechischen Staatssicherheit Milenas Briefe an ihre Familie. Darin beklagt sie die unsäglichen Zustände in dem Konzentrationslager, spricht aber gleichzeitig ihrer Tochter Mut und Zuversicht zu. Diese Briefe haben weder der Vater, noch die Tochter, noch der einstige Ehemann Jaromir Krejcar je erhalten. Von den Nazis beschlagnahmt, von der kommunistischen Staatssicherheit übernommen, als Dossier in Krejcars Akte angelegt, die über dessen Tod Anfang der 50-ziger Jahre hinaus gepflegt wurde. Jana Cerna, geb. Krejcar starb 1981 in Prag. Von dieser infamen Willkür hat sie nie erfahren, aus dem KZ hat sie kein Lebenszeichen ihrer Mutter erhalten.

Mit Milenas unterschlagenen Briefen kam ein weiteres Schandmal für die befleckte Kommunistische Partei der Tschechoslowakei ans Licht.

Kathrin [Knebusch]


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