[zurück] | blättern | [weiter] |
Verklärung
Da steht sie, die eine Braue hochgezogen. Ihr Duft weht zu mir herüber, ein Schauer läuft mir über den Rücken. Wie angewurzelt lehne ich an einem Baum und würde doch so gerne auf sie zugehen, sie in den Arm nehmen, sie küssen und nie mehr loslassen.
Doch sie ist umringt von ihren Freundinnen, sie tratschen und schnattern über Schminke, Mode und Parfums. Oh wie selten gut riecht das ihrige! Wieder erschauere ich am ganzen Körper.
Die Unterhaltung geht hoch her, alle reden durcheinander. Doch sie, sie, behält immer die Oberhand, gibt den Ton an und verteilt missbilligende Blicke, wenn sie mit einer der Bemerkungen nicht einverstanden ist.
Wie gerne würde ich auch so von ihr gemaßregelt werden, doch sie nimmt mich ja nicht einmal wahr! Außerdem hätte ich nichts zur Unterhaltung beizutragen, weiß ich doch über Mode und ähnliche Themen nicht Bescheid.
Nach einiger Zeit schleiche ich ein wenig heran an die Gruppe, um meiner Verehrten, meiner Geliebten näher zu sein und ihre Aura intensiver zu spüren. Wenn sie mich nur entdeckte, wie würde ich unter ihrem strafenden Blick dahinschmelzen. Doch sie bemerkt mich einfach nicht.
Im Gegenteil, sie sonnt sich im Mittelpunkt ihrer Freundinnen, denen sie nun Ruhe gebietet: Ihr könnt euch doch gar nicht vorstellen, wie es ist, mit einem Mann zusammen zu sein. Aber ich… ich weiß es! Unter ihren Freundinnen erhebt sich ein bewunderndes Raunen. Mit einer herrischen Geste gebietet sie ihnen Ruhe. Ihr kennt doch alle Jan aus der 8. Klasse. Es war himmlisch, einfach himmlisch!
Mir wurde ganz heiß, als ich sie mir so mit Jan im Bett vorstellte, so gerne würde ich an seiner Stelle sein, ihre Brüste liebkosen, ihren Körper überall mit Küssen bedecken und ihren Duft einsaugen.
Da riss mich ihre Stimme aus meinen Träumereien: Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es Frauen gibt, die es lieber miteinander treiben, wo es doch so himmlisch ist mit einem Mann!!
Ich spürte einen Stich in meinem Herzen, langsam drehte ich mich um. Nun wusste ich endgültig, dass ich meine Angebetete nie im Arm würde halten können.
Waltraud [Zechmeister]
[zurück]
| blättern |
[weiter]
startseite | litera[r]t | autor*innen | archiv | impressum |