[zurück] | blättern | [weiter] |
Schreibwettbewerb Neue Lyrik der Türen & Tore-Innung e.V.
Als erste Institution, die sich für die neue Mode der «Inhaltserhaltenden Schreibökonomie» begeistern konnte, hat die sehr kunstbeflissene Türen & Tore-Innung e.V. aus Hegenbroich an der Wutzel einen Schreibwettbewerb für Amateurdichter mit Interesse an eleganten und praktischen Haus- und Wohnungseingängen ausgerufen. Gefragt waren Beiträge im neuen, konsequent sparsamen Poetik-Stil, d.h. unter strikter Anwendung der drei Grundsätze des ökonomischen Schreibens, als da wären: Adjektivmassaker, Aussagenverkürzung und Vokalvermeidung. Gesponsert wird der Wettbewerb von einem namentlich nicht genannten, lokalen Hersteller für quietschunterdrückende Schmieröle und andere Geräuschhemmer.
Die im Informationsblatt zum Lyrik-Wettbewerb der Türen & Tore-Innung e.V. aufgelisteten Teilnahmebedingungen umfassten eine Altersgrenze von mindestens 65 vollendeten Jahren, die Zusicherung, dass man keiner Vereinigung für offenes Wohnen (z.B. in sog. Lofts) angehöre und noch niemals Belletristisches veröffentlicht habe. Vom Wettbewerb ausgeschlossen waren hauptberuflich tätige Dichter und Dichtungshersteller, Mitarbeiter der Türen & Tore-Innung e.V. und deren Familienangehörige. Der Wettbewerbsbeitrag sollte ein Gedicht nach den obengenannten Richtlinien der Inhaltserhaltenden Schreibökonomie sein, und zumindest im weitesten Sinne etwas mit Türen oder Hauseingängen zu tun haben. Als Textlänge waren maximal 120 Zeichen (einschließlich Leerzeichen) zugelassen. Den Beitrag sollten die Wettbewerbsteilnehmer auf die Webseite der Türen & Tore-Innung e.V. hochladen, zusammen mit einer Kurzbiographie nebst einer Portraitfotografie der eigenen Haustür im Hochformat (Dateigröße bis maximal 150 Kb.). Einsendeschluss war die Stunde null des zweiten Donnerstags nach Himmelfahrt. Ausdrücklich wurden die Wettbewerbsteilnehmer ermuntert, ihren Beitrag möglichst frühzeitig einzureichen, um einer eventuellen Tür- & Torschlusspanik vorzubeugen.
Die Jury bestand aus dem Geschäftsführer der Türen & Tore-Innung e.V., Herrn Walter Honigmund, seiner lyrikbegeisterten Vorzimmerdame, Fräulein Anneliese Priskula, einem nicht näher bezeichneten Mitarbeiter des Sponsors, und der eigens für den Wettbewerb angeheuerten Frau Dr. h.c. Marlies W. Klincke, die bekannte Dichterin und poeta laureata der Stadt Hegenbroich a.d.W. Dem Drittplatzierten winkte eine schön bedruckte Urkunde mit Originalunterschrift des Innungspräsidenten, während dem glücklichen Zweitplatzierten ein kostenloser Besuch des reichhaltigen Warenlagers der Firma Türen- & Torbedarf GmbH unter der sachkundigen Führung des obenerwähnten, namentlich nichtgenannten Logistikmitarbeiters in Aussicht gestellt wurde. Der begehrte Hauptgewinn wiederum bestand aus einem ganzen Satz neuer Türbeschläge und Dichtungen für alle Wohnungstüren und Fenstern in der Wohnung des prämierten Gewinners.
In einer Verlautbarung vor der Presse, namentlich der Feuilleton-Redakteure der wichtigsten Lokalzeitungen, erklärte Herr Honigmund feierlich: Wir wollen der zeitgenössischen Lyrik neue Impulse geben, und vor allem noch unbekannten oder ungerechtfertigt verkannten Schreibtalenten, Türen & Tore zur öffentlichen Wahrnehmung aufstoßen.
Bis zur Mitternachtsstunde des Stichtages waren insgesamt 856 Beiträge eingegangen, von denen über drei die relativ harten Teilnahmebedingungen erfüllten und dank ihrer dichterischen Qualität prämiert wurden.
Das erstplatzierte, vokalsparende Gedicht, welches alle vier Jurymitglieder überzeugen konnte, war der radikal sprachverkürzte Einzeiler des Herrn D.O. aus M.[*] mit dem hier großzügig ausformulierten Titel: Dirks knarzende Tür. Die Begründung der Jury, von Frau Dr. h.c. Klincke sachkundig ausformuliert, war: Herr D.O. habe die geforderte Sprachverkürzung radikal angewendet, ohne dabei die emotional bewegende Aussage zum Anliegen des Protagonisten und seiner genialen Problemlösung zu verbergen oder zu bagatellisieren. Mittels des Einsatzes platzsparender Apostrophe und unter Wahrung einer harmonischen Sprachmelodie habe der talentierte Dichter der protektiven Bedeutung und konsumentenfreundlichen Wertigkeit der Hauseingangstechnologie gekonnt Ausdruck verliehen.
Und hier nun das prämierte Meisterwerk der vokalsparenden Lyrik mit dem Titel "D'rks kn'rznde T'r":
D T'r kn'rzt. Dr'm h'lt D'rk d Ölk'nne nd schmrt s'rgf'ltig d Sch'rn're. Jtzt ist's ndl'ch st'll!
…und hier die Übersetzung für uneingeweihte Poetikliebhaber:
Dirks knarzende Tür. Die Tür knarzt. Drum holt Dirk die Ölkanne und schmiert sorgfältig die Scharniere. Jetzt ist es endlich still!
__________________________________
[*] Name und Wohnort des Gewinners Dirk Obermüller aus Miltenberg, Rebbergstr. 11, wird ausdrücklich nicht bekanntgegeben, um ihn vor der Bestürmung durch Bettelbriefe von Bewohnern unzureichend abgedichteter, zugiger Wohnungen zu schützen.
Peter [Biro]
[zurück]
| blättern |
[weiter] startseite | litera[r]t | autor*innen | archiv | impressum |